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Menschen, die mit ihrer Revolution – oft ohne es zu wissen und zu wollen – mehr im Sinne des Evangeliums bewirkt haben als die meisten Kirchenvertreter, wie sie der brasilianische Dominikaner und Befreiungstheologe Frei (Bruder) Betto bei der Entgegennahme des Internationalen UNESCO-Preises José Martí (s. Ossietzky 3/13) am 30. Januar in Havanna charakterisierte. Denn, so Betto, »sie ernährten die Hungernden, kurierten die Kranken und gaben den Erwerbslosen Arbeit, so wie es die Heilige Schrift fordert«. Es gilt aber auch, einer Verpflichtung nachzukommen, die ich zwei Vertretern dieser Generation gegenüber empfinde, die ich auf einer Veranstaltung in Havanna traf. Zur kubanischen Premiere seines Films »Das Mafia-Paradies – Kuba vor der Revolution von 1959« hatte der Hamburger Regisseur Hans-Peter Weymar die beiden als Zeitzeugen eingeladen. Der Schriftsteller und Mafia-Experte Enrique Cirules und der ehemalige Widerstandskämpfer Giraldo Mazola beklagten sich nach der Filmvorführung darüber, daß die westlichen Medien – nach Orwellscher Manier – ausgerechnet solche Menschen als »Abweichler« bezeichnen, die im Mainstream der Mächtigen schwimmen. »Die wirklichen Dissidenten in Kuba sind wir, und dieser Film beweist es«, sagten die beiden. Die für den deutsch-französischen Fernsehsender Arte produzierte Dokumentation beschreibt die grausame Realität eines Militär- und Mafia-Staates, der für die Interessen der USA nützlich und für die kriminelle Herrschaft einer kleinen Oberschicht unverzichtbar war. Der Film zeigt, wie sich General Fulgencio Batista im März 1952 mit Hilfe der CIA an die Macht putschte. Korrupt bis auf die Knochen lieferte der Diktator, der seine Herrschaft mit Terror, Folter und Morden behauptete, das Land unter wohlwollender Duldung der USA systematisch an die Mafia aus. Die wahren Herren von Havanna, die mit Drogen und Waffenhandel, Prostitution und Glücksspiel Milliarden scheffelten, hießen damals Lucky Luciano, Santo Trafficante und Meyer Lansky. US-Konzerne und kubanische Großgrundbesitzer machten ihren Reibach mit der Zuckerindustrie und der Ausplünderung anderer Ressourcen, während die Bevölkerung vor allem im zentralen und östlichen Teil der Insel weder Schulen noch Krankenhäuser, weder Lehrer noch Ärzte kannte und bei Fronarbeit in bitterster Armut vegetierte. Proteste wurden von Polizei, Militär und Geheimdienst des Batista-Clans brutal unterdrückt, bis die Revolution 1959 dem Spuk ein Ende bereitete, die Oberschicht verjagte, US-Firmen enteignete und die Mafia-Strukturen zerschlug. Bei der kubanischen Premiere seines Films dankte der Regisseur vor allem dem Schriftsteller Enrique Cirules, der seit Jahrzehnten in Havannas Archiven Kubas Mafia-Geschichte recherchiert: »Ohne seine Kenntnisse und Unterstützung wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen.« Cirules, ein betagter und bescheidener Mann, nutzte die Gelegenheit und forderte, den Film in Kuba und vor allem im Ausland einem breiteren Publikum zugänglich zu machen: »Die ausländischen Medien manipulieren unsere Geschichte, damit die Menschen möglichst wenig von den grausamen Zuständen erfahren, die erst mit der Revolution beseitigt wurden.« Mit zorniger Stimme klagt er an, daß es »Landsleute gibt, die von den USA und europäischen Medienkonzernen Geld dafür bekommen, daß sie Lügen über unser Land verbreiten«. Das nütze denen, die wieder »Zustände wie vor der Revolution herstellen wollen«. Diese Zustände beschreibt Augenzeuge Giraldo Mazola, der sich als junger Medizinstudent am Widerstand gegen die Batista-Diktatur beteiligte und dafür verfolgt, eingesperrt und gefoltert wurde. Er appelliert an die Zuschauer: »Was unser Volk an Erniedrigung, Ausbeutung und Unterdrückung durch die US-Ausplünderer, die Mafia, die einheimische Oligarchie und deren gekaufte Regierung erleiden mußte, darf niemals vergessen werden.« Deshalb wünsche er diesem »wichtigen Film viele Zuschauer auf der ganzen Welt«. Nach der Vorführung diskutiere ich mit einigen jüngeren Premierenbesuchern über ihre Eindrücke. »Auch hier in Kuba kennen viele Jugendliche unsere Geschichte kaum noch«, sagt ein Student und meint: »Wenn das hier schon so ist, wie wird das dann erst bei Euch in Europa sein.« Seine Begleiterin stimmt ihm zu und erklärt mir, warum das kleine Entwicklungsland Kuba seit über 50 Jahren gegen den globalen Mainstream schwimmt: »Wir Jüngeren sind auch Dissidenten, denn obwohl hier vieles schiefläuft, verteidigen die meisten unsere Revolution. Wir wollen keinen Kapitalismus und versuchen ein anderes Gesellschaftsmodell zu praktizieren, trotz Diffamierungen, Drohungen und Blockade durch die Mächtigen der Welt.« Aus ihrer Sicht weichen die beiden Revolutionsveteranen und alle, die wie sie agieren »von der offiziellen politischen Meinung« – dem globalen Mainstream – ab und sind damit nach der Definition des »Dudens« »Dissidenten«. Für diejenigen, die Geld aus den USA oder Europa annehmen und dafür deren Propaganda verbreiten, bietet das Standardwerk zur deutschen Sprache eine andere Definition an. Wer »gegen Bezahlung in einem fremden Heer kämpft« ist danach ein »Söldner«. Nun ist es jedermann und jeder Frau freigestellt, die eigene Wertschätzung denjenigen zu erweisen, deren Ziele und Motive sie verdienen. In Deutschland wurde die Dokumentation »Das Mafia-Paradies« 2012 auf Arte ausgestrahlt. Der Film ist auch im Internet unter www.youtube.com zu finden.
Erschienen in Ossietzky 7/2013 |
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