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Man bedenke die Zeitumstände: als Deutscher in Polen, die Konfrontation mit der deutschen Nazi-Vergangenheit, mit Auschwitz und Majdanek, mit polnischen Familien, die extrem unter deutscher Nazi-Herrschaft zu leiden gehabt hatten. Dann die Konfrontation der Systeme: als Gast aus dem kapitalistischen Westen im kommunistischen Polen, in das ich erst einreisen konnte, als Ende der 60er Jahre Willy Brandts neue Ostpolitik den deutsch-polnischen Grundlagenvertrag (1970) ermöglichte. So beeinflußte und belastete das Politische diese damals ungewöhnliche Liebesbeziehung hautnah und motivierte mich, den politischen Erstarrungen und Denkzwängen des Kalten Krieges etwas entgegenzusetzen und mich für Bürger- und Menschenrechte zu engagieren. (...) Vor wenigen Tagen erfuhr ich vom Bremer Polizeipräsidenten Lutz Müller und dem früheren Staatsanwalt für politische Strafsachen, Hans-Georg von Bock und Pollach, welche vehementen Reaktionen Anfang der 1980er Jahre das erste, gemeinsam mit meinem Kollegen Uwe Herzog verfaßte Buch »Der Apparat. Ermittlungen in Sachen Polizei« damals innerhalb der Bremer Polizei und Staatsanwaltschaft auslöste – vielfach waren es wohl Abwehrreaktionen. Tatsächlich mußte ich, als dieses Buch erschien, wegen massiver Drohungen Bremen vorübergehend verlassen. Während unserer Recherchen hatte in Bremen wie zur Anschauung der 6. Mai 1980 getobt. Unvergessen: der Protest von 15.000 Menschen gegen das öffentliche Rekrutengelöbnis der Bundeswehr im Weser-Stadion – ein militanter Protest gegen Militarisierungstendenzen, gewaltsame Auseinandersetzungen, viele Verletzte, Steine flogen auf Polizeibeamte, Bundeswehrfahrzeuge gingen in Flammen auf – und ich mittendrin: nicht als Demonstrant, sondern als Journalist, damals in meiner Funktion als erster Bremer Redakteur der Tageszeitung (taz). Ausgestattet mit einem offen getragenen Presse-Sonderausweis der Panzergrenadierbrigade 32 ging ich direkt im Weser-Stadion meiner journalistischen Arbeit nach. Doch es dauerte nicht lange, da umringten mich drei mausgraue Bundeswehr-Feldjäger und ein Zivilpolizist und ermahnten mich eindringlich. Mein Vergehen: Ich hatte die Falschen fotografiert – nicht Demonstranten, die Steine auf mit Helmen und Plastikschilden geschützte Polizisten warfen, sondern Polizisten, die innerhalb des Stadions die Steine aufgriffen und sie in die ungeschützte Menschenmenge zurückschleuderten. Nachdem ich trotz Ermahnung auf die Pressefreiheit pochte und weiter fotografierte, stürzten sich Feldjäger unter »So, jetzt reicht’s«-Rufen auf mich, führten mich im Armdrehgriff an einem Spalier gewaltbereiter Feldjäger vorbei, stießen mich die Treppe hinunter und übergaben mich außerhalb des Stadions der Polizei. Nun hoffte ich auf bessere Behandlung, aber es ging erst richtig los: Die Beamten hatten ein Spalier gebildet, um mit mir – wie auch mit vielen anderen – eine Art Spießrutenlauf zu veranstalten: Ich wurde durch die Reihen gejagt, mit Tritten und Schlagstöcken traktiert und an den damals noch langen Haaren gezogen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich am Ende des Spaliers liegen blieb und Demonstranten mich in Sicherheit brachten. (...) Dieses durchaus prägende Erlebnis und die Erfahrungen vieler anderer Demonstranten mit Polizeigewalt stellten sich rasch als Bremer Lehrstück heraus – und zwar für einen Volkshochschul-Kurs, den ich just in jener Zeit leitete. Titel: »Vom Rechtsstaat zum Polizeistaat?« Darin ging es um eine prekäre Polizeientwicklung in der Bundesrepublik – Stichworte: Entwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, Aufrüstung und Militarisierung sowie Legalisierung des gezielten Todesschusses. Dieser Kurs geriet mitsamt der Volkshochschule schnell in die parteipolitische Schußlinie, insbesondere der CDU, so daß sich der damalige Wissenschaftssenator Horst-Werner Franke (SPD) veranlaßt sah, meinen Kurs überprüfen zu lassen und die Volkshochschule zu disziplinieren. So schickte er eines Tages einen Staatskommissar in den Kurs, den wir mit selbst gebastelten Maulkörben überraschten. Nach vergeblichen Versuchen, uns etwas Verwertbares zu entlocken, mußte er unverrichteter Dinge wieder abziehen. Darüber entstand eine rege öffentliche Debatte, die bis in die Bürgerschaft reichte, wo die CDU den Wissenschaftssenator aufforderte, dem Kurs ein sofortiges Ende zu bereiten. Doch unsere bundesweite Öffentlichkeitsarbeit und die vielen Solidaritätsbekundungen konnten dies verhindern. Der Folgekurs, den ich ein Semester später trotz alledem anbieten konnte, mußte umbenannt werden. Er hieß nun: »Die Schere im Kopf« und handelte von Zensur und Selbstzensur. (...) Schon vor zehn Jahren habe ich in meinem Buch »Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Kriminelle im Dienst des Staates« vieles von dem dokumentiert, was nun so großes Erstaunen und Entsetzen verursacht, seit Ende 2011 die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bekannt geworden ist. Mehr als ein Jahrzehnt lang waren die staatlichen Sicherheitsbehörden nicht in der Lage, den rechtsterroristischen Mördern auf die Spur zu kommen, obwohl sie über ihre zahlreichen V-Leute aus der Naziszene dem NSU und seinem Umfeld doch sehr, sehr nahe waren. Stattdessen zogen sie in rassistischer Weise die Mordopfer und ihre Angehörigen in Verdacht. Und nach der unfaßbaren Nichtaufklärung des rassistischen Hintergrunds der Taten sind die Versagerbehörden mit geradezu krimineller Energie damit beschäftigt, die Spuren ihrer Unfähigkeit, Ignoranz und ideologischen Fehlsichtigkeit zu verdunkeln und zu vernichten. Der im Kalten Krieg geprägte, antikommunistische, skandalgeneigte, intransparente Inlandsgeheimdienst hat seine eigene altnazistische Vergangenheit bis heute nicht aufgearbeitet, hat im Kampf gegen Nazismus versagt, gefährdet Verfassung und Demokratie und ist demokratisch nicht kontrollierbar. Die Vertuschungs- und Aktenschredder-Aktionen, wie wir sie geballt erleben mußten, sind systembedingte Verdunkelungsstrategien, wobei der sogenannte Quellenschutz offenbar auch vor Mordaufklärung rangiert. Für mich war wirklich erschreckend: wie sich Neonazis und rechter Terror fast unbehelligt entwickeln und ihre Blutspur durch die Republik ziehen konnten, während der »Verfassungsschutz« mich – wie viele andere Linke und Antifaschisten – mit ideologischer Verbissenheit jahrzehntelang beobachtete und meine Bürgerrechtsarbeit in einer dicken, über 2.000seitigen geheimen Personenakte registrierte und als »verfassungsfeindlich« einstufte. (...) Ich möchte nur an einem Beispiel aufzeigen, mit welch perfiden Methoden der »Verfassungsschutz« meine Schriften einem »Extremismus«-Verdacht aussetzt. Da heißt es etwa in einem Text von mir: »Was dieses Land dringend nötig hätte, sind tiefgreifende politische und ökonomische Veränderungen ... Wir brauchen einen konsequenten Ausbau demokratischer Strukturen, die Verbesserung von Transparenz und demokratischer Kontrolle in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, sowie eine Stärkung und Absicherung der Bürgerrechte statt deren Aushöhlung.« Dazu sagt der »Verfassungsschutz«: »Diese auf den ersten Blick unverfängliche, ja als ein Bekenntnis zur Demokratie erscheinende Passage ist tatsächlich ein Aufruf zur Etablierung eines sozialistischen Staats- und Gesellschaftssystems. Die vom Kläger verwendeten Stichworte der ›tiefgreifenden politischen und ökonomischen Veränderung‹ und der ›demokratischen Kontrolle‹ von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sind Signalwörter der kommunistischen Doktrin ...« Woher weiß der »Verfassungsschutz« das? Aus dem »Kleinen Politischen Wörterbuch« der DDR, Baujahr 1983, Lieblingslektüre des Geheimdienstes. Danach bedeute grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft: »Revolution« – und das ist verfassungswidrig. Der »Verfassungsschutz« maßt sich also eine Deutungshoheit über meine Texte an und übt sie in geradezu inquisitorischer Weise aus. Meine Maxime lautet demgegenüber: Bürger- und Menschenrechtsarbeit ist ohne Staats- und Gesellschaftskritik nicht denkbar! (...) Unter Beobachtungsbedingungen gibt es keine Vertraulichkeit mehr. Um als Publizist meine Informanten im Zuge meiner oft heiklen Recherchen dennoch so gut wie möglich zu schützen, bedurfte es anstrengender, aufwendiger Klimmzüge. In Einzelfällen mußten Kontakte unterbleiben oder abgebrochen werden. Das gilt auch für meine Anwalts-, Parlaments- und Menschenrechtsarbeit. Das Mandatsgeheimnis und der Informantenschutz waren jedenfalls so nicht mehr durchgängig zu gewährleisten, meine Berufsfreiheit und berufliche Praxis mehr als beeinträchtigt. Wie sich herausgestellt hat, gab es ein ganzes Netzwerk von V-Leuten und Zuträgern, die den »Verfassungsschutz« offenbar mit Informationen über mich und meine persönlichen Kontakte versorgt haben. Daß ein Geheimdienst wie der »Verfassungsschutz« über vier Jahrzehnte unkontrolliert und grundrechtswidrig eine unabhängige Einzelperson, zudem einen Berufsgeheimnisträger beobachten, personenbezogene Daten erfassen, sammeln, auswerten und übermitteln kann und daß er dann auch noch den größten Teil der Personenakte geheimhalten darf, beweist anschaulich meine These, daß es sich dabei letztlich um eine demokratieunverträgliche Institution handelt, für die das Prinzip demokratischer Transparenz und Kontrollierbarkeit nicht gilt. Sie gehört allein schon deshalb aufgelöst. Im übrigen ist diese Überwachungsgeschichte über Beamtengenerationen hinweg auch ein Fall für den Bundesrechnungshof – wegen Verschwendung öffentlicher Gelder. Ende 2008 stellte das Bundesamt, zumindest offiziell, meine Beobachtung überraschend ein, nachdem es zuvor dem Gericht gegenüber eine Einstellung der Überwachung noch vehement abgelehnt hatte – obwohl ich inzwischen zum stellvertretenden Richter am Bremischen Staatsgerichtshof und zum Mitglied der Innendeputation gewählt worden war. Einer der Gründe, weshalb ich plötzlich nicht mehr beobachtet werden müsse, klingt höchst bemerkenswert: Die Bedrohungslage habe sich geändert und die knappen Ressourcen müßten nun für andere Schwerpunkte eingesetzt werden! Eine glatte Notlüge, um dem drohenden Urteil zuvorzukommen – ohne Klage wäre das nie passiert. (...) Nach dem Urteil vom 3. Februar 2011, das die Dauerüberwachung für grundrechtswidrig erklärte, habe ich bundesweit von vielen Menschen und Bürgerrechtsgruppen ermutigende Solidaritätsschreiben erhalten, für die ich mich von hier aus herzlich bedanken möchte. Dieses Urteil, die erfreulichen Reaktionen darauf, also auch die Verleihung des Kultur- und Friedenspreises, wirken wie eine Art Entschädigung für das über fünf Jahre dauernde, nervenaufreibende Gerichtsverfahren – obwohl das Urteil ja noch nicht rechtskräftig ist, da die Bundesregierung beim Oberverwaltungsgericht Münster die Zulassung der Berufung beantragte, über die immer noch nicht entschieden ist. So könnte aus der unglaublichen Geschichte noch eine unendliche werden. Wird die Berufung zugelassen, kann der Rechtsstreit noch Jahre dauern – bis ins hohe Rentenalter.
Erschienen in Ossietzky 7/2013 |
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