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Vor seine prophetische Vision hat der bolivianische Präsident – von seiner ethnischen Herkunft her ein Aymara – eine zeitliche Markung gesetzt: Er hat darauf hingewiesen, »daß laut Maya-Kalender der 21. Dezember das Macha-Ende und den Pacha-Beginn« kennzeichne. Auf diese Weise hat er all dem Weltuntergangs-Gequatsche der vorangegangenen Monate einen Schlußpunkt gesetzt! Doch sind Weltuntergangs-Phantasien beileibe keine Erfindung der Neuzeit. Vor allem Religionen und deren Künder haben in allen Vergangenheiten derlei Schreckenspiele getrieben, auch und vor allem mit der Angst einfacher, indes oft gläubiger Zeitgenossen – dies in sozial zerfurchten Ordnungen, Klassen-Unordnungen eben! Man findet derlei in uralten indischen Prophetien, im Islam sowie in altamerikanischen und auch neueren Religionen, im Judentum und vielfach im Christentum, also in Denk- oder Glaubensmodellen mit individuellen Heilsangeboten. Das ist dann auch mit Vorstellungen vom »Tag Jahwes« oder dem »Jüngsten Gericht« und vor allem sogenannten Endzeit-Vorstellungen und mitunter mit humanistischen, gar sozialrevolutionären Utopien verbunden. Weltuntergänge – und unter Welt verstand man das Gebiet, was man halbwegs überschaute. Der Kosmos war noch klein, und Sternzusammenstöße waren trotz intensiver Himmelsbeobachtungen durch Gelehrte, die meist Priester waren, kaum erkennbar. Kosmogonie (griechisch »Weltentstehung«) und Kosmologie (Lehre vom Weltall als Ganzem) waren noch unentwickelt und vorrangig magisch-religiös bestimmt, etwa bei den Babyloniern und Mesopotamiern, später bei den Griechen. Sie entwickelten sich erst in der Neuzeit, etwa ab Descartes, zu den modernen Naturwissenschaften. Diese entdeckten in Mikro- und Makrokosmos gewaltige Umbrüche, die auch Untergänge alter Kosmen als Entwicklungssprünge darstellen können. Ähnliche Themen, oft auch zu künstlerischen Stoffen geronnen, enthalten altgermanische Untergangssagen, das Weltende heißt da Ragnarök. Stoffe, aus denen Richard Wagner seine »Götterdämmerung« oder – wieder christlich – seinen Gral als Symbol einer jenseitlich besseren Welt hergeholt hat. Bezeichnenderweise hat man sie so hart nicht in den eher heiteren griechischen und römischen Geschichten der Antike – die mediterranen Völker lieferten sie lieber realiter und ließen sie zur Kunst gerinnen (Trojamythos) oder praktizierten Untergänge politisch wie die hellenischen Nachfolger Alexanders, schließlich praktisch wie die Römer – erst ging West-, dann Ostrom unter. Doch ganz ohne Untergangs-Ideen waren auch sie nicht, um nur Hesiod, Platon oder Aristoteles zu nennen; und als Dichter Vergil. Auch der alte Judengott Jahwe hatte solche Vorstellungen, diese seine mißratene Welt im alten Ozean untergehen zu lassen. Lag in dieser Vision bereits eine jüdische Ahnung, wie viele Fast-Untergänge ausgerechnet das jüdische Volk wird erleiden müssen?! Juden nannten solchen Untergang »Armageddon«; Zeugen davon gaben solche Epen wie das »Buch Henoch«, ja letztlich entstammt auch der Messias-Stoff mit seinem Hoffnungspotential diesen Epochen. Die Christen waren konkreter, freilich auch verlogener. Ausgerechnet im Dezember des Jahres 999 ließ Papst Silvester II. einen Weltuntergang für den 31. des Monats ankündigen – es sollte einfach keinen 1. Januar mehr geben. Der kam aber doch dank seiner – also des Kirchenfürsten – Gebete, und alles ging weiter, konfliktbeladen wie immer. Was haben dafür nachher die Völker zahlen müssen! Diese Herren nahmen doch immer. Das Christentum übernahm von abrahamitischer Tradition einiges und entwickelte Endzeitvorstellungen, am stärksten im Johannes-Evangelium. Niemand hat solch große Bilder der Apokalypse entwickelt wie die Christen. Solches geht nur bei Vorstellungen eines Jenseits als besserer Welt. Freilich: Ein Martin Luther hatte 1585 sinnigerweise empfohlen, beim Weltenende ein »Apfelbäumchen« zu pflanzen. Die meisten Renaissance-Dichter dachten eher positiv, Weltuntergänge spielten eine eher geringe Rolle. Im Europa des 17. Jahrhunderts kamen immer wieder solche Bilder auf – in den vierzig Jahren der französischen Hugenottenkriege und im Dreißigjährigen europäischen Krieg in Deutschland. Bürgerliche Aufklärung und Französische Revolution beförderten andere Bilder, die Klassik erst recht. In der Romantik kamen sie wieder, doch arg klein, und da trieb sie Heinrich Heine hinaus oder machte sie revolutionär. Im 20. Jahrhundert rückten solche Untergänge über politischen Zerfall alter Systeme und militärische Erfindungen und Praxis zweier Weltkriege bis Hiroshima sehr nahe. Die Literatur von Thomas Mann über die Expressionisten wie Jakob Hoddis »Weltende«, Erich Kästner »Das letzte Kapitel«, Paul Zech »Deutschland, dein Tänzer ist der Tod« bis hin zum jüdischen Dichter Leo Perutz variiert das Thema, doch im Sinne des Widerstandes gedacht. Jörg Zink beschrieb »Die letzten sieben Tage der Schöpfungsgeschichte«; Michail Bulgakow führte das Thema in seinem opus magnum, dem Roman »Der Meister und Margarita« ein und durch. Ein besonders belangvolles Theaterstück ist vom Österreicher Jura Soyfer (herkunftsmäßig ukrainischer Jude) »Der Weltuntergang – Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang«, um 1936 entstanden und in einem Wiener Cafétheater (nur für 50 Personen zugelassen, nur auf solcher Bühne zensurfrei) uraufgeführt worden: Die Sonne ist unzufrieden mit der kriegerischen Erde und beauftragt den Kometen Konrad, diese zu zerstören. Konrad umfliegt die Erde, lernt sie lieben. Er hört Wiener Chansons wie das der Straßensänger »Gehen ma halt a bisserl unter«, bemerkt das Wiener Laissez-faire, doch auch den Willen zum Widerstand. Er kehrt zurück und verteidigt die Erde vor dem Rat der Planeten. Sein »Kometensong« wurde später zum »Lied von der Erde«, welches ich 1951 von der Bühne auf den Treppen vor dem heutigen Konzerthaus anläßlich der damaligen Weltfestspiele der Jugend und Studenten gemeinsam mit einer jungen Sprecherin vorgetragen hatte – die Erstaufführung für Berlin. Es sei hier vollständig zitiert: Denn nahe, viel näher, als ihr es begreift, Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde, Denn nahe, viel näher als ihr es begreift, Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde, Wer in dieser Erdenwelt ist noch zu solchem Optimismus fähig?
Erschienen in Ossietzky 6/2013 |
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