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Februar ist es dann endlich soweit: Die 22. Internationale Buchmesse, deren Partnerland in diesem Jahr Angola ist, wird mit einer feierlichen Zeremonie im Hof der alten Festungsanlage La Cabañas an der Hafeneinfahrt von Havanna eröffnet. Der Träger des Nationalpreises für Literatur des Jahres 2010, der in Uruguay geborene und seit 1969 in Havanna lebende Schriftsteller Daniel Chavarria, dessen Werk die diesjährige Messe gewidmet ist, wendet sich in seiner Eröffnungsansprache an die Vertreter des Partnerlandes. »Sie sind hier in Kuba auf heimatlichem Boden«, sagt der ehemalige Widerstandskämpfer, der als politisch Verfolgter hier Schutz gefunden hat und sich mittlerweile als »kubanischen Schriftsteller« bezeichnet. Bereits der Nationalheld José Martí habe das kubanische Volk gelehrt, daß »Menschen, die für die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen, auf der ganzen Welt eine Heimat haben«. Die Kulturministerin des afrikanischen Landes greift den Ball auf: »Wir haben uns nur befreien können«, sagt Rosa Maria da Cruz e Silva, »weil die Schüler von Martí uns selbstlos unterstützt haben. Unser Volk wird nie vergessen, daß Tausende Kubaner im Kampf gegen die Söldner des Apartheid-Regimes ihr Leben für unsere Freiheit gegeben haben.« Über den Befreiungskampf der schwarzen Sklaven auf Kuba bekomme ich am nächsten Tag Informationen aus erster Hand. Der Präsident des kubanischen Schriftsteller- und Künstlerverbandes, der Ethnologe und Schriftsteller Miguel Barnet, empfängt mich in seinem Büro. Der 73jährige ist einer der bedeutendsten Literaten Kubas, wurde mit nahezu allen nationalen Preisen ausgezeichnet und ist seit 2004 – als einer von nur zwei Kubanern – Träger des deutschen Bundesverdienstkreuzes. Neben zahlreichen Büchern hat Barnet zwei Schlüsselwerke zum besseren Verständnis der kubanischen Wurzeln geschrieben. Die Lebensgeschichte eines galizischen Auswanderers (»Alle träumten von Kuba«, 1983) und die weltbekannte Biographie des entlaufenen Sklaven Esteban Montejo (»Der Cimarrón, 1966). Am Ende einer längeren Unterhaltung lädt Barnet mich für den nächsten Abend in das Kulturzentrum Bertolt Brecht zur kubanischen Premiere der legendären Vertonung seines Werkes durch seinen Freund Hans Werner Henze ein. Das Libretto dazu hatte vor 33 Jahren Hans Magnus Enzensberger, ein gemeinsamer Freund Barnets und Henzes, geschrieben. Der deutsche Musiktheaterregisseur Andreas Baesler hat fünf Jahre an der Verwirklichung seines Traumes gearbeitet, den »Cimarrón« (wie in Kuba entlaufene Sklaven genannt wurden), hier – am Ort seiner Handlung – auf die Bühne zu bringen. Die stehenden Ovationen, mit denen das Premierenpublikum im Theatersaal des Kulturzentrums die deutsch-kubanische Koproduktion feiert, sind ein gerechtfertigter Lohn für die Anstrengung. Ein unvergeßlicher Abend. Während der Buchmesse, dem Kultur- und Volksfest für alle, folgt ein Höhepunkt auf den anderen. Am 17. Februar mische ich mich unter das Treiben Zigtausender Familien, die durch die weitläufige Festungsanlage auf der gegenüberliegenden Seite der Hafeneinfahrt bummeln, sich an den unzähligen Buden mit Essen, Trinken oder Süßigkeiten versorgen und fast alle große Tüten mit unterschiedlichsten Büchern tragen. Mit 3.500 verschiedenen Titeln, von denen insgesamt mehr als vier Millionen Exemplare zur Verfügung stehen, ist das Angebot so groß wie nie zuvor. Knapp 400 Autoren aus 37 Ländern sind zur Präsentation ihrer Werke nach Havanna gekommen. Am Nachmittag wird der Nationalpreis für Literatur des Jahres 2012 an den derzeit im In- und Ausland meistgelesenen kubanischen Schriftsteller, Leonardo Padura, überreicht. Anfang der 1980er Jahre war der Universitätsabsolvent als Jungredakteur der Literaturzeitschrift El caimán barbudo für seine an Tabus rührenden Artikel strafversetzt worden. Die Laudatio zur feierlichen Preisübergabe führt mir vor Augen, welche Veränderungen das Land in den letzten 30 Jahren durchlaufen hat. Als Padura erfährt, daß meine kubanische Familie bereits seit 50 Jahren in seiner unmittelbaren Nachbarschaft im Arbeiterviertel Mantilla lebt, lädt er mich spontan zu sich nach Hause ein. Beim Besuch bleibt der größte Teil meiner sorgsam überlegten Fragen schließlich ungestellt. Stattdessen wird es ein langes Gespräch über Literatur, Journalismus, Anpassung, Duckmäusertum und Ketzerei. (»Ketzer« lautet der Titel seines nächsten Werks, das im Herbst in Spanisch und Anfang 2014 in deutscher Übersetzung erscheinen wird.) Am Ende verliert sich unsere Unterhaltung in gegenseitigen Liebeserklärungen an das ärmliche aber einzigartige »Barrio« Mantilla und einer Fachsimpelei über die Arbeiter-Baseball-Mannschaft »Industriales«. Kurz vor Ende der Buchmesse steht Havanna aus einem weiteren Grund im Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit. Dimitri Medwedew, der Premierminister der Russischen Föderation, ist mit einem Troß von Hunderten Regierungsbeamten, Diplomaten und Journalisten aus Brasilien kommend im Anflug. Neben der Ehrung des Nationalhelden José Martí und dem Empfang beim Staatsrat stehen Gespräche mit Präsident Raúl Castro und dessen Vorgänger, Revolutionsführer Fidel Castro, auf seinem Programm. Das wichtigste aber ist die Unterzeichnung von zehn bilateralen Abkommen, mit denen beide Länder eine strategische Partnerschaft für die Zukunft besiegeln. Am gleichen Tag, als die Buchmesse in Havanna ihre Tore schloß, um mit Hunderten Veranstaltungen durch die Provinzen zu ziehen, wurde in der Hauptstadt mit der Konstituierung der Anfang Februar gewählten neuen Nationalversammlung (dem kubanischen Parlament) die neue fünfjährige Legislaturperiode eröffnet, in der weitere entscheidende Aktualisierungen des sozialistischen Gesellschaftsmodells zu erwarten sind. Es bleibt also spannend in Havanna.
Erschienen in Ossietzky 6/2013 |
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