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November 2012 berichtet über eine Studie des Konsumforschers Timothy Devinney: Die Menschen neigten dazu, »den Einfluß von ethischen Grundsätzen auf ihr Einkaufsverhalten dramatisch zu überschätzen«. »Der ethisch korrekte Kunde, der die Konzerne zur Nachhaltigkeit zwingt, ist ein Mythos.« Weil es chic sei, ökologisch korrekt einzukaufen, würde das bei Befragungen angegeben. Verhalten würden sich die Leute aber nicht danach. An der richtigen Einstellung scheint es also nicht zu fehlen. Die Managementberatung Kienbaum und das Center of Automotive Research an der Universität Duisburg Essen (Wirtschaftswoche vom 10. Januar 2012) stellen fest: »94 Prozent der deutschen Verbraucher finden Umweltschutz wichtig und 84 Prozent glauben, daß sie nicht zuletzt durch ihr Konsumverhalten einen persönlichen Beitrag zum Umweltschutz leisten können.« Damit würde das Umweltargument entscheidend für den Verkauf – besonders bei kleineren Anschaffungen, so Bekleidung. Die Frage ist nun, ob diese Einsichten zu entsprechenden Kaufentscheidungen, zu »politischem Konsum« führen. Haben wir genug richtige Informationen, können wir durchschauen, ob wir getäuscht werden? Und weiter: Was können wir nicht durch unsere Käufe beeinflussen? Was wirkt zuverlässiger? Die Politik, also die Gesetzgebung, oder der politische Konsum, der Boykott? Nun ist es sicherlich schwierig, auf die Gesetzgebung (und die Ausführung von Gesetzen) in einem Billiglohnland einzuwirken. Aber es ist möglich, die jeweiligen Gewerkschaften an Ort und Stelle finanziell zu unterstützen. Und wenn bei Auslandsreisen deutsche Politiker fordern, die Menschenrechte zu respektieren, sollten nicht das Arbeitsrecht, der Arbeitsschutz dazugehören? Beim Boykott würde der souveräne Konsument mit seinen Entscheidungen zu steuern versuchen, was produziert werden soll und unter welchen Bedingungen. Das entspricht nicht der herkömmlichen Praxis. Denn seit mehr als hundert Jahren kämpft eine in Gewerkschaften und politischen Parteien organisierte Arbeiterschaft für höhere Löhne, weniger Arbeitszeit und bessere Arbeitsbedingungen, also für kollektive, politische Regelungen. Soll sie es nun stattdessen mit der Konsumentensouveränität versuchen? Ludwig von Mises sieht darin das einzig richtige Steuerungsinstrument. In seiner »Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens« schreibt er (S. 259f): »Die Verbraucher sind es mithin, die mittelbar alle Preise und Löhne [...] bestimmen. [...] Mit jedem Groschen, den sie ausgeben, beeinflussen sie Richtung, Umfang und Art der Produktion [...]. Man hat diese Gestaltung der Dinge mit der politischen Demokratie verglichen und davon gesprochen, daß der Markt eine Demokratie bilde, bei der jeder Pfennig einen Stimmzettel darstelle. [...] Die demokratische Wahlordnung mag eher als ein unzulänglicher Versuch angesehen werden, im politischen Leben die Marktverfassung nachzubilden. Auf dem Markt geht keine Stimme verloren.« Sein Schüler Friedrich von Hayek, Milton Friedman und die Neoliberalen insgesamt vertreten bekanntlich dieselbe Auffassung. Alles ist also eine Sache der freien Entscheidung der Konsumenten. Wie ernsthaft und redlich auch die Entrüstung über die Zustände in den Billiglohnländern ist, wie sehr wir uns ärgern über versaute Lebensmittel und unsere Kaufentscheidungen danach auszurichten versuchen: Das allein kann nicht zum Erfolg führen. Die Politik muß dem zur Seite stehen. Sie muß sicherstellen, daß wir überhaupt die Entscheidungen treffen können, die unsere Vorstellungen ausdrücken – und sie muß das besorgen, was durch Kaufentscheidungen nicht zu erreichen ist. Zuallererst sind hinreichende Informationen gefragt. Wir müssen wissen, unter welchen Arbeitsbedingungen produziert wird. Da geht es nicht nur um billige Bekleidung und Lederwaren oder den billigen Pauschalurlaub. Auch Teures wird unter schlechten Bedingungen hergestellt. (Was verdienen denn die Leute, die in teuren Hotels die Zimmer säubern?) Und wenn es um die Qualität der Produkte geht: Wir müssen wissen, was tatsächlich drin ist in den Lebensmitteln, wie es in der Praxis der Viehzucht aussieht. So berichtet Report Mainz am 5. Februar 2013 über das neue Tierschutzlabel, das der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes Mitte Januar in Berlin an der Seite von Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner vorstellt hat. Indem der Präsident des Tierschutzbundes mit der Ministerin Aigner zusammen auftrat, sollte wohl deutlich gemacht werden, daß der Tierschutzbund auf freiwilliger Basis das schafft, wozu sich die Politik nicht in der Lage sieht, nämlich wirkliche Verbesserungen etwa in der Schweinehaltung. Tatsächlich weist Report Mainz nach, daß die Veränderungen für die Tiere gering sind und nach Auffassung eines Veterinärs kaum »wesensgerecht«. Es ging also um Greenwashing durch ein neues Label. Das darf nicht überraschen, denn bei diesem Projekt arbeitete der Deutsche Tierschutzbund unter anderem mit dem international bedeutenden Fleischkonzern Vion zusammen. Dieser wirbt mit dem Label. Das kann keine zuverlässigen Informationen garantieren. Aber auch zutreffende Information müssen nicht zu entsprechenden Entscheidungen führen. Wo das Einkommen niedrig ist und überdies sinkt, kann trotz aller Einsichten nicht »jeder Pfennig ein (richtig ausgefüllter) Stimmzettel« sein. Von 1991 bis 2011 stieg der Index der Lebenshaltung in Deutschland um rund 46 Prozent. Die Kosten für Wohnung, Wasser, Strom, Gas machen hiervon 30 Prozent aus. Diese Kosten sind in der betreffenden Periode um 73 Prozent angestiegen, die Preise für Bekleidungsartikel dagegen nur um 15 Prozent. Das bedeutet: Die billigen Textilien und andere billige Waren ermöglichen es in vielen Fällen, daß bei uns die Wohnung gehalten, die hohen Mieten weiter bezahlt werden können. Wer also zieht letzten Endes den Vorteil aus den Billigimporten – und damit aus den miesen Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen bei der Herstellung dieser Waren? Die Käufer? Die können bei Nahrung und Kleidung sparen, dafür aber zahlen sie den Wohnungseigentümern höhere Mieten. Fazit: Die Billigimporte subventionieren die Grundrente.
Erschienen in Ossietzky 5/2013 |
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