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In seinem Vorwort stellt der CDU-Politiker, der auch Kulturstaatsminister genannt wird, mit aller Klar- und Offenheit fest: »Die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in der SBZ und in der DDR ist auch über 20 Jahre nach der Wiedergewinnung der Deutschen Einheit eine für Staat und Gesellschaft notwendige Aufgabe. Einen Schlußstrich unter das begangene Unrecht kann und wird es nicht geben. Dies sind wir nicht nur den Opfern, sondern auch den Menschen, die die Friedliche Revolution erst möglich machten, den Politikern, die die Wiedervereinigung durchgesetzt haben, und vor allem unseren Werten Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schuldig.« Und Neumann und die Bundesregierung tragen die Schuld ab: mit 75.053 Worten auf 261 Seiten. Trotz dieser beeindruckenden Ausführlichkeit ist in dem Regierungsreport nicht viel Neues zu erfahren, er ist eher ein neuer Aufguß abgestandenen Kaffeesatzes. Inhalt und Duktus sind hinreichend bekannt. Zu ersehen ist das allein schon daran, daß den Lesern, so sich denn welche finden, die Worte »Diktatur« 280 mal, »SED-Diktatur« 167 mal, »Mauer« 193 mal, »Staatssicherheit« 146 mal, »Stasi« 88 mal, »Unrecht« 75 mal serviert werden. Was die »Aufarbeitung« anbelangt, das Wort taucht immerhin 268 mal auf, so war diese gottlob erfolgreich. Sie konnte »in den vergangenen Jahren verstärkt und intensiviert werden«. Die daran beteiligten Institutionen und Einrichtungen werden von allen Seiten positiv betrachtet – sowohl die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, der Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen als auch die Gedenkstätten Münchner Platz Dresden, Andreasstraße Erfurt, Ketschendorf, Checkpoint Bravo und viele andere. Die phänomenale Zahl von Aufarbeitungs-, Gedenk- und Erinnerungsstätten kostet freilich Geld. So wird denn in dem Bericht mitgeteilt, daß der Bund jährlich mehr als 100 Millionen Euro dafür aufbringe, wozu Beiträge der Länder und der Opferverbände hinzukämen. Es scheint, daß die Berichterstatter an diesem Punkt ein klein wenig untertreiben, denn allein die MfS-Unterlagen-Gauck-Birthler-Jahn-Behörde verschlingt jährlich rund 100 Millionen Euro. Schwerlich ist anzunehmen, daß zum Beispiel Rainer Eppelmann, Hubertus Knabe und viele andere in ihren Aufklärungsinstitutionen ehrenamtlich arbeiten. Aber was bedeuten schon diese Lappalien im Vergleich zur erfolgreichen Gesamtbilanz der mehr als 20jährigen mühevollen Aufarbeitung, die gebührend gewürdigt wird. Bedauerlicherweise fallen in diesen Freudenbecher zwei klitzekleine Wermutströpfchen, die selbst den Erfolgsbilanzierer besorgt machen: »Durch den wachsenden zeitlichen Abstand zur friedlichen Überwindung der deutschen Teilung entwickeln sich zwei Tendenzen in der Wahrnehmung der DDR, die besorgniserregend sind: die Verharmlosung, mitunter sogar Verklärung des Lebens unter der SED-Diktatur und das ausgeprägte Nichtwissen insbesondere junger Menschen über die DDR und die dort herrschenden Verhältnisse. Dies wurde ... durch die 2008 veröffentliche Studie von Monika Deutz-Schroeder und Klaus Schroeder über das DDR-Bild von Schülern im Ost-West-Vergleich nachgewiesen ...« Ja, das ist die bekannte Studie, in der mit Erschrecken festgestellt wurde, daß Bayerns Hauptschüler über das SED-Regime besser informiert sind als die Gymnasiasten in Brandenburg. Die Ursache sieht Forscher Schroeder darin, daß die Schüler in dem ostdeutschen Bundesland im Unterschied zu den westdeutschen in der Schule kaum etwas über die DDR lernten. Ihre Meinung über den untergegangenen Staat entstehe aus Gesprächen mit den Eltern und Verwandten, und die beklagenswerten Schüler würden offensichtlich mit den Erzählungen der Eltern, die die DDR verklären und romantisieren, allein gelassen. Da haben es die bayerischen Hauptschüler einfach besser. Sie haben eben Eltern, die von der DDR wenig wissen, dafür aber tolle Schulbücher. Fazit: Die DDR-Aufarbeiter haben noch viel zu tun, in den neuen Bundesländern und vor allem deren Schulen, in denen es dem Aufruf Neumanns zufolge gilt, »die Anstrengungen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur noch weiter zu verstärken«. Doch auch im Ausland wartet viel Arbeit, denn, so ist im Bericht zu lesen: »Der Weg Deutschlands in der Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Erbe genießt Achtung in der Welt und ist vielfach Vorbild nicht nur in Ostmitteleuropa, sondern auch im Nordafrika des ›Arabischen Frühlings‹. Ägypten und Tunesien suchen bei der Auseinandersetzung mit ihrer jüngsten Geschichte die Expertise deutscher Aufarbeitungseinrichtungen.« Da kommt Freude auf – bei Eppelmann, Knabe, Schroeder und anderen Aufarbeitern. Sie können sich in Bälde auf den Weg machen, um die herrschenden Islamisten in Tunis und die Moslembrüder in Kairo mit ihren Erfahrungen zu beglücken. Noch wirksamer wäre es selbstverständlich gewesen, wenn der bewährte Aufklärer Joachim Gauck seinen ägyptischen Amtskollegen Mohammed Mursi während dessen Besuch in Berlin gelehrt hätte, wie Diktaturen aufzuarbeiten sind. Doch Mursi mußte seinen Besuch vorzeitig beenden, um die Früchte des »Arabischen Frühlings« zu retten, und das geplante Treffen beider Staatsoberhäupter fiel ins Wasser. Nun muß der Bundespräsident wohl selbst an den Nil reisen, um das Aufarbeitungs-Tête-à-tête nachzuholen und seine Erfahrungen und Ratschläge an den Mann zu bringen. Bei dieser Gelegenheit könnte er auch wie schon so oft berichten, daß Freiheit sein »Lebensthema« ist, da er doch »in zwei Diktaturen gelebt« habe. Apropos »zwei Diktaturen«. Wann ist eigentlich mit einem »Bericht der Bundesregierung zum Stand der Aufarbeitung der Nazi-Diktatur« zu rechnen? Aber bitte keine Hektik! Gut Ding will eben Weile haben.
Erschienen in Ossietzky 4/2013 |
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