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Zu dieser Zeit war Afrika schon weitgehend zwischen den Kolonialmächten aufgeteilt; das heutige Mali wurde auf den Karten als französischer Sudan bezeichnet. Eine vollkommene Eroberung des Nordostens schien der französischen Regierung nicht opportun, da man mit den dort herrschenden Tuaregstämmen schlechte Erfahrungen gemacht hatte. 1881 war ein französisches Expeditionskorps von Algerien aus in das Herrschaftsgebiet der Tuareg aufgebrochen. Zwei Monate lang konnte die 93 Mann starke Truppe ungehindert vordringen. Dann wurde die gesamte Expedition von den Tuareg vernichtet. Seit 1883 war Bamako französische Garnisonstadt. Die Eroberung des Nordostens, vor allem aber der sagenumwobenen Stadt Timbuktu stand zwar im fernen Paris nicht auf der Tagesordnung, aber in der Garnison gab es immer wieder entsprechende Planspiele. Nur zu gern wollte man die heilige Stadt des Islam erobern und so in die Geschichte eingehen. Am 25. Dezember 1893 war es soweit. Während der Oberst Bonnier von der Stadt Ségou aus mit einer Flotte von 300 Einbäumen den Wasserweg nahm, schlug Kommandant Joffre den Landweg nach Timbuktu ein. Der Kapitänsleutnant Boiteux, Kommandant der Nigerflotte, fuhr eigenmächtig bis nach Timbuktu und erreichte die Stadt am 11. Dezember. Eine seiner Abteilungen mit 16 Soldaten wurde vernichtet, aber am 10. Januar besetzten die französischen Truppen die sagenumwobene Stadt, kampflos, wie es in dem Bericht heißt. Am 12. Januar unternahm Oberst Bonnier eine Aufklärungsmission in die Umgebung der Stadt, um Nomaden aufzuspüren. Drei Tage lang wurde geplündert und massakriert, Frauen adliger Tuareg wurden gefangengenommen. Am 14. Januar wurde in Takubao ein Lager aufgeschlagen. Kurz vor Morgengrauen griffen die Tuareg an. Von den 14 Franzosen starben elf, darunter Oberst Bonnier, 70 Mann der afrikanischen Hilfstruppen wurden vernichtet. Ein Jahr lang waren die Eroberer von Timbuktu praktisch eingeschlossen, auch Jahre später gab es Überfälle und Hinterhalte, bis die Gegend dann schließlich »pazifiziert« wurde. Bis heute ist die »Pazifizierung« der Tuareg nicht gelungen. Das kämpferische Nomadenvolk der Sahelzone praktiziert einen eigenwilligen Islam, der wenig mit den fundamentalistischen Glaubenssätzen der Wahabiten von der arabischen Halbinsel zu tun hat. Die von den Berbern abstammende Volksgruppe wird bis heute von den Arabern verachtet, von der schwarzen Bevölkerung des Südens gefürchtet. Die Sehnsucht nach einem eigenen Staat hat sie oft zu Allianzen geführt, die sich als nachteilig erwiesen. Solange die Tuareg Gaddafi mit Söldnern unterstützten, konnten sie sich auf den libyschen Herrscher verlassen. Nach dessen Sturz konnten sie zumindest ein großes Waffenarsenal ihr eigen nennen. Durch die schwache Regierung in Bamako schien der Traum vom eigenen Staat näher zu rücken. Im Bündnis mit arabischen Islamisten konnte man das Territorium des zukünftigen Staates Azawad schnell erobern. Doch die neuen Verbündeten wollten von einem Staat der Tuareg nichts wissen und wurden schnell zu Gegnern. Wer den Nordosten des heutigen Mali wirklich »pazifizieren« will, muß dieser Volksgruppe wenn nicht einen eigenen Staat dann weitgehende Autonomie gewähren. Die Grenzen von Mali sind wie fast alle Grenzen Afrikas willkürlich, einst im fernen Europa mit dem Lineal gezogene Einflußsphären, die keine Rücksicht auf Ethnien nahmen. Frankreich und die EU täten gut daran, zumindest in diesem Teil Afrikas ein Stück Wiedergutmachung zu leisten und das Existenzrecht des Tuareggebietes einschließlich der Bodenschätze zu garantieren. Leider scheint das Frankreich des François Hollande alten Reflexen zu gehorchen und die Wüstenkrieger als islamische Terroristen zu bekämpfen. So könnte es ein langer Konflikt werden. Der angekündigte Einsatz bewaffneter Drohnen der USA wird die Sache eher verschlimmern: Der Mann am Joystick im fernen Amerika wird wohl kaum einen Unterschied zwischen einem Islamistenkonvoi und einer Tuaregkarawane machen. Auf ein weiteres Problem hat Claude Angeli in der Wochenzeitung Le canard enchaîné aufmerksam gemacht. Der Journalist, welcher über gute Kontakte zum französischen Geheimdienst DGSE verfügt, hat schon mehrmals auf die zwielichtige Rolle des Emirats Katar hingewiesen, welches offensichtlich schon länger islamistische Gruppen in Libyen und Mali mit Geld und Waffen unterstützt. Gleichzeitig ist das Emirat aber einer der wichtigsten Kunden der französischen Rüstungsindustrie, zur Zeit soll der Anteil der in Frankreich gekauften Ausrüstung 80 Prozent betragen. Am 16. Januar mußte schließlich der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian im Radiosender RTL zugeben, daß »vielleicht Gruppierungen aus Katar und Saudi-Arabien diese Dschihadistenkämpfer finanzieren«. Kurz vor der Einnahme der Stadt Gao in Nordmali haben deutsche Geheimdienste und französische Militärs bestätigt, daß zwei Großraumflugzeuge des katarischen Roten Halbmondes vom dortigen Flugplatz gestartet sind. Aber kann Frankreich es sich leisten, auf die lukrativen Geschäftsbeziehungen zu den reichen Golfstaaten zu verzichten? Am 24. Januar gab es im französischen Außenministerium ein Treffen, an dem Diplomaten, Forscher, Akademiker und Geschäftsleute teilnahmen. Es ging darum, wie man mit einem Land umgehen soll, welches zumindest als Investor in Frankreich hoch willkommen ist. Auch hier gilt wohl das Primat der Ökonomie ...
Erschienen in Ossietzky 4/2013 |
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