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Landtagswahl 2013 in Niedersachsen

Ein Kommentar

von Björn Brennecke, Stefan Janson & Gregor Kritidis

Der Wahlsieg von SPD und GRÜNEN bei der Landtagswahl am 20. Januar 2013 irritiert in verschiedener Hinsicht. Zum einen handelt es sich um ein äußerst knappes Wahlergebnis, das nach dem deutlichen Vorsprung, der der Kombination Rot-Grün im Sommer in den Umfragen vorhergesagt worden war, überraschte. Zum anderen ist bemerkenswert, dass die Wahlbeteiligung etwas höher lag als 2008. Zudem ist erklärungsbedürftig, weshalb es dem bürgerlichen Lager in Arbeitsteilung gelang, sich noch auf den letzten Metern an ein Patt mit dem progressiven Lager heranzurobben, während die mangelnde Bereitschaft vieler grüner Wähler, die Erststimme einem Sozialdemokraten zu geben, manches SPD-Direktmandat verhindert hat. Weiterhin ist zu klären, weshalb die Partei "Die Linke" nach allen Seiten verloren hat und nicht mehr im Landtag vertreten ist. Die soziale Konstellation, in der die Wahl stattgefunden hat, und die weitere Entwicklung werden ebenfalls thematisiert.

Der Wahlkampf – Polarisierung trotz Harmlosigkeit?

CDU: Selbstzufriedenheit und Verlustängste

Das deutsche und auch das niedersächsische Besitzbürgertum braucht in der Regel lediglich den Status Quo zu verteidigen. Es reicht, wenn die Damen und Herren, die mit dem „silver spoon in their mouth“ geboren wurden, sich in einträglichen Positionen in Legislative oder Exekutive befinden und das verwalten, was ist. Dann reichen – mehr als bei allen anderen Parteien – Köpfe, die von Plakaten an den Straßenrändern selbstzufrieden heruntergrinsen. In diese Rubrik fällt auch die Schlussrede des amtierenden Ministerpräsidenten McAllister im sogenannten "Spitzenduell" mit dem Herausforderer Stephan Weil am 10. Januar, bei dem McAllister eine peinlich berührende Eloge auf die Schönheit Niedersachsens hielt und ernsthaft behauptete, ein mündiger Wähler könnte auf die Idee kommen, dies für ein Verdienst der CDU/FDP-Regierung zu halten.

FDP: Inhaltsleer

Bemerkenswert war das Abschneiden der FDP. Nachdem die Partei in den Umfragen weitgehend abgeschrieben war, gelang es der CDU, dem Koalitionspartner eine Bluttransfusion zu verabreichen. Vor allem an der Basis scheint die Befürchtung eines Regierungswechsels zahlreiche CDU-Wähler zu einer Stimmenabgabe für die FDP motiviert zu haben, wie eine Auswertung der Ergebnisse von Erst- und Zweitstimmen zeigt. Die Liberalen mögen nach wie vor unpopulär sein – für viele Konservative in Niedersachsen stellen sie das kleinere Übel dar, was allen Gedankenspielen über Schwarz-Grün eine Grenze zeigt. Das ist auf Bundesebene freilich anders, da die Annäherung von grünem und schwarzen "Bürgertum" in vielerlei Hinsicht längst realer ist als die gescheiterte Hoffnung auf die Aussöhnung von sozialer und ökologischer Frage.

SPD: Dröge, technokratisch, ängstlich

Nicht weniger peinlich als die Kampagne der CDU war die der niedersächsischen Sozialdemokratie, die mit inhaltsfreien Sprüchen aufwartete. Das ging von "Weil besser" bis zum "Anpacken. Besser machen", die sich die Partei trotz ihrer Leere dem Vernehmen nach rund 2 Millionen € kosten ließ. Immerhin wurde auch die eine oder andere Sachaussage plakatiert, allerdings nicht in das argumentative Zentrum der Kampagne gestellt. Statt mit klaren Ankündigungen zur Abschaffung der Studiengebühren, dem Herausnehmen von Stress aus dem Schulalltag, der Erleichterung der Gründung von integrierten Gesamtschulen, die Unterstützung eines Mindestlohns durch ein Landesvergabegesetz und der Unterstützung einer Agrarwende die Herzen der Wählerinnen und Wähler zu erobern, wurden über Wochen und Monate eine Kandidatin bzw. ein Kandidat nach dem bzw. der Anderen präsentiert. In den Medien wurden diese Kandidatinnen wegen des Übergewichts bürgerlicher Berichterstattung mehr oder minder totgeschwiegen. Dabei ging beispielsweise verloren, dass die Kandidatin für den Justizbereich, die Hamburgerin Pörksen, für eine demokratische und linksliberale Justizpolitik steht, oder dass die Kandidatin für das Ressort Europa, Regionalpolitik und Landwirtschaft Honé die einseitige Förderung westniedersächischer Agrarfabriken beenden und dafür die strukturschwachen Regionen im Süden und Osten des Landes wirtschaftlich und sozial stärken will. Ihr "Südniedersachsenplan" – der von den überregionalen niedersächsischen Medien weitgehend ignoriert wurde – dürfte eine Rolle dabei gespielt haben, dass der niedersächsische Süden ganz überwiegend von sozialdemokratischen Kandidaten gewonnen wurde. Durchaus beachtliche und unterstützenswerte Ansätze, die aber durch den Boykott mancher Lokalzeitungen nicht recht öffentlich wurden. Insgesamt folgte der Wahlkampf der juristischen Logik des Spitzenkandidaten; Juristen denken in Institutionen, bestenfalls Personalien, nicht jedoch in politischen Feldern. Hinzu kam, dass der Kanzlerkandidat der Bundes-SPD Steinbrück bei vielen sozialdemokratischen Anhängern Gruseln auslöste, wenn auch nicht bei allen. Die soziale Instinktlosigkeit Steinbrücks, dessen politische Vita sich in der staatlichen Bürokratie und in der Reihe der Wahlverlierer abgespielt hat, führte nicht etwa zur Disqualifikation, im Gegenteil, er wurde von Weil immer wieder aktiv in den Wahlkampf hineingenommen, ebenso wie Gerhard Schröder, der an allen zentralen Veranstaltungen der SPD beteiligt wurde. Die SPD-Anhänger entblödeten sich nicht, diesen Führungsfiguren der neoliberalen SPD-Fraktion trotz ihrer verheerenden politischen Bilanz immer wieder zuzujubeln und zu applaudieren. Man wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass einem erheblichen Anteil der Sozialdemokraten der Agenda 2010-Kurs nicht aufgezwungen werden musste, sondern sie ihn aus kleinbürgerlichem Ressentiment oder gar neoliberaler Überzeugung auch weiterhin mittragen werden. Viele sozialdemokratisch Wähler sahen das jedoch anders: So erreichte Doris Schröder-Köpf, obwohl sie massiv von der Partei nach vorne geschoben wurde, in Hannover kein Direktmandanat. Offenbar kommt es nicht sehr gut an, wenn Leute lediglich auf Grundlage eines politisch zweifelhaften Prominenten-Bonus in die erste Reihe geschoben werden. Für die Bundestagswahlen lassen sich aus dem knappen Ergebnis durchaus Rückschlüsse ziehen; Spitzenkandidat Steinbrück hat selbst zugegeben, dass er zum Wahlsieg in Niedersachesen nicht positiv beigetragen hat. Das bedeutet für den Herbst, dass die SPD bestenfalls trotz Steinbrück gewinnen kann, denn es gibt in der SPD keine Kraft, die noch ernsthaft einen Kandidatenwechsel in Erwägung ziehen würde.

Die Linke: auf dem Weg zur Überflüssigkeit?

Nicht minder ungünstig verlief die Kampagne der Partei "Die Linke", die teilweise lächerliche Parolen plakatierte und etwa zu Weihnachten "Statt Spekulanten Kinder beschenken" wollte. Der Versuch, Sarah Wagenknecht und Gregor Gysi als Speerspitzen der niedersächsischen Linken herauszustellen und sich ungefragt Rot-Grün als Mehrheitsbeschaffer anzubieten, dürfte kaum dazu beigetragen haben, das Profil des niedersächsischen Landesverbandes zu schärfen. Entscheidend dürfte jedoch der desolate Zustand viele Teile der Parteiorganisation gewesen sein, die gerade in den großen Städten durch selbstzerstörerische Fraktionskämpfe sowie Über- und Austritte bzw. interne Querelen de facto unfähig zur Kampagnenführung war. Gerade in einem Flächenland wie Niedersachsen ist von zentraler Bedeutung, vor Ort verankert zu sein und eine kontinuierliche und berechenbare Kommunalpolitik zu verfolgen. Es spricht nicht für die niedersächsische Parteiführung, dass es ihr nicht gelungen ist, die verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei durch eine offene Diskussion über die zentralen landes- und kommunalpolitischen Themen – öffentliche Finanzen, Beschäftigung, Bildung Landwirtschaft – zu integrieren. Nicht einmal die eigenen Anhänger konnte die Linke davon überzeugen, dass sie für andere gesellschaftliche Prinzipien einsteht und diese auch praktiziert. Angesichts eines vollkommen entpolitisierten Wahlkampfes gelang es der Partei zu keinem Zeitpunkt, eigenständig Themen zu setzen und den herrschenden Konsens aufzusprengen.

Die Piraten: vertane Chancen

Ähnliches gilt für die Piraten, deren für Außenstehende kaum zu durchdringenden innerparteilichen Auseinandersetzungen kaum dazu angetan waren, Menschen davon zu überzeugen, dass sich hier ein gesellschaftliches Gegenbewusstsein und -potential sammelt. Im Gegenteil: Ohne auch nur halbwegs durchdachte soziale, demokratische und ökologische Positionen geriet die Partei durch zweifelhafte, Türen zum Rechtsradikalismus öffnende Äußerungen einiger ihrer Vertreter zusätzlich in Misskredit.

Die Grünen: die eigentlichen Gewinner

Dagegen war der Wahlkampf der Grünen durch Klarheit und politische Schwerpunktsetzung gekennzeichnet und traf das Bedürfnis vieler Bürger, endlich Schluss zu machen mit einer den Boden, die Tiere und die sozialen Strukturen auf dem Lande zerstörenden Landwirtschaftspolitik, die durch einen Minister Lindemann als Lobbyist der Massentierhaltung und Großagrarier repräsentiert wurde. Die Frage der Energiewende und in diesem Zusammenhang der Atomausstieg tat ein übriges, die Wählerbasis der Grünen zu mobilisieren – gerade in Niedersachsen, das mit Gorleben, der Asse und Schacht Konrad diesbezüglich gleich über mehrere Konfliktpunkte verfügt – hatte die Bewegung nach Fukushima ihre Spuren hinterlassen. Bemerkenswert waren auch die Vorstöße der grünen Jugend, die in Hannover das Thema Gentrifizierung besetzt und mit der Forderung nach einer Auflösung des Verfassungsschutzes eine klare Duftmarke gesetzt hat, dass eine sukzessive Demontage demokratischer Freiheiten, wie sie die schwarz-gelbe Regierung beispielsweise mit der Verschärfung des Demonstrationsrechts betrieben hat, mit den Grünen nicht so einfach zu machen ist.

Das gute Ergebnis der Grünen ist aber, genau wie das der FDP, auch eine Absage der WählerInnen an eine große Koalition. Trotz gegenteiliger Beteuerungen glauben viele Wähler_innen nicht den Absagen der großen Parteien an eine CDU/SPD-Koaltion. Durch gezielte Wahl der kleinen Parteien soll das eigene Lager gestärkt werden. Der große Anteil Erststimmen der Grünen verdeutlicht, wie groß die Differenzen innerhalb des rot-grünen Lagers sind und wie viele Grüne nicht einmal aus strategischen Gründen bereit sind, mit der Erststimme die SPD zu unterstützen.

Das Wahlergebnis zeigt neue Polaritäten

Die CDU ist die Partei der Rentner und Landwirte, sie siegte in den „Suburbs“, in denen sich die kleinstädtische Mittelschicht abseits der bunten, lauten und verwirrenden Ballungszentren in erreichbarer Nähe zu den Metropolstädten Hamburg, Bremen, Hannover sowie Braunschweig und Oldenburg angesiedelt hat. Bei den nicht organisierten Arbeitern erhielt sie ebensoviele Prozentanteile wie die SPD. Sie erreichte trotz zum Teil gravierender Verluste immer noch relativ die meisten Stimmen bei Angestellten, Beamten und Selbständigen.

Relativ die meisten Stimmen erreichte die SPD bei den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern und Angestellten. Hier gewann sie gegenüber der Wahl von 2008 auch leicht dazu. Die gewerkschaftlich organisierten Milieus haben sich zum Teil, bei einem Zuwachs von drei Prozentpunkten, wieder auf die Sozialdemokratie orientiert. Aber eben nur zum Teil: deutliche Gewinne verzeichneten hier auch die Wähler der Grünen mit einem Zuwachs von 7%. Die Grünen erzielten bei allen Berufsgruppen der Arbeiter, Angestellten, Beamten und Selbstständigen zwischen 10 und 17 Prozent, lediglich von den Landwirten wurde sie weit unter ihrem Durchschnittsergebnis von 13,7% angekreuzt. Selbst 17% der Arbeitslosen wählten grün. Die Partei Die Linke verlor in allen Berufsgruppen, auch bei den gewerkschaftlich Organisierten und besonders bei den Arbeitslosen, bei denen sie mit 16% zwei Drittel ihrer dortigen Anhängerschaft einbüßte.

Verliert der bürgerliche Block seine Hegemoniefähigkeit?

Die Leihstimmenkampagne der bürgerlichen Parteien, die trotz anderslautenden Aussagen der Parteiführung vor Ort an der Basis der CDU-Anhängerschaft aktiv betrieben wurde, zeigt, dass das Potenzial von CDU/FDP ausgereizt ist und sich bei Wahlen ohne gesellschaftliche Mobilisierung keine nennenswerten Verschiebungen in Richtung „links der Mitte“ erreichen lassen. Hier deutet sich mit dem relativ geringen Austausch von Wählerstimmen zwischen CDU/FDP einer- und SPD/GRÜNEN andererseits eine Verfestigung der beiden großen Blöcke an. Das konservativ-traditionelle sowie das gemäßigt-konservative Milieu incl. einer besitzbürgerlich orientierten Agentur namens FDP stabilisieren sich bei knapp 46% der abgegebenen Stimmen. Im Großen und Ganzen sammelt sich die Anhängerschaft im konservativen, wohlhabenden und landwirtschaftlich geprägten Westen des Landes, den Kleinstädten um die Großstädte und in diesen in den Vierteln des privilegierten Besitzbürgertums. Hier ist ein bürgerlicher Block entstanden, dessen Aktionsfähigkeit zuletzt die empörende Zerschlagung von Ansätzen einer fortschrittlichen Bildungspolitik in Hamburg gezeigt hat. Eine ähnliche Mobilisierung dürfte sich ergeben, wenn die neue Landesregierung Ernst macht mit der Ankündigung einer gerechter strukturierten Regionalförderung und einem „Greening“ der Agrarpolitik.

Fraglich ist, inwiefern dieser Block nicht seine Hegemoniefähigkeit eingebüßt hat. Zuspruch aus der Agrarindustrie ist das eine – sozial gehen Teile der Verlierer der Bauernschaft auf Distanz, wie etwas die Demonstration zur Grünen Woche zeigt, wo sich zum Ärger des Bauernverbandes auch der Verband der Milchviehhalter beteiligt hat. Die Krise der Leistungsideologie ist das andere, denn Skandale wie die um Karl-Theodor zu Guttenberg und Anette Schavan illustrieren, wie brüchig das Versprechen geworden ist, durch eigene Anstrengungen den sozialen Status auch nur zu halten. Je mehr Menschen die aggressive Abgrenzung der Ober- und oberen Mittelschichten gegenüber den Unterschichten bewußt wird, desto mehr erodiert das Modell der Volkspartei. In diesem Zusammenhang ist auch die Euro-Krise von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Weder in der CDU noch in der FDP ist eine Politik zugunsten der Banken und der großen Kapitalgesellschaften gut vermittelbar. Die Unzufriedenheit in den konservativen Milieus dürfte nicht gering sein – diese Unzufriedenen sind aber vermutlich nicht zur Wahl gegangen. Zwar hat die CDU versucht, sich städtischen Milieus zu öffnen, aber man kann darüber spekulieren, ob durch Özkans Kandidatur die CDU an Attraktivität gewonnen hat – oder ob viele dann nicht doch lieber gleich die Grünen wählen.

Rot-grün ist eine parlamentarische Mehrheit, kein gesellschaftliches Projekt Dem steht ein heterogenes und fragiles Bündnis von sozialstaatlich und progressiv orientierten Milieus gegenüber. Die Sozialdemokratie wird den Ansprüchen der zurückgekehrten gewerkschaftlich organisierten Milieus ebenso wenig gerecht werden wie denen der Arbeitslosen und denen des progressiven Bildungsbürgertum. Insoweit war es seitens der SPD strategisch durchaus realistisch, im Wahlkampf nicht zu viel zu versprechen, sondern nur relativ wenige politische Felder abzustecken (Studiengebühren, Gesamtschulen, Mindestlohn, Struktur- und Agrarpolitik). Jede darüber hinausgehende Forderung hätte angesichts der Mobilisierungsschwäche der SPD und der Heterogentität der Milieus „links der Mitte“ zu Verwerfungen und weiterem Rückzug aus der politischen Beteiligung geführt. Welche Versprechen die SPD tatsächlich halten kann, ist noch durchaus die Frage. Die Nachricht, dass im Landeshaushalt 500 Millionen € weniger zur Verfügung stehen als von der CDU/FDP behauptet, deutet auf die Möglichkeit weiterer Sparrunden und damit auf die Nichteinhaltung der wenigen Wahlversprechen hin.

Rot-grüne Konfliktlinien

Zwischen Grünen und SPD kündigen sich erste Differenzen an bei der Frage des Verkehrswegeausbaus. Interessant wird es auch, wenn es um die Frage künftiger Energiepolitik in Niedersachsen geht. Im Zweifel wird die Sozialdemokratie immer auf die Förderung großindustrieller Strukturen und Infrastrukturen setzen – wohl auch, weil sie an die Grünen nicht weiter verlieren zu können glaubt. Dazu kommt, dass der stärkere Zuspruch durch gewerkschaftlich Organisierte und Arbeitslose sich aus der Hoffnung speist, dass die SPD wieder zu einem sozialstaatlich orientierten, stärker verteilungspolitisch agierenden Wohlfahrtsstaatsmodell zurückkehrt. Die Andeutungen der SPD in diese Richtung (Mindestlohn, Bürgerversicherung, Finanzmarktregulierung, Steuerpolitik) sind allerdings in Berlin und damit nicht auf Landesebene zu entscheiden. Die starke Position, die Schröder, Steinmeier, Heil usw.usf. in der niedersächsischen SPD haben, lässt es unwahrscheinlich sein, das eine solche Politik durch Bundesratsinitiativen aus Niedersachsen Rückenwind bekommen könnte. Die SPD ist angesichts der politischen Ausdünnung und altersmäßigen Auszehrung ihrer Organisation nur bedingt kampagnenfähig, sie ist gefangen zwischen der Einsicht in einem großen Teil des Funktionärskörpers, dass die Agenda 2010-Politik ans Herz der Dinge geht und der weiterhin bestehenden Hegemonie der Neoliberalen in ihrer Partei.

Das bedeutet, dass mangels politischer Massenmobilisierungen politische Bewegung nur von den Grünen ausgehen kann. Diese sind aber als ehemals radikaldemokratisch generiertes Milieu an einer Politik nicht interessiert, die die sozialen Fragestellungen in den Mittelpunkt stellt. Ihr relatives Gewicht zur SPD hat sich verändert, sie stellt durchweg ein Viertel bis Drittel der rot-grünen Wählerschaft und dürfte sich einer Rhetorik des „Koch-und-Kellner“-Denkens nicht mehr aussetzen wollen. Das wiederum wird früher oder später bei allen Projekten industrialistischer Modernisierung, zu denen sich die SPD immer bekannt hat, zu heftigen Konflikten führen, bei denen jeder Kompromiss auf Kosten der traditionalistischen Anhängerschaft in der Arbeiterschaft und bei den Arbeitslosen gehen und zu deren (rechts?-)populistischer Mobilisierung führen könnte.

Trotz eines langweiligen Wahlkampfes, trotz einer nur hauchdünnen Wahlentscheidung: es dürfte spannend werden in Niedersachsen.

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https://sopos.org/aufsaetze/511a4cd10aafc/1.phtml

sopos 2/2013