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Was bei der Angriffsdichte ein Jahr später keinen mehr gekümmert hätte, wird nun zum Ärgernis. Das finden wir Flakhelfer komisch und schreiben es auch heim. Mein Text zitiert den alten Spruch: »Jeder Schuß ein Ruß’, jeder Stoß ein Franzos’.« Der Leutnant aber zensiert die Feldpost, scharf greift er durch. Ohnehin heißt das Kernthema seiner Vortragsreihe, speichelsprühend markiert: »Spionage und Sabotage«. Geheimnisverrat, schreit er jetzt so, daß man vor ihm zittert. Wer den noch mal verübt, »dem kommt die Gestapo ins Haus!«. Formal ganz richtig. Als Schüler und Kindersoldat nicht vereidigt, bloß dienstverpflichtet, gehört man vor kein Kriegsgericht; die Geheime Staatspolizei ist für uns da. Und noch in Unkenntnis all der tatsächlichen NS-Verbrechen trauen wir dieser bereits damals Schlimmes zu. Die Szene hat sich mir eingeprägt, als erste Berührung – ganz von fern – mit solch einem Terror- und Sicherheitsorgan. Mein zweiter Kontakt, schon sehr direkt, folgte auf die Heimkehr aus US-Kriegsgefangenschaft im März 1946. Wer da aus amerikanischer Hand von drüben kam, der mußte sich, so war es üblich, bei der östlichen Besatzungsmacht melden, und deren Abwehrdienst fühlte ihm auf den Zahn. Hätte ich drüben denn an Lehrgängen teilgenommen? Nein? Na gut, aber was würde ich tun, käme mir etwas zu Ohren von einem Anschlag auf die Sowjetarmee? Ach was, nicht die deutsche Polizei verständigen, sondern ihn, den Leutnant Achetin, hinterm grünen Bretterzaun in der Porsestraße von Magdeburg-Buckau! Verblüfft stimmte ich zu, es klang rein hypothetisch, solche Anschläge plante ja kein Mensch. Nun bekam ich von ihm eine Handvoll Machorka-Tabak und war damit angeworben. Das ging mir freilich erst auf, als er mich durch die Volkspolizei erneut zu seinem Amtssitz bringen ließ und tadelnd fragte, wo denn nun die Hilfe, ihm von mir doch versprochen, eigentlich bliebe? Immerhin begriff ich, ihm lag nichts an Einzelpersonen, man mußte nicht denunzieren, die Gesamtlage hatte er im Blick. Daher begann mein Wochenbericht meist: »Die Leute sagen in der Straßenbahn«, gefolgt von alltäglichen Klagen, auch über Diebstähle durch Rotarmisten, den Schwarzhandel oder das Demontieren von Strommasten an der elektrifizierten Bahnlinie nach Halle. Achetin nahm das lässig zu den Akten. Trinkfroh mit der Dolmetscherin scherzend, ließ er spürbar die Zügel schleifen. Bald glaubte ich, dank dieser 30 Zeilen in klarer Maschinenschrift sein bester Mann zu sein. Den Mix aus Dichtung und Wahrheit schaffte ich leicht neben dem Büffeln fürs Abitur. Daneben entstand ja außerdem mein erster Roman, betreut von einem Kriminalrat a. D.; der half mir mit Fachliteratur aus den 1920er Jahren. Derlei Kompetenz verleitete mich, dem Leutnant Vorschläge zu machen. War es denn gut, wenn mir in seinem Haus ein Klassenkamerad begegnete, im selben Auftrag unterwegs? Wo blieb da der Quellenschutz? Besser wohl, das Abliefern zu dezentralisieren, das heißt den Wochentext einem V-Mann-Führer ganz woanders unauffällig zu übergeben. Denn sonst, so spann ich den Faden fort, brauche zum Beispiel der britische Secret Service nur einen Spion ins Nachbarhaus zu setzen, um all die Zuträger zu enttarnen. Daß Achetin dem naiven Rat tatsächlich folgte, sprach für die Einsicht in das professionelle Defizit vor Ort. Ich übersah nur, wie solche Besserwisserei mich auch verdächtig machte. Und als mein Schulfreund wirklich zu den Briten ging, einem Ruf der BBC folgend ins Lancaster House am Fehrbelliner Platz in Westberlin, um für seine Notlage dort Verständnis zu finden, da nahm der Russe uns beide fest, als schuldig der Kontaktaufnahme mit dem fremden Geheimdienst. Mitte März 1947, eingesperrt in die Zelle 47 des Gefängnisses hinter Magdeburgs Justizpalast, verpaßte ich das Abitur; doch mehr geschah mir nicht. Einzelhaft von ungewisser Dauer führt auch zum Nachdenken, legt Räume der Phantasie und Erinnerung frei. Anfang Mai dann entlassen, blieb mir die Erkenntnis, daß man noch mal davongekommen ist, weil der Russe besser sein mochte als sein Ruf, daß es aber trotzdem klüger war, Geheimdienstlern auszuweichen und künftig nicht am Bart des Tigers zu zupfen. Acht Jahre später ist das freilich vergessen. Mein Kriegsbuch erscheint, es schildert den Warschauer Aufstand vom Sommer 1944, und nun folgt die dritte Berührung: Magdeburgs MfS-Bezirksverwaltung lädt mich ein zur Lesung, das Publikum lauscht, applaudiert. Danach raunt mir jemand zu, all die konspirativen Details in dem Buch sagten ihm, ich sei doch einer von ihnen. Nein, wehre ich ab, das sei aus Fachtexten geschöpft, offenen Quellen. Doch er glaubt mir nicht, sondern lobt: »Sie können schweigen.« Das Dementi wertet mich eher noch auf. So gestärkt betrete ich, einem Tip des Kripochefs meiner Heimatstadt folgend, im Herbst 1955 die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin, um dem Leiter der Abteilung Agitation Stoff für spannende Geschichten zu entlocken. Liegt es doch nahe, den Spieß einmal umzudrehen und das Archiv der Behörde anzuzapfen. Doch Oberst Borrmann, ein proletarisches Urgestein, wittert fremden Stallgeruch. Einem parteilosen Jungautor trauen? Den speist er lieber mit ein paar Broschüren ab ... Elf Jahre später versuche ich´s, gedrängt von meiner Verlegerin, in Magdeburg noch einmal. Von dort leitet ein Major Kammler mein Ansinnen der Berliner Hauptabteilung XX zu – deren Chef, Oberst Kienberg, es prompt verwirft, mit Hinweis auf meinen Kontakt zu Kollegen wie Stefan Heym. Der anfangs neutrale, ja sogar respektvolle Ton zwischen Autoren und Stasileuten ist Mitte der 60er Jahre schon arg getrübt. Seit dem 56er Ungarn-Aufstand fühlen wir uns zunehmend überwacht. Wir können einer vom MfS bedrängten Kollegin helfen, sich zu dekonspirieren; dazu noch zwei Spitzel enttarnen. Doch indem wir uns wehren, füllen sich auch unsere Akten. Schon um 1980 sind es bei mir 15 Ordner – zwei mehr als schließlich zu Helmut Kohl. Ohne das Ausmaß zu ahnen, beklage ich mich zur selben Zeit bei dem Sekretär der SED-Bezirksleitung für Volksbildung, Wissenschaften und Kultur, Winnig. Der rät mir ernsthaft, das MfS nicht zu dämonisieren; man tue dort nur das Notwendige. Die sozialistische DDR, voll im Sog und Visier des Westens, brauche solchen Schutz dringender als der kapitalistische Nachbar, dessen Profitsystem, so ungerecht und ausbeuterisch es auch sei, noch vom Erfolg des Marshallplans und des Wirtschaftswunders zehrt – stabilisiert durch die D-Mark! Den Westbürger lenke nämlich schon der Wunsch, Geld zu verdienen und Karriere zu machen; etwas, das in unserer egalitären Gesellschaft mit ihrer Verteilungsgerechtigkeit so nicht wirken kann. Wer wollte sich dem verschließen? Klar, daß das MfS – auch wachsam gegenüber Schlendrian in den Betrieben – faktisch so groß sein mag wie drüben der Verfassungsschutz, BND und MAD zusammen; beinah so »flächendeckend« wie die Reklame dort, für die man weit mehr ausgibt als wir für die Stasi, schon 50 Milliarden DM im Jahr sollen es sein. Winnigs Plädoyer beschäftigt mich. Sein Hauptargument ist, das MfS verzichte auf individuellen Terror, zu dem die Geheimdienste weltweit neigen. Es plane weder Mordanschläge noch Putsche wie speziell die CIA. Auch bleibe es bei uns, anders als etwa in Rumänien, beim verdeckten Ausspähen und Sammeln gerichtsverwertbarer Fakten. Schön wär’s, nur widerspricht dem die gefühlte Zunahme der Überwachung. Dazu verschwimmt nun die Grenze vom bloß nachforschenden zum operativen Vorgehen, wie es eher im Ausland vertretbar ist. In der Bezirksverwaltung Magdeburg entwirft Oberstleutnant Reif Ende 1980 recht offensiv eine »Konzeption«, deren Punkte unter anderem vorsehen, daß ein Romeo mir die Partnerin ausspannen soll. All dies, um einen als lästig empfundenen Autor zu stoppen. Zwar hat das nicht funktioniert. Doch derlei »Erschütterung« und »Zersetzung«, wie es amtlich heißt, gehört längst zum Inlands-Repertoire. In solchen Fällen ging die Staatssicherheit deutlich zu weit. Fast so weit wie Edgar Hoovers FBI, das schon 1954 Harry Belafonte praktisch in die Zange nahm, als es Janet K., die einfühlsame Psychotherapeutin des schwarzen Entertainers, auf ihn ansetzte und es zugleich schaffte, daß deren Ehemann Jay Richard K. Belafontes Manager und Vermögensverwalter wurde. Beides nur, weil dem FBI die liberale Haltung des Bürgerrechtlers als subversiv erschien; er galt dort als kommunistischer Verschwörer. »Das hätte auch bei jedem anderen nicht nur Depressionen, sondern geradezu Paranoia auslösen können«, schreibt Belafonte dazu in seinem von Kristian Lutze übersetzten Buch »My Song« (Köln 2012). Es dauerte ein ganzes Jahr, bis ein linker Anwalt ihm enthüllte, daß K. als Schatzmeister der KP-Ortsgruppe von Chicago Gelder veruntreut hatte und so in Hoovers Hand gefallen war, der ihn nun zum Spitzeldienst zwang. Dazu erhielt K. eine neue Identität und dank plastischer Chirurgie auch ein neues Gesicht – was an die Tarnung legendärer Gangster der dreißiger Jahre anknüpft. Trotz mancher Komik, die uns verleitet, von »Schlapphüten« und dem »zweitältesten Gewerbe« zu sprechen – es hilft nichts, den finsteren Komplex zu ironisieren. Geheimpläne und verdecktes Vorgehen sind weltweit Bestandteil von Wirtschaft und Politik, fest verankert in unserer Wirklichkeit; zum Nutzen der Eliten, die am liebsten aus dem Hintergrund wirken. Dem Schutz ihrer Interessen dient auch Desinformation – das Streuen falscher oder belangloser Storys. Ihr Dilemma: Mangels Aufklärung gravierender Ereignisse – wie etwa 9/11 – sinkt das Vertrauen in die Politik, was zu Resignation und Zynismus führt. Mehr Transparenz aber kann auch gefährlich sein; mit Glasnost fing schon mal ein Untergang an ... Doch Macht korrumpiert in jedem Land, wir Bürger müssen sie kontrollieren, sonst wird unsere Gesellschaft schleichend unterspült.
Erschienen in Ossietzky 3/2013 |
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