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Nun trat die Königin Eilegia zu Gockel und verband ihm die Augen mit einem seidnen Tuch, und er tat ihr ebendasselbe; ebenso verbanden sich der König Eifraßius und Frau Hinkel und der Prinz Kronovus und Gackeleia die Augen und wurden nun von den Hofmarschällen auf den Eierteppich geführt, auf welchem sie mit den zierlichsten Schritten und Sprüngen und Wendungen zwischen den Eiern herumtanzen mußten, ohne auch nur eins mit den Füßen zu berühren. Die Zuschauer sahen mit gespannter Aufmerksamkeit ganz stille zu und bewunderten die Geschicklichkeit der hohen Herrschaften.« So beschrieb Clemens Brentano in seinem »Märchen von Gockel und Hinkel« den Eiertanz. In »Meyers Neuem Lexikon« wird er weniger märchenhaft, aber dafür kurz und knapp als »ursprüngliches Geschicklichkeitsspiel, übertragen für vorsichtiges, gewundenes Verhalten, Taktieren in heiklen Situationen« definiert. Der Eiertanz erfreut sich auch heutzutage bei Politikern unterschiedlichster Couleur großer Beliebtheit. Gegenwärtig wird er schwungvoll in der Debatte um ein NPD-Verbot aufs Parkett gelegt. Nach langem Hin und Her hat der Bundesrat im Dezember mit Enthaltung Hessens beschlossen, ein Verbot dieser neonazistischen Partei beim Bundesverfassungsgericht zu beantragen. Die Situation ist heikel, denn die Meinungen sind unterschiedlich, und die Antragsgegner wie auch die Schwankenden taktieren nach allen Regeln der Eiertanzkunst. Während der Chef der Linken, Bernd Riexinger, den Antrag nachdrücklich unterstützt und alle demokratischen Parteien auffordert, »überparteilich Null Toleranz für Nazis zu sagen«, wandte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert energisch gegen ein erneutes NPD-Verbotsverfahren. Es sei nicht durchdacht, und man solle es besser bleibenlassen. Der Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion applaudierte dem Parlamentspräsidenten und meinte, mit der NPD werde die Demokratie mit demokratischen Mitteln fertig. Die Grünen wollen ein NPD-Verbotsverfahren nur unter der Bedingung unterstützen, wenn das gegen die Partei gesammelte Material beweise, daß von ihr eine konkrete Beeinträchtigung der freiheitlichen Grundordnung ausgehe. Dagegen meinte der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann, daß auch Bundestag und Bundesregierung eigene Verbotsanträge stellen sollten. In der Regierung sieht man das anders. Für Kanzlerin Angela Merkel ist es eine Frage, ob das Material für ein Verbot der Partei reiche. »Und das müssen wir noch weiter bewerten.« Es gelte nun, »die Frage des Risikos abzuwägen«. Dabei kann sie sich auf ihre Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) stützen, nach deren Auffassung »die Risiken seit dem Scheitern des ersten Verbotsverfahrens nicht unbedingt geringer geworden« seien. Der zuständige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist sowohl für als auch gegen den Antrag. Vor den Medien weicht er konkreten Fragen beharrlich aus. Er stellt nur fest, daß die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs größer ist als die der Niederlage, um dann wiederum zu warnen, daß ein Verbotsverfahren die NPD auch stärken könne. Selbst sein Parteivorsitzender Horst Seehofer wurde ob dieser Haltung ungeduldig, und so forderte er Friedrich im CSU-Vorstand auf: »Jetzt sag doch mal, ob du dafür oder dagegen bist. Ja oder Nein?« Als der erneut auswich, nannte er ihn, witzig wie er nun einmal ist, »Bundesbedenkenminister«. Und was sagt das demokratische Urgestein, unser Staatsoberhaupt Joachim Gauck? Er bleibt seiner schon 1989 bewährten Praxis treu und äußert sich abwartend. Das Ganze müsse »sehr sorgfältig bedacht werden«. Ja, da hat er recht. Die Lage ist verzwickt. Das weiß auch Berlins Regierender Klaus Wowereit. Einerseits weiß er, daß die Beweislage für ein Verbot »erdrückend« ist, andererseits sei das Verbotsverfahren »nicht frei von Risiken«. Selbst das Blatt neues deutschland hat Zweifel am Erfolg des Verbotsantrages und zitiert das Sprichwort: »Vor Gericht und auf See ist man in Gottes Hand.« Als seien die Richter, in Sonderheit die Karlsruher, Götter! Götter in roten Roben! Einer von ihnen, er trägt die neue Arbeitskleidung noch nicht lange, hat sich schon gemeldet. Peter Müller, vormals CDU-Ministerpräsident im Saarland, hat auf die rechtlichen Hürden für das Verbotsverfahren hingewiesen. Die entscheidende Frage sei, »ob festgestellt werden kann, daß die NPD aggressiv-kämpferisch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgeht«. Ja, kennt der Verfassungsrichter Müller etwa nicht die Verfassung, die zu schützen er helfen soll? Hat er noch nie etwas vom Artikel 139 des Grundgesetzes gehört? Hier heißt es unzweideutig: »Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.« Dieser Artikel stellt ohne Wenn und Aber die fortwährende Gültigkeit des Potsdamer Abkommens, das jede nazistische Tätigkeit und Propaganda untersagt, und der Beschlüsse des Alliierten Kontrollrates fest. Im Gesetz Nr. 2 dieser Behörde heißt es unmißverständlich: »Die NSDAP, ihre Gliederungen, die ihr angeschlossenen Verbindungen und die von ihr abhängigen Organisationen, einschließlich der halbmilitärischen Organisationen und aller anderen Nazieinrichtungen, ... sind durch vorliegendes Gesetz abgeschafft und für ungesetzlich erklärt ... Die Neubildung irgendeiner der angeführten Organisationen, sei es unter dem gleichen oder unter einem anderen Namen, ist verboten.« Aber Peter Müller und die anderen Bedenkenträger mißachten den Artikel 139 und seine weitgreifende Relevanz. Selbst die Antragssteller berufen sich nicht auf ihn, was bereits beim vorangegangenen Verbotsantrag von Juristen und Medien, darunter der Spiegel, bemängelt wurde, und Ex-Präsident Roman Herzog und Gleichgesinnte erklären ihn gar für »obsolet«, also für »überholt«. Wenn dem so wäre, dann wäre er längst aus dem Grundgesetz gestrichen. Doch dort hat der Artikel 139 seinen festen Platz und ist geltendes Verfassungsrecht. Würde es beachtet, dann hätten die NPD, ihre Vorgänger, die neonazistischen Kameradschaften und Vereine wie in der DDR von Anfang an verboten sein müssen. Ihre Existenz verstößt folglich gegen einen fundamentalen Verfassungsgrundsatz, sie waren und sind verfassungsfeindlich. Und ihre Spitzenleute machen daraus keinen Hehl. Bereits 1998 erklärte der heutige NPD-Vorsitzende Holger Apfel in Passau: »Wir, der ›Nationale Widerstand‹, sind die einzige, wirkliche Weltanschauungsbewegung in der bundesdeutschen Parteienlandschaft mit der NPD als der organisierten Partei, die das politische System in der BRD bis auf die Wurzel bekämpft, auch die Wurzel abnimmt. Ja, liebe Freunde, wir sind stolz darauf, daß wir alljährlich in den bundesdeutschen Verfassungsberichten stehen und dort als feindlich, verfassungsfeindlich, gegen dieses System gerichtet genannt sind. Jawohl, wir sind verfassungsfeindlich.« Reichen nicht allein schon solche Bekenntnisse und der Artikel 139 GG aus, um die NPD zu verbieten? Stattdessen agiert sie völlig legal, wird offiziell und über V-Leute finanziell unterstützt, und ihre Aufmärsche werden von der Polizei unter massiven Gewalteinsatz geschützt. Schließlich wird diese nazistische Partei im herrschenden System auch als Gegengewicht zu den Linken und zur Aufsplitterung der Protestwähler gebraucht. So sind das endlose Palaver für und wider ein Verbot, das Zögern und Zaudern, das tiefsinnige Geschwafel von Rechtsgelehrten, die aufwendigen Vorbereitungen eines neuen Verbotsprozesses, das ständige Warnen vor dessen Risiken zu einem Dauereiertanz geworden, zu dessen Publikum mittlerweile auch belustigte Neonazis zählen. Falls das so weitergeht, endet der Tanz möglicherweise wie der im »Märchen von Gockel und Hinkel« im Schloß »Eierburg«, bei dem »alle Eier auf dem köstlichen Teppich zertreten« wurden.
Erschienen in Ossietzky 3/2013 |
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