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Keines unserer Gespräche (außer über Milošević, den er mehr als Täter denn als Opfer sah) verlief kontrovers. Der Grund unserer Übereinstimmung war, daß wir immer wieder auf gleiche Erfahrungen stießen. Zum Beispiel aus dem Jahr 1960, als sein Buch »Der gelbe Stern« über die Judenvernichtung durch das Nazi-Regime erschien und ich im Auftrag des damaligen Leiters der Jugendpflege in Hessen, Arno Klönne, in der Frankfurter Paulskirche die erste westdeutsche Ausstellung über die Nazi-Verbrechen konzipierte und gestaltete – zu einer Zeit, als Adenauer noch Bundeskanzler war und Globke im Kanzleramt die innenpolitischen Regierungsgeschäfte leitete. Schoenberner blieb immer bei dieser Aufgabe: das Verdrängte möglichst unausweichlich, möglichst einprägsam zu thematisieren. Und ihm gelang viel. Eines seiner Werke ist die Berliner Gedenkstätte im Haus der Wannsee-Konferenz, wo einst nach Globkes juristischer Vorarbeit die Judenvernichtung als Staatsaktion vereinbart wurde. Und er war auch Gründungsvorsitzender der Bürgerinitiative »Aktives Museum – Faschismus und Widerstand in Berlin«. Mit Freude stellten wir einmal fest, daß uns bei der Suche nach der historischen Wahrheit die Grundregel verband, niemals dem Lügendoktor Goebbels zu glauben, sondern immer das Gegenteil seiner Propaganda-Behauptungen für wahr zu halten. Wir waren uns also auch sicher: Den Mord an den polnischen Offizieren in Katyn hatten die Nazis verübt. Ein Irrtum. Doch als wir feststellen mußten, daß Goebbels in diesem Fall nicht gelogen hatte, sondern daß die Schuld tatsächlich auf sowjetischer Seite lag, waren wir uns sofort einig, daß uns diese Ausnahme nicht veranlassen konnte, die Regel abzutun. Besonders wertvoll als Medium der Aufklärung war ihm der Film. In diesem Sinne arbeitete er in der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, im Kuratorium »Junger deutscher Film«, in Auswahlkommissionen der Bundesfilmförderung, im »Internationalen Forum« der Berliner Filmfestspiele und als Produzent der Serie »Film im Dritten Reich«, in der er wie auch in vielen Vorträgen zeigte, wie die Nazis den Film als Propaganda-Medium benutzt hatten. Als Schriftsteller war Gerhard Schoenberner ein geachtetes Mitglied des westdeutschen PEN-Zentrums. Aber wer ahnte seine poetische Meisterschaft? Erst als er 80 wurde, legte er sein Buch »Fazit« vor, über das ich schrieb: »Knapper, dichter kann man Geschichte – erlebte, erlittene, ergründete – nicht weitersagen. Ich kenne keinen anderen Autor unter den lebenden mit so wachem Blick, so untrüglicher humanistischer Empfindsamkeit wie diesen.« Es war mir wie Schoenberner eine Freude, daß andere Rezensenten dann zu ähnlichen Einschätzungen gelangten. »Ich habe seit Brecht keine Lyrik gelesen, die mir mehr bedeutet hat«, schrieb Walter Kaufmann im Neuen Deutschland, und Martin Walser urteilte in der Zeit: »Mir ist keine Literatur in deutscher Sprache bekannt, sei es Gedicht oder Prosa, die den Gedichten Schoenberners vergleichbar wäre. Vergleichbar in der Härte und Genauigkeit der Mitteilung dessen, was Deutschland im 20. Jahrhundert vollbrachte.« Den tröstlichsten Nachruf hat sich Schoenberner unter der Überschrift »Nichts geht verloren« selber geschrieben: »In der Schule lernten wir / daß Wärme und Energie / nicht verloren gehen. Der Lehrer / hat uns nicht belogen. Es ist / ein physikalisches Gesetz / und ein philosophisches / Jede brüderliche Geste, jedes Lächeln / bleibt in der Welt // Lotte in Paris, die das Kind / der Exilierten aufnahm / und dem Studenten aus Deutschland / heimlich Geld zusteckte, lebt weiter / in der Erinnerung der Beschenkten / Und weiter lebt ihre Freundlichkeit / weitergereicht an andere / die sie nicht kannten // Nicht nur empfangene Schläge werden / weitergegeben durch Generationen / von den Eltern an die Kinder / vom Schwachen an den noch Schwächeren / Auch Liebe und Freundschaft / verführen zur Nachahmung / Nichts ist vergeblich, nichts geht verloren / Kein Lächeln, kein Händedruck, keine Umarmung / Auch die guten Taten, zum Glück / pflanzen sich fort.«
Erschienen in Ossietzky 2/2013 |
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