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Einen Tag zuvor waren bei einem Anschlag auf ein Regierungsgebäude in der Zitadelle von Damaskus, dem Sektor mit den höchsten Sicherheitsstandards, vier Mitglieder aus der unmittelbaren Entourage des Präsidenten gestorben. Der islamistischen Rebellengruppe Liwa al-Islam war es gelungen, eine Bresche in die Leibgarde von Verteidigungsminister General Daud Radscheha zu schlagen und den Attentäter einzuschleusen. Als der Sprengsatz in einem Konferenzraum explodiert war, lag dort nicht allein der zerfetzte Körper des Generals. Unter den Trümmern fand man die Leichen von Vizeverteidigungsminister Asef Schawkat, Innenminister Mohammed Ibrahim al-Schaar und Geheimdienst-Koordinator Hassan Turkmani, von dem es später hieß, er habe die Verteidigung der Hauptstadt kommandiert. Dieser Anschlag traf den inneren Führungszirkel Assads, konnte ihn aber weder lähmen noch auslöschen. Die Nachfolger waren bereits am 20. Juli ernannt, Armee und Sicherheitsdienst blieben handlungsfähig, der Bürgerkrieg ging weiter. Bis zum Januar 2013 haben sich alle Prophezeiungen über eine beschleunigte Erosion des »Systems Assad« nur bedingt erfüllt. Wenig deutet augenblicklich auf eine unmittelbar bevorstehende Kapitulation, auch wenn sich immer mehr Offiziere (überwiegend Sunniten und Drusen) in die Türkei oder nach Jordanien absetzen. Militärisch gesehen besteht ein fragiles Patt, woran sich bis zum März nichts ändern dürfte, wenn es genau zwei Jahre her sein wird, daß sich – angefacht durch die »Arabellion« in Tunesien und Ägypten, in Bahrain und im Jemen – ziviler Aufruhr und bewaffneter Aufstand in Syrien nicht mehr eindämmen ließen und das Land in einen Bürgerkrieg taumelte. Die äußeren Paten dieser Eskalation, der sunnitische Block der arabischen Welt mit Saudi-Arabien und Katar, nicht zu vergessen das von den Muslim-Brüdern dominierte Ägypten, ebenso die erklärten Feinde Assads in den USA – sie alle haben erreicht, was sie vermutlich so gar nicht wollten: Syrien wird auf lange Zeit innerlich zerrissener als der Irak im Jahrzehnt nach dem Sturz Saddam Husseins im April 2003. Die genannten Länder blockieren Verhandlungen über einen Waffenstillstand, solange Präsident Assad und sein Anhang nicht aus allen Machtbastionen verschwunden sind. Käme es zu einer solchen Demission, wäre der alawitischen Staatsklasse das Rückgrat gebrochen und die Schlacht um Syrien entschieden. Die jetzige Führung würde sofort oder recht bald in partikularen Interessen gehorchende Faktionen zerfallen, von denen einige versuchen könnten, sich in die Bergwelt des Dschebel al-Alawia und Jabal an-Nusayriyah, die syrischen Ausläufer des Libanon-Gebirges, zurückzuziehen und den Bürgerkrieg als Guerillakampf weiterzuführen. Um zu verstehen, warum es bei einem Abgang der Assads um das hermetische System der seit 1963 regierenden Baath-Partei geschehen wäre, muß an den Sommer des Jahres 2000 erinnert werden. Als nach dem Tod von Staatschef Hafis al-Assad am 10. Juni 2000 dessen Sohn Baschar die Präsidentschaft übernahm, war viel von fälligen Reformen die Rede, bei denen Einheit und Handlungsvermögen der alawitischen Führungsclans zu bewahren seien. In seiner ersten Rede nach der Amtsübernahme sprach Baschar al-Assad von unbedingter Erneuerung und Modernisierung seines Machtapparates, vom Verhängnis der Korruption und vom Vertrauen des Volkes, das nicht verloren gehen dürfe. Doch abgesehen von einigen prominenten Bauernopfern wie des damaligen Premiers Mahmud al-Subi, der wegen angeblicher Vetternwirtschaft abgelöst und in den Selbstmord getrieben wurde, blieb die »alte Garde« des verstorbenen Präsidenten unangetastet. Egal, um wen es sich handelte. Ob um Verteidigungsminister Mustafa Tlass, um Parlamentspräsident Abd al-Qadir oder General Hikmat Shihabi, den Stabschef der Armee, der sich aus Furcht vor einem Prozeß wegen Bestechung in die USA absetzte, jedoch Ende Juli 2000 zurückkehrte, weil ihm Straffreiheit zugesichert war. Assads kurzlebiger Reformeifer konzentrierte sich auf jene Biotope in der politischen Landschaft Syriens, die man verändern konnte, ohne sie umzupflügen. So sollte die »Nationale Progressive Front«, ein um die Baath-Partei geschartes Bündnis willfähriger Alliierter ohne wirklichen Einfluß, mehr Kompetenzen erhalten und der autoritären Fassade des Regimes einen versöhnlicheren Anstrich geben. Wie halbherzig schon dieses, an sich risikoarme Unterfangen ausfiel, war dem Umstand zu entnehmen, daß es die Regierung nie für nötig hielt, ein Parteiengesetz auf den Weg zu bringen. Das bedeutete, die »Front«-Partner der Baath-Partei agierten halblegal und waren in ihrer Existenz vom Goodwill der Baath-Führung abhängig. Korrigiert wurde diese Willkür erst mit einer Parteireform vor der Parlamentswahl am 7. Mai 2012, als der innere Konflikt bereits Tausende von Menschenleben gekostet hatte. Und es längst zu spät war. Bis dahin war Assads Erneuerungswille immer dann versandet, wenn der Machterhalt gefährdet und der Korpsgeist der alawitischen Eliten nicht gebührend gewürdigt schien. Letztere waren seit dem erfolgreichen Militärputsch von 1970 auf den »heldischen Löwen« eingeschworen, wie sich Hafis al-Assad bis zu seinem Lebensende nannte. Dem Rückhalt einer derart verschworenen Gemeinschaft konnte sich auch der Sohn nicht verweigern. Ob er je anderes wollte, bleibt Spekulation. Daß es für Baschar keine anderen Wurzeln gab, um Präsident zu sein, steht außer Frage. Auf die Kader aus den Hochburgen der Alawiten bei Latakia und Tartus hatte sich das Regime verlassen, als 1982 in der Stadt Hama ein Aufstand der Muslim-Brüder blutig niedergeschlagen wurde und von den Moscheen oder dem Basar aus der Römerzeit nichts als eine Wüste geborstener Steine übrig blieb. Auf dieses Reservoir fähiger, zu allem entschlossener Kommandeure aus den Streitkräften, den Milizen und den Geheimdiensten (den Mukhabarat) konnte Baschar al-Assad zurückgreifen, als ihn die Nachricht erreichte, was in den Vormittagsstunden des 18. Juli 2012 geschehen war.
Erschienen in Ossietzky 2/2013 |
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