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Selbstverständlich machen sich die Reklamebeauftragten der staatstragenden Parteien daran, ein bißchen Emotionalisierung in den Wettbewerb hineinzubringen und Alternativität vorzutäuschen, aber das ist ein mühsames Unterfangen. Die Demoskopie hat im Wahljahr einigen Zugewinn an Aufträgen, und sie stellt wie üblich ziemlich unsinnige Fragen. Dennoch kann man den ersten Antworten eines entnehmen: Die meisten Bürgerinnen und Bürger brennen keineswegs darauf, ihre Stimme abzuliefern, sie erwarten von dieser Wahl nichts Dramatisches. Nach dem jetzigen Stand der Dinge wird wohl Angela Merkel weiter kanzlern, Peer Steinbrück ist ihr kein ebenbürtiger Rivale. Und ob nun die CDU/CSU die SPD zur Partnerin nimmt, oder die FDP doch wieder mitregieren kann, ob es für eine Regierung von SPD und Grünen reicht, vielleicht gar mit der FDP als kleinem Teilhaber, oder die Christdemokraten am Ende ihre Scheu vor den Grünen überwinden – wo sollten da Möglichkeiten oder auch, je nach Interessenlage betrachtet, Risiken eines gesellschaftspolitischen Kurswechsels liegen? Keine der genannten Parteien zeigt die Neigung, sich mit dem geheimnisvollen höheren Wesen, dem internationalen Finanzmarkt, ernsthaft in Konflikt zu begeben. Und in der Außen- und Militärpolitik gibt es keine grundsätzlichen Differenzen. Sie alle möchten, daß die Europäische Union weiter als institutioneller Rahmen für deutsche wirtschaftliche Dominanz funktioniert. Und daß weltpolitischer Einfluß der Bundesrepublik auch militärischer Mittel bedürfe, darin sind sie sich einig. Ebenfalls übereinstimmend grenzen sie die Partei Die Linke von Koalitionsplänen in der Bundespolitik aus, solange diese nicht Treue zur NATO-Politik schwört. Labskaus mag Peer nichtUm originelle Wahlkampfauftritte bemüht sich der Kanzlerkandidat der SPD. Mit Zeit online hat er vor Publikum ein, wie es dort genannt wurde, »Maschinengewehrinterview« absolviert – der Interviewer stellt ganz knapp eine Frage, und Steinbrück antwortet kurz und schnellfeuerartig. Eine Kostprobe daraus: »Warum sollen wir Sie wählen?« Maschinengewehrschütze Steinbrück: »Weil ich Ihnen nichts verspreche.« Nun hat Peer allerdings beim SPD-Parteitag, auf dem er gekrönt wurde, zumindest das Gefühl geweckt, er verspreche doch etwas. Davon mal abgesehen stellt sich die Frage, weshalb er es denn vermeidet, seine Absichten für den Fall, daß er regieren darf, präzis darzulegen. Da ist eine seiner früheren Aussagen aufschlußreich: Wäre die Agenda 2010 »zuvor in Gremien der SPD zur Debatte gestellt worden, wäre dabei – wie jeder kundige Parteitaktiker weiß – politisches Labskaus rausgekommen. Und ein sozialdemokratischer Bundeskanzler mit einem blauen Auge.« Labskaus mag Peer also nicht. Obwohl es ein nordisches Gericht ist: Pökelfleisch, durch den Wolf gedreht, abgekocht, mitsamt Roter Bete und Kartoffeln. Als einfache, billige und doch nahrhafte Speise irgendwann erfunden für schlichte Seeleute. Labskaus hätten diejenigen, denen die Agendapolitik wirtschaftlichen Genuß bereitete, gewiß nicht zu sich nehmen wollen. Ein Politikkoch, der ihre Gunst nicht verscherzen will, muß ihnen Hochwertiges bieten. Das gilt auch für zukünftige Regierungen. Aber, Regel Nr. 1: Eine solche kulinarische Planung darf nicht von Menschen, die darauf angewiesen sind, sich labskausig zu ernähren, zerredet werden. Auch die Parteimitglieder müssen ja nicht alles schon vorweg wissen. Und die Regel Nr. 2, wie jeder Wahlkampftaktiker weiß: Nur nicht den gemeinen Wählerinnen und Wählern irgend etwas so konkret in Aussicht stellen, daß sie sich später noch daran erinnern können. Marja Winken Sicherlich sind nicht alle traditionellen Besonderheiten in den Ideenwelten der Parteien schon dahingeschwunden, angefangen bei der Frage, was vom Moscheebau zu halten sei, bis zur Meinung über Homoehen. Aber bei alledem gehen die Meinungen auch innerhalb der Parteien auseinander. Noch haben die Parteien zu weiten Teilen unterschiedliche Milieus als Stammplätze ihrer Rekrutierung, aber daraus ergeben sich keine Klassengegensätze in ihren Politikpositionen. Bezeichnend dafür ist der Auftritt der Piraten; sie sind als Milieupartei gestartet, nun wissen sie nicht, wohin sie gesellschaftspolitisch wollen. Unterschiedliche, auch kontroverse Interessen haben in der Bevölkerung der Bundesrepublik durchaus ihre Konturen, aktuell vor allem in Sachen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Beispielsweise: Die Finanzoperationen bei der Euro-»Rettung« sind auf den Nutzen der Banken und der Exportindustrie ausgerichtet, denjenigen Klein- und Mittelunternehmen, die auf Binnenkonsum angewiesen sind, bringen sie Schaden. Ganz zu schweigen von der Masse der LohnsteuerzahlerInnen, der auch künftige Erhöhungen der Mehrwertsteuer in den Beutel schneiden werden. Daraus resultiert jedoch kein ernstzunehmendes parteipolitisches Gegeneinander. Oder: Zweifellos entgeht den Gering- und Normalverdienern nicht, daß die Kosten der »Energiewende« auf ihre Haushalte abgewälzt werden. Aber was könnte dies für ihre parteipolitischen Optionen bedeuten? Und noch ein Beispiel: Lohnabhängige im wachsenden prekären Sektor des Arbeitsmarktes wissen durchaus, daß sie langfristig den kürzeren gezogen haben. Aber läßt sich daraus eine Wahlentscheidung zwischen Christdemokratie hier, Sozial-demokratie plus Grün dort herleiten? Materielle Interessen sozialer Gruppen sind unter diesen Umständen im Feld der Parteipolitik ohne festen Ort, aus ihnen bildet sich keine politische Konfrontation heraus, sie bieten lediglich Anknüpfungspunkte für Verführungskünste der Wahlwerber. Merkel oder Steinbrück plus Trittin – wer könnte darin eine Alternative im Zukunftsentwurf der Bundesrepublik sehen? Offen ist noch, ob Parteienmarketing und Medienservice wenigstens politische Unterhaltsamkeit zu bieten vermögen als Ablenkung von den Sorgen des Alltags. »Das sparen wir uns – Die Bundestagswahl fällt aus«, unter diesem Titel schildert der FAZ-Redakteur Eckart Lohse, wie Angela Merkel alle Parteien zum Verzicht auf die diesjährige Wählerei bringt – ein amüsantes Gedankenspiel vor dem Hintergrund gar nicht spaßbringender Realitäten. Absehbar ist, daß die deutsche Gesellschaft mittelfristig in dramatische soziale Problemlagen gerät. Die Politik der Verarmung ganzer Regionen und Bevölkerungsschichten in anderen Ländern Europas wird auf die hiesigen Lebensverhältnisse zurückschlagen, auch auf die der Mittelschichten. Lohndumping und Expansion des Niedriglohnsektors in Deutschland werden Armut – gerade im Alter – zum Massenschicksal machen, die Privatisierung im Versicherungswesen forciert diesen Trend. Alle als regierungsfähig klassifizierten Parteien wollen dies nicht wahrhaben, sie verheißen sämtlich dem Volk Wachstum und Prosperität, wenn dieses ihnen folge. Das versprechen sie, so wird man annehmen müssen, wider besseres Wissen, denn ProfipolitikerInnen können nicht durch die Bank völlig realitätsfremd sein. Sind sie auch nicht, denn ganz realistisch haben sie ein Nahziel im Auge: Mandate gewinnen, mitregieren, Ämter verteilen, den eigenen Status für die Zeit nach dem Abgang aus der Politik sichern. Sie wollen deshalb Zeit gewinnen, Bedrängendes verdrängen, Unruhe vermeiden. So etwas ist, wie man zu sagen pflegt, menschlich verständlich. Nur ist leider denen, deren Vertretung die Parteien beanspruchen, damit nicht geholfen. Und so droht im Wahljahr Stumpfsinn, resultierend aus einer Mischung von eigennütziger und kurzsichtiger politischer Geschäftigkeit bei denen »da oben« und Resignation oder Apathie bei zahllosen Bürgerinnen und Bürgern »unten«. Es ist etwas faul im Parteienstaate Deutschland.
Erschienen in Ossietzky 2/2013 |
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