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Als im Jahr 1997 das Gericht von Livadia den Überlebenden des Massakers von Distomo im Juni 1944 Schadensersatzansprüche in Höhe von umgerechnet 37,5 Millionen Euro zusprach, hatte die Bundesregierung den ganzen Prozeß ignoriert und war ihm ferngeblieben. Doch dann besann sie sich und legte Berufung beim Areopag in Athen ein. Sie hatte offensichtlich die Brisanz der Situation unterschätzt, denn inzwischen waren mehrere tausend Klagen im ganzen Land anhängig. Am 4. Mai 2000 schließlich verkündete der Areopag, das oberste griechische Gericht, seine Entscheidung zu Gunsten der Kläger von Distomo. Es wies die Berufung der Bundesregierung zurück. Die Geschichte ist grausam und abstoßend. Das Bonner Landgericht hat sie in seinem Urteil vom 23. Juni 1997 so zusammengefaßt: »Im Laufe des Vormittags des 10.06.1944 erreichten die Truppen von Lewadia aus kommend Distomo, hielten sich dort mehrere Stunden auf und verhörten den Bürgermeister und den Popen bezüglich des Aufenthalts beziehungsweise Durchzugs von Partisanen. Am Tag zuvor waren etwa dreißig Partisanen aus Disfina eingetroffen und nach Stiri weitergezogen. Auf Grund dessen zog eine motorisierte Kolonne in Richtung Stiri aus. Die Kolonne wurde kurz vor Stiri angegriffen und zog sich dann unter Verlusten zurück. Nach der Rückkunft in Distomo wurden zunächst zwölf Gefangene und anschließend die gesamte im Ort verbliebene Bevölkerung ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht umgebracht, die Häuser wurden systematisch durchsucht und anschließend niedergebrannt. Insgesamt wurden etwa 300 Menschen ermordet.« Zur Wahrheit gehört allerdings auch, was der Areopag über das Massaker festgestellt hat: »Nachdem die Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten die zwölf Geiseln, die sie mit sich führten, getötet hatten, teilten sie sich in Gruppen auf, drangen in die Häuser ein und fielen wie wilde Tiere über die unglücklichen Einwohner von Distomo her, metzelten sie nieder, ermordeten sie, vergewaltigten Frauen und junge Mädchen, schnitten Schwangeren die Bäuche auf. Alte, Junge, Frauen, unmündige Jungen und Mädchen und sogar Kleinkinder waren die Opfer ihres Blutrauschs ...« Distomo war nicht dereinzige Ort derartiger Verbrechen der SS und der Wehrmacht, aber der Name steht als Chiffre für die zahllosen Massaker an der griechischen Bevölkerung. Wer kennt von Nikos Kazantzakis nicht nur »Zorba der Grieche«, sondern auch seinen Bericht aus dem Jahre 1946 an die griechische Regierung über den Widerstand der Kreter gegen das Grauen der deutschen Besatzung? Über 1.000 Ortschaften wurden in Griechenland geplündert und gebrandschatzt, eine Millionen Menschen wurden obdachlos und 300.000 verhungerten unter der Besatzung. Bei den Geiselerschießungen und »Vergeltungsaktionen« verloren mehr als 20.000 Zivilisten ihr Leben und über 60.000 Juden wurden in die Vernichtungslager deportiert. Als sich im März 2000 Bundespräsident Rau auf seiner Griechenlandreise auch nach Kalavryta begab, erfuhren die meisten Deutschen zum ersten Mal, daß hier im Dezember 1943 weit über 700 Zivilisten einem Massenmord zum Opfer gefallen waren. Es war das erste Mal, daß sich ein deutscher Staatsmann öffentlich zu diesen Greueln der einstigen Besatzungstruppen bekannte. Und die breite Öffentlichkeit erfuhr auch hier zum ersten Mal, daß noch eine Rechnung offen steht. Denn die Überlebenden haben niemals eine Entschädigung erhalten. Auf der Pariser Konferenz der Siegermächte von 1946 wurden die griechischen Wiedergutmachungsansprüche auf 7,5 Milliarden US-Dollar beziffert. Insgesamt ergeben sich daraus heute, je nach Berechnung der inzwischen aufgelaufenen Zinsen, Reparationsansprüche um die 30 Milliarden Euro. Die 115 Millionen DM, die die griechische Regierung 1960 von der Bundesregierung erhielt, bezogen sich ausdrücklich nur auf die wegen ihrer Rasse, Religion oder politischen Weltanschauung durch den Nationalsozialismus Verfolgten und ließen andere Ansprüche unberührt. Alle Bundesregierungen haben sich bis auf den heutigen Tag geweigert, mit der griechischen Regierung über diese offenen Forderungen zu sprechen. Die griechische Regierungist nicht ganz unschuldig an dieser rüden Haltung der Bundesregierungen. Nach dem Bürgerkrieg zunächst im Antikommunismus mit anderen Dingen befangen, wagte man dann nicht, an den wirtschaftlich erstarkten Bündnispartner Forderungen zu stellen, da man auf seine Stimme in der EG angewiesen war. Nur einer der Täter, General Andrae, der während des Krieges einer der Kommandanten von Kreta war, wurde verurteilt, aber schon 1951 freigelassen. 1958 schloß die Athener Regierung die strafrechtliche Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher mit einem Gesetz ab, obwohl sie noch gar nicht richtig begonnen hatte. Die Akten wurden deutschen Behörden übermittelt, die mit ihnen ebenso nichts anzufangen wußten. 1965 versicherte Bundeskanzler Ludwig Erhard dem griechischen Koordinationsminister Andreas Papandreou, daß man nach der Wiedervereinigung den Zwangskredit in Höhe von knapp 500 Millionen Reichsmark, den die Bank von Griechenland 1942 der Besatzungsmacht einräumen mußte, zurückzahlen werde. Heute eine Forderung in Höhe von etlichen Milliarden Euro. Als die griechische Regierung schließlich unter dem Druck einer wahren Prozeßflut griechischer Opfer 1995 die Bundesregierung um die Aufnahme von Gesprächen über Rückzahlung und Entschädigung bat, wehrte diese kategorisch ab. Die Bundesregierung meinte, gute juristische Gründe für ihre schlechten Argumente zu haben. Die Hartnäckigkeit zahlte sich aus – nicht für die griechischen Opfer. Sämtliche deutschen Gerichte bis zum Bundesverfassungsgericht sprachen die Bundesrepublik von einer Haftung frei. Aber nicht nur die Heimatfront stand, auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wies die Anträge der Kläger zurück. Alle Versuche, deutsches Vermögen in Griechenland und in Deutschland mit dem Urteil des Areopag pfänden zu lassen, schlugen ebenfalls fehl. Schließlich versperrte der Internationale Gerichtshof in Den Haag im Januar 2012 den italienischen Gerichten den Weg, das Urteil des Areopag in deutsches Vermögen in Italien für vollstreckbar zu erklären. Die italienischen Gerichte würden mit einer solchen Entscheidung die Immunität der Bundesrepublik verletzen. Daß damit aber die schwersten Kriegsverbrechen ohne jegliche Entschädigung für die Opfer bleiben, ist eine zynische Last, die den Spardiktaten noch draufgesattelt und von den Griechen nicht vergessen wurde. Norman Paech, Dr. iur., Prof. für öffentliches Recht an der Universität Hamburg i. R., Abgeordneter und außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag 2005 bis 2009.
Erschienen in Ossietzky 1/2013 |
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