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Dabei stellen im Vorwort des Kataloges (29,95 Euro) die Kuratoren Kai Uwe Schierz und Paul Kaiser klar, daß sich die Künstler damals wie jetzt naturgemäß bleibende Werte der Weltkunst aneigneten, und zeigen auch die »Fortwirkung des Phänomens in der Gegenwart« mit dem Papierschnitt »Schweißtuch« der Annette Schröter, Volker Stelzmanns Gemälde »Auffahrt Niederfahrt« und Horst Sakulowskis Zeichnung »Christuskopf«. Seinen »Christophorus« malte er 1987, parallel zu Lothar Warneckes Film »Einer trage des anderen Last«. Wie im Bild der kommunistische Häftling den als Christus bezeichneten rettet, soll ihre gemeinsame ethische Wurzel bekräftigen. 1998 präsentierte das Bild die Melbourner Ausstellung »Moderne Kunst und religiöse Imagination«. Wenn Künstler in der DDR christliche Themen gestalteten, mag das weniger die von Karl-Siegbert Rehberg vermutete »Rückkehr des Religiösen« gewesen sein, als das völlig unparadoxe Verlangen nach künstlerischen Deutungsmustern. Von der Schöpfung, von Tod und Auferstehung oder von großen Fluten finden sie in den Überlieferungen Vergleichbares: Der biblische Prediger Salomo fragt wie ein Bruder des mythischen Sisyphos und der Mensch heute nach dem Gewinn für all die Mühe des Lebens. Durch christliche Kultur geprägt und sich an menschheitlichen Grundmodellen sinnvergewissernd, verbindet sich die Kunst mit der Tradition des Figürlichen, ad hominem, und künstlerischen Gattungen. Auf den jagenden Prozeß künstlerischer Innovation wird mit »Entschleunigung«, Besinnung und Zeitkritik reagiert. Nach dem Weltkrieg gab es bei Künstlern das Verlangen, Leid und Not lindern zu helfen, in der Trauer Trost zu spenden, aber auch die Schuldigen anzuklagen. Ohne Christ zu sein, malte der in beiden deutschen Staaten arbeitende Otto Dix in einer Trümmerlandschaft »Hiob«, der unverschuldet alles verlor, ein alttestamentarisches Leidensbild. Das neutestamentarische, der Gekreuzigte, bildet das christliche Hauptthema, nach 1945 aufgegriffen von René Graetz und Herbert Kitzel. Mit der Kreuzigung und ihrer Umdeutung kritisieren Künstler das von Gott verordnete Schicksal, die gottgleiche Forderung von Regierungen an Kinder ihres Volkes, im Krieg für fragwürdige Interessen ihr Leben zu opfern. Heidrun Hegewald klagt es mit ihrem Gemälde »Mutterverdienstkreuz in Holz« (1979) an. Zuvor zeichnete Joachim John das »Verlassen der Kreuze«, das sich eindrucksvoll in der Bronzeplastik »Genug gekreuzigt« (1982) des Bildhauers Fritz Cremer protestierend erhebt, ebenso beim Gemälde Bernhard Heisigs »Christus verweigert den Gehorsam« (1986–88). Gegen den Spruch »alles so weise eingerichtet«, reißt er sich vehement vom Kreuze los und zerrt die Dornenkrone vom Kopf. Eine typische Kunst aus der DDR, die zeitunabhängig, auch heute, zur Verweigerung von Kriegseinsätzen aufruft. Biblische Themen als Deutungsfolie nutzen seit den 1960er Jahren Wolfgang Mattheuer, Fritz Cremer, Willi Sitte, Harald Metzkes, Werner Tübke und andere. Eine der prägnantesten Metaphern erfand 1965 Wolfgang Mattheuer mit dem »Kain«, den Erfurt zeigt, zudem die Kalksteinplastik »Brudermord« (1971) von Hartmut Bonk. Damals empfand man das als neuartigen allegorisch-symbolischen Ausdruck, der vom Vorbildschema abwich und sich aus den Niederungen des abbildhaften »sozialistischen Realismus« zu prägnanter, sinnschichtenreicher Bildhaftigkeit erhob. Wer das jetzt entdeckt und meint, daß dies »bisher kaum näher untersucht wurde«, kennt nicht die Forschungen Irma Emmrichs (1979), Helga Möbius’ (1983), das schöne Buch »Dialog mit der Bibel« von Jürgen Rennert (1984) oder die Hochschulforschung beispielsweise in Erfurt. Die christlichen Themen, ob vom Weltuntergang zum Brudermord, von der Passion bis hin zu erotischen Bildern, nahmen alle stilistischen Richtungen auf, ob die lapidare von René Graetz und Gerhard Kurt Müller, die konstruktive von Philip Oeser und Hermann Naumann, die expressive von Joachim John, Michael Morgner, Werner Schubert-Deister oder Joachim Völkner, die punkige von Hartwig Ebersbach, die veristische von Volker Stelzmann und Norbert Wagenbrett, die sinnliche von Christoph Wetzel und Winfried Wolk, die surreale von Heinz Plank, die manieristische von Heinz Zander und Michael Triegel oder die naive von Albert Ebert. Die Kunst in der DDR, jetzt als weniger konservativ und indoktriniert erkannt, entwickelte enorm solid und plural einen künstlerischen Spielraum. Das sollte Toleranz herausfordern. Selbst »staatsnahe« Kunst gab es zweifach. In Weimar zu sehen, aber nicht in Erfurt, die affirmative Kunst, die mit der Didaktik des unmittelbaren Realismus sich den politischen Redensarten eingängig angepaßt hat. Einbezogen in Weimar und Erfurt eben solche Kunst, die dem Ideal einer sozial gerechten und friedlichen Gesellschaft mit hoher künstlerischer Qualität verpflichtet ist und vom Staat manchmal weniger akzeptiert war. Kuriose journalistische Versuche gegen die DDR sind Bilderdeutungen. So sieht jemand im Bild von Alexandra Müller-Jontschewa, den »Turm« als DDR-Staat und bei ihm »ein verhärmtes Volk hausen«. Tatsächlich sind sichtbar, nach Motiven von Albrecht Dürer, der Heilige Hieronymus als Übersetzer, darüber die grüblerische »Melancholie« und als drittes Motiv Raffaels streitende philosophische Schulen von Athen. Je höher im Turm von Babel der Wissensweg gelangt, je differenzierter, widersprüchlicher ist die menschliche Einsicht zur Wahrheit. Eine nicht auf die DDR bezogene essayistische Bildform, sondern auf die Welterkenntnis. Das Hauptwerk in Erfurt, Uwe Pfeifers Triptychon »Tischgespräch mit Luther« (1984), durch einen Stuhl erweitert, der den Betrachter in das Gespräch zwischen Luther und dem MP-bestückten lateinamerikanischen Befreiungstheologen einbeziehen soll, drängt zur Frage über den Weg der vita activa zur gerechten Gesellschaft in der Welt. Damals und heute.
Erschienen in Ossietzky 25/2012 |
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