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Die Konzerte der Berliner Philharmoniker im Titania-Palast in Steglitz, einem Kino, waren bei all der Zerstörung ein Gewinn für die Musikfreunde, aber letzten Endes ein Provisorium. Wilhelm Furtwängler selbst ergriff 1949 die Initiative und gründete die Gesellschaft der Freunde der Philharmonie, der er selbst präsidierte. Den Bau des Hauses erlebte Furtwängler nicht mehr. Dafür setzte sich nach ihm Herbert von Karajan energisch ein. Der geniale Architekt Hans Scharoun schuf das Projekt, und 1963 konnte die Philharmonie eröffnet werden. Allerdings ohne Kammermusiksaal. Dafür reichte das Geld nicht. Der Senat setzte andere Prioritäten: Staatsbibliothek und Amerika-Gedenkbibliothek. Zusätzliche Hindernisse entstanden durch Pfusch am Bau, durch den 1980 der südliche Dachbogen der Kongreßhalle einstürzte. Weil Prestigeobjekt der Amerikaner, mußten dafür zunächst größere, ungeplante Haushaltsmittel eingesetzt werden. 1980 wurde der Bau des Kammermusiksaals endgültig auf Eis gelegt. Den ungeduldigen Freunden der Philharmonie, die selbst eine Million Mark sammelten und eine Werbekampagne organisierten, kam schließlich das 750jährige Stadtjubiläum zu Hilfe, für das der Senat Vorzeigeobjekte gut gebrauchen konnte. Denn auch auf der anderen Seite der Grenze wurden die 750 Jahre der Stadt gefeiert. Hans Scharoun war inzwischen verstorben. Der Architekt Edgar Wisniewski übernahm die Leitung des Vorhabens. Und tatsächlich konnte der Kammermusiksaal am 28. Oktober 1987 mit einem glanzvollen Programm eröffnet werden: Die Philharmoniker spielten mit Anne-Sophie Mutter, Violine, und Herbert von Karajan am Cembalo Vivaldis »Vier Jahreszeiten«. Doch ein enger Terminplan auf dem Bau hat seine Tücken. Der Fertigstellungstermin wurde zwar gehalten, das Haus eröffnet, aber sogleich wieder ein Jahr lang für Nacharbeiten geschlossen. Potjomkinsche Dörfer sind also nicht dem Sozialismus vorbehalten. Zur Verschleppung hatte auch das Hickhack um die Platzzahl des Saales beigetragen, die sich von 600 über 950 auf 1.135 Plätze steigerte – eine Kapazität, die den Werbe- und Kaufleuten der Philharmonie immer wieder Sorgen bereitet. Gewitzte Veranstalter wissen, daß Mieter des Saales in den Genuß von Rabatten kommen können, wenn sie die richtige Begründung angeben. Dessen unbeschadet ist der Kammermusiksaal seit 25 Jahren die »ideale Spielwiese« (Dieter Kosslick) wunderbarer Kammermusik-, Instrumental-, Vokal- und Familienkonzerte, gegeben von berühmten Gästen, den Residency-Künstlern, den Virtuosen der Philharmoniker und von ihren Stipendiaten der Orchesterakademie. So ein Jubiläum ist eine Feier wert, und so versammelte sich im Kammermusiksaal Prominenz, die allein in Westberlin zu Hause ist. Selbstverständlich verdient die Eigeninitiative und Beharrlichkeit der Freunde der Philharmonie jedes Lob, und das gute Ende wirft ein mildes Licht auf die bewältigten Schwierigkeiten. Eine Erfolgsstory. Welche Rolle die Währungsreform und die Spaltung der Stadt 1948 für das Ringen um eine neue Philharmonie spielten, wird in den Festreden und in der Festschrift ausgeklammert. Daß Westberlin als Frontstadt zwar ein politischer Trumpf, aber ökonomisch weitgehend abgehängt war und mit der Berlin-Förderung finanziell mühsam gestützt wurde, konnte nicht ohne Wirkung auf die Rangliste geblieben sein, die der Senat den Vorhaben des Auf- und Umbaus der drei West-Sektoren zugrundelegte. Eine ungewöhnliche Festrede hielt der Nachbar vom Potsdamer Platz, Dieter Kosslick, Intendant der Internationalen Filmfestspiele Berlin. Er redete vom Film und doch zum Thema, nämlich von der Unentbehrlichkeit der Musik für die Filmkunst, der Musik als einer Kunst, »die die Geschichten erblühen läßt«. Die Musik begleitete die Bilder von den Gebrüdern Lumière 1895 (und – wie ich anmerken möchte – den Gebrüdern Skladanowsky 1895) über Fritz Lang, Sergej Eisenstein bis zu Joris Ivens, Hitchcock und Martin Scorsese und führte zu wunderbaren Symbiosen wie bei Tramberg und Schostakowitsch, bei Visconti und Mahler im »Tod in Venedig« und Egon Günther und Mahler in »Lotte in Weimar«. Kosslick verhalf den Gästen nicht nur zu Feststimmung, sondern auch zu Wissen. Vielleicht war er einer der wenigen im Saal, die Filmmusik von Hanns Eisler kennen, des Komponisten, dessen Werke man im Programm der Berliner Philharmoniker vergeblich sucht. Kosslick vergaß nicht den historischen Bogen, nämlich daß die Philharmonie und der Kammermusiksaal mit ihrer historischen Lage unweit der Mauer als Symbol der Freiheit und Widerständigkeit galten. Wie die Berlinale sollten sie Demokratie und Offenheit über die Mauer tragen. Da wäre es symbolhaft gewesen, zum Festkonzert auch Musiker von jenseits der früheren Grenze einzuladen – als Akteure, versteht sich. Verschenkt. So blieb das Fest ein Heimspiel von Berlinern (West).
Erschienen in Ossietzky 25/2012 |
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