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Dann endlich war es soweit, und die Menge brach in unbeschreiblichen Jubel aus, umarmte und küßte sich, schrie, begleitet vom Kirchengeläut im ganzen Land, in ekstatischer Freude: »Unsere Helden sind frei!« und »Kroatien ist unschuldig!« In einer Live-Übertragung aus Den Haag erlebten sie, wie das Appellationsgericht des Jugoslawien-Tribunals die Ex-Generäle Ante Gotovina und Mladen Markac von allen Vorwürfen freisprach und mit sofortiger Wirkung in die Freiheit entließ. Ein Jahr zuvor waren sie vom gleichen Tribunal zu 24 beziehungsweise 18 Jahren Haft verurteilt worden, da sie, so der damalige Richterspruch, in einem gemeinsamen kriminellen Unternehmen mit dem damaligen kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman im Oktober 1995 mit der militärischen Operation »Oluja« (»Sturm«) binnen weniger Tage mehr als 200.000 Serben aus der Region Krajina vertrieben hatten. Deren Vorfahren hatten seit dem 16. Jahrhundert das Gebiet mit dem Zentrum in Knin besiedelt, als »Wehrbauern« schützten sie Mitteleuropa vor den osmanischen Eroberern, unter der Ustascha-Herrschaft waren sie schrecklichen Verfolgungen ausgesetzt, und 1991, nach der Abspaltung Kroatiens aus der jugoslawischen Föderation, waren sie nicht bereit, in ihrer Heimat erneut zu einer diskriminierten nationalen Minderheit zu werden. Die nun Freigelassenen – Gotovina war der Befehlshaber der Operation »Oluja« und Markac Chef der Spezialpolizei, die an den Krajina-Serben ungezählte Verbrechen beging – wurden umgehend nach Zagreb gebracht. Dort hatten sich auf dem zentralen Platz, der einst »Platz der Republik« hieß und seit der Abspaltung den Namen des kaisertreuen Volkshelden der österreich-ungarischen Donaumonarchie und entschiedenen Gegners der Revolution von 1848 »Ban Jelacic« trägt, die Zagreber versammelt und bereiteten den beiden einen triumphalen Empfang. »Ante! Ante!« jubelten sie und »Kroatien vergißt seine Helden nicht!« Und der Held, Ante Gotovina, wandte sich an die Hunderttausenden: »Das ist unser gemeinsamer Sieg. Es war ein militärischer ›Sturm‹. Aber das hier ist ein wahrer Sturm. Das ist der Punkt auf dem i!« Neue Jubelschreie dankten den Heimgekehrten und in der Menge tanzte ein angetrunkener Manifestant und schwenkte eine kroatische Fahne. Auch in der serbischen Hauptstadt Belgrad, vor dem Palast des Präsidenten, flatterte ein kroatisches Banner mit dem Schachbrettwappen. Es wurde nicht geschwenkt, sondern verbrannt. Obzwar sich hier nur mehrere Hundert Menschen versammelt hatten, rief der Haager Freispruch in ganz Serbien Enttäuschung und Zorn hervor. Staatspräsident Tomislav Nikolic erklärte: »Serbien hat den Plan, die ehemaligen jugoslawischen Republiken in Freundschaft zu vereinen. Aber das muß unter den Bedingungen der Gleichberechtigung geschehen, wozu dieses ungerechte Urteil des Haager Tribunals in keinerlei Weise beiträgt ... Es ist klar, daß das Tribunal ... alte Wunden wieder aufreißt.« Die Regierenden in Belgrad, die 2001, damals angeführt vom Lieblingsserben der NATO, Zoran Djindjic, den Ex-Präsidenten und Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Serbiens, Slobodan Milosevic, in einer Geheimaktion nach Den Haag verschleppt hatten und in der Folgezeit zahlreiche hohe Offiziere der eigenen Armee dem Tribunal für das Linsengericht einer in Aussicht gestellten EU-Mitgliedschaft überstellten, sind bitter enttäuscht. Einer ihrer Sprecher, Vize-Premier Rasim Ljajic, faßte es in die Worte: »Mit diesem Freispruch hat das Tribunal jede Glaubwürdigkeit verspielt. Das ist ein Beispiel von willkürlicher Rechtsprechung.« Ja, was hatten sie denn erwartet? Von Anfang an war klar, daß der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag, das »Criminal Tribunal for the former Yugoslavia« (ICTY), der Rechtfertigung der einseitigen antiserbischen Parteinahme der NATO, der völkerrechtswidrigen Einmischung in den Bürgerkrieg und der Zerschlagung des multinationalen Staates diente und dient. Initiiert wurde es von der Bundesrepublik, was deren damaliger Außenminister Kinkel offen eingestand: »Bei der Londoner Friedenskonferenz im August 1992 bin ich mit dem Vorschlag, einen Strafgerichtshof einzurichten, erstmals auf breitere Gegenliebe gestoßen. Anschließend ist es mir gelungen, die Europäer auf diese Linie festzulegen.« Noch heute ist die Rechtmäßigkeit des Tribunals unter Völkerrechtlern umstritten. Gegründet wurde es im Mai 1993 durch eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates, aber kein Staat dieser Erde hat diesem Gremium Strafhoheit übertragen. Von Anfang an wurde es politisch instrumentalisiert. Selbst wenn rein theoretisch einmal angenommen würde, daß das Anti-Jugoslawiengericht nicht gegen das Völkerrecht verstößt und auf festen Rechtsgrundlagen beruht, so wirft allein schon seine Praxis zahllose Fragen auf, darunter solche: Warum sind die allermeisten Angeklagten und Verurteilten serbischer Nationalität, obwohl in dem grausamen Bürgerkrieg von allen Parteien schreckliche Greueltaten begangen wurden? Weshalb werden diejenigen nicht zur Rechenschaft gezogen, die, wie zum Beispiel der bundesdeutsche Ex-Außenminister Genscher, allen Warnungen der höchsten Repräsentanten der UNO zum Trotz entscheidend dazu beigetragen haben, Jugoslawien in den Bürgerkrieg zu treiben? Warum haben die Richter des Tribunals, das selbst namhafte Juristen in den USA als »Frankenstein-Monster« bezeichneten, und die Verantwortlichen des Scheveninger Gefängnisses den lebensgefährlich erkrankten Slobodan Milosevic, der an 250 Verhandlungstagen vom Angeklagten zum Ankläger wurde, durch die Verweigerung dringend erforderlicher medizinischer Behandlung durch Belgrader und russische Kardiologen zu Tode gebracht? Was sind die Gründe dafür, daß der heutige Ministerpräsident von Kosovo, Hashim Thaci, nicht vor Gericht gestellt wurde, obwohl die USA ihn einst als Terroristen betrachteten und er die sogenannte Befreiungsarmee UCK während des 78tägigen Luftkrieges gegen Jugoslawien zur Bodentruppe der NATO machte und danach dafür sorgte, mit Mord und Terror 250.000 Serben, Roma und andere Nichtalbaner aus der südserbischen Provinz zu vertreiben? Warum wurde selbst die damalige antiserbische Chefanklägerin Carla del Ponte nach eigenem Bekunden daran gehindert, der Thaci von Augenzeugen angelasteten gewaltsamen Organentnahme bei serbischen Gefangenen nachzugehen? Wie schließlich kann ein Tribunal gerecht urteilen, in dem die Aggressoren über die Angegriffenen zu Gericht sitzen? Immerhin war es doch wohl die NATO, die sich völkerrechtswidrig und brutal in die innerjugoslawischen Auseinandersetzungen einmischte und 1999 unter dem Vorwand, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, einen mörderischen Krieg gegen Jugoslawien führte. Fragen über Fragen. Aber gut, das Haager Tribunal kann sich nicht mit allen Verbrechen beschäftigen. Und es kann eben auch irren, wie im Fall des jetzt freigesprochenen und vor einem Jahr verurteilten Ex-Generals Ante Gotovina. Damals, 2011, war die Göttin der Gerechtigkeit Justitia, vertreten durch den niederländischen Vorsitzenden Richter Alphons Orie, anscheinend nicht genügend darüber aufgeklärt, daß die kroatische Armee erst dank der Clinton-Regierung durch die Entsendung von militärischen Ausbildern und die Lieferung modernster Kriegsgeräte in die Lage versetzt worden war, die Operation »Oluja« mit all ihren Folgen so blitzartig durchzuführen. Auch war offenbar nicht bekannt, daß diese Militäraktion im Sommer 1995 in einer Militärbasis nahe des idyllischen Adria-Städtchens Zadar zwischen Gotovina und dem damaligen stellvertretenden CIA-Chef George Tenet vorbereitet worden war. Hätte man es gewußt, wäre es im Vorjahr gar nicht erst zur Verurteilung gekommen. Ein bedauerlicher Fehler. Der jetzige Freispruch durch das fünfköpfige Appellationsgericht erfolgte mit einem Stimmenverhältnis von drei zu zwei. Verlesen wurde das Urteil vom Vorsitzenden Richter und Präsidenten des Tribunals Theodor Meron. Rein zufällig ist er Staatsbürger der USA.
Erschienen in Ossietzky 25/2012 |
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