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Damals als spontane Reaktion auf brutale Angriffe der Staatsgewalt gegen protestierende Schüler und Studenten in der Bundesrepublik Deutschland skandiert, ist es heute – angesichts der politischen und ökonomischen Krise der kapitalistischen Gesellschaft – eine Warnung vor der Entwicklung in vielen Ländern Europas. Am 1. Juni 1967 hatte der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) in West-Berlin zur Demonstration gegen den am nächsten Tag beginnenden Staatsbesuch von Schah Mohammed Resa Pahlewi aufgerufen, der Persien seit mehr als 20 Jahren diktatorisch regierte. Am Morgen des 2. Juni forderte die Berliner Ausgabe von Bild die Bevölkerung auf: »Helft der Polizei, die Störer zu finden und auszuschalten!« Ohne die von dem Springer-Blatt eingeforderte Bürgerhilfe in Anspruch zu nehmen, schaltete der Polizeibeamte Karl-Heinz Kurras um 20.30 Uhr den Studenten und Störer Benno Ohnesorg durch einen Schuß in den Hinterkopf aus. Am Tag nach dem Todesschuß legte Bild nach und machte klar, worum es wirklich ging: »Sie schwenken die rote Fahne, und sie meinen die rote Fahne. Hier hören der Spaß und die demokratische Toleranz auf.« Uns war bewußt, daß diese Drohung nicht unterschätzt werden durfte. Denn einige Wochen zuvor, am 21. April 1967, hatten rechte Militärs in Griechenland demonstriert, welche Konsequenzen es hat, wenn Spaß und Toleranz aufhören. Antikommunistische Obristen hatten mit einem Putsch den erwarteten Wahlsieg der Linken verhindert und eine faschistische Diktatur errichtet. Die Mitwirkung der USA und westeuropäischer Geheimdienste daran war ein offenes Geheimnis. Zur gleichen Zeit überzogen die USA das kleine Vietnam mit einem Bombenteppich aus Napalm und versprühten das hochgiftige Herbizid »Agent Orange«. Vor allem Kinder, Frauen, Ungeborene und Alte wurden Opfer dieser »Rettungsaktion vor der kommunistischen Gefahr«. Für bundesdeutsche Politiker und den größten Teil der Medien hörten aber selbst beim Massenmord weder der Spaß noch ihre »demokratische Toleranz« für die Täter auf. Das änderte sich erst wieder, als der SDS für den 17./18. Februar 1968 zum Vietnam-Kongreß in der Technischen Universität mit anschließender Demonstration in West-Berlin mobilisierte und SDS-Aktivist Rudi Dutschke dazu aufforderte, statt mit symbolischen Angriffen »den US-Imperialismus von den europäischen Metropolen aus wirklich zu bekämpfen«. Schon im Vorfeld hatten Politiker und Medien Pogromstimmung erzeugt. Unter der Überschrift »Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt« hatte die Berliner Bild ihre Leser aufgerufen: »Man darf über das, was zur Zeit geschieht, nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und man darf auch nicht die ganze Dreckarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen.« Der Springer-Jargon unterschied sich in nichts mehr von einem Aufruf der West-Berliner NPD in dem es hieß: »Linke und halbstarke Anarchisten terrorisieren unsere Stadt ... und greifen zu Gewaltakten ... Man macht die Polizei zu Prügelknaben, sobald sie diese Rowdys nicht liebevoll mit Wattehandschuhen anfaßt … Schluß endlich ...!« Während Neofaschisten und Bild die Bürger zur Selbsthilfe aufforderten, machte ein Karikaturist namens Schoenfeld den frühen Gauck, indem er die Aktionen des SDS im Jahr 1968 mit dem Terror der SA gegen jüdische Bürger im Jahr 1938 gleichsetzte. Nach dem Vietnam-Kongreß nahm die Hetze weiter zu. Am 11. April 1968 feuerte ein junger Hilfsarbeiter, die letzte Ausgabe der National-Zeitung mit dem Titel »Stoppt den roten Rudi jetzt« in der Tasche, mit einer von Neonazis in Peine gekauften Waffe vor dem SDS-Büro am Kurfürstendamm drei Schüsse auf Rudi Dutschke ab. In den folgenden Tagen demonstrierten in der Bundesrepublik zigtausende meist junge Menschen und versuchten in mehreren Städten, die Auslieferung der Springer-Zeitungen zu verhindern. In der Hamburger Caffamacherreihe machte ich bei einer Sitzblockade erstmals mit dem harten Strahl eines Wasserwerfers und etlichen Polizeiknüppeln Bekanntschaft. Nach jedem Schlag ging uns der am Anfang erwähnte Spruch flüssiger über die Lippen. Spätere Versuche, über die gewonnene Erkenntnis Zweifel in unsere Köpfe zu säen, hatten allerdings bei vielen Erfolg. Ich erinnere mich an eine Diskussion im Hamburger Audimax, in der uns der Soziologe Ralph Dahrendorf von unserem »Irrtum« abzubringen versuchte, daß Faschismus irgendetwas mit Kapitalismus zu tun habe. Etliche damalige Aktivisten der Außerparlamentarischen Opposition vertreten dessen Auffassung mittlerweile selbst. Ich gestehe, auch ins Zweifeln gekommen zu sein. Schließlich waren in Europa zehn Jahre später die letzten faschistischen Staaten verschwunden. Nachdem in Griechenland noch im November 1973 Studentenaufstände mit Panzern niedergeschlagen worden waren, war die Militärjunta ein Jahr später am Ende. Die faschistische Diktatur in Portugal wurde 1974 mit einer Revolution beendet, deren Namen nicht von Werbeagenturen erfunden worden war, sondern von roten Nelken herrührte, die die Soldaten in ihre Gewehrläufe gesteckt hatten. Auch in Spanien änderten sich die Dinge mit dem Tod des Diktators Francisco Franco, der noch vor seinem Ableben im Jahr 1975 König Juan Carlos persönlich zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. Seit 1978 ist das Land eine konstitutionelle Monarchie, und im März 2005 wurde sogar die sieben Meter hohe Franco-Statue auf der Plaza de San Juan de la Cruz in Madrid entfernt. Wer mochte da auch nur im Traum daran denken, daß die so erfolgreiche Marktwirtschaft, wie der Kapitalismus hierzulande genannt wird, sich zu ihrer Verteidigung irgendwann wieder faschistoider Methoden bedienen würde? Wer konnte damals ernsthaft damit rechnen, daß nur wenige Jahre später unter einer rot-grünen Regierung von deutschem Boden aus wieder Krieg geführt würde? Wer hätte sich das Ausmaß vorstellen können, in dem die Völker der europäischen Staaten ausgeplündert werden, um Banken und Finanzjongleure zu retten? – Man muß schon die Chuzpe und das Geschichtsbild des früheren Pfarrers Joachim Gauck haben, der als Sohn von Nazi-Anhängern (laut Wikipedia war Mutter Gauck schon seit 1932, sein Vater seit 1934 Mitglied der NSDAP) die Pogromnacht der SA-Horden in Zusammenhang mit dem Mauerfall brachte, um nicht wahrzunehmen, was derzeit in der Welt, in Europa und Deutschland geschieht. Auch wenn es richtig ist, daß Geschichte sich nicht wiederholt, ist die Analyse eines Politikers interessant, der vor fast 80 Jahren feststellte, daß »faschistische Tendenzen und Keime einer faschistischen Bewegung in mehr oder weniger entwickelter Form fast überall zu finden sind«. Er fügte hinzu: »Unter den Verhältnissen der hereingebrochenen überaus tiefen Wirtschaftskrise, der heftigen Zuspitzung der allgemeinen Krise des Kapitalismus, der Revolutionierung der werktätigen Massen ist der Faschismus zum breiten Angriff übergegangen. Die herrschende Bourgeoisie sucht immer mehr ihre Rettung im Faschismus, um die schlimmsten Ausplünderungsmaßnahmen gegen die Werktätigen durchzuführen.« Die Ursachen für diese Entwicklung beschrieb der Autor dann folgendermaßen: »Die imperialistischen Kreise suchen die ganze Last der Krise auf die Schultern der Werktätigen abzuwälzen. Dazu brauchen sie den Faschismus. Sie wollen das Problem der Märkte durch Versklavung der schwachen Völker, durch Steigerung der kolonialen Unterdrückung und durch eine Neuaufteilung der Welt auf dem Wege des Krieges lösen. Dazu brauchen sie den Faschismus.« Die Thesen stammen aus der berühmten Rede Georgi Dimitroffs auf dem siebten Weltkongreß der Kommunistischen Internationale im August 1935. Die Entwicklung der folgenden Jahre hat seine Thesen in vielen Punkten bestätigt, und seine Analyse ist heute wieder so aktuell wie damals. Schließlich ist auch dem früheren Motto der 68er-Bewegung »Kapitalismus führt zum Faschismus ...« in den letzten Jahren – aus vielen gegebenen Anlässen – ein weiteres hinzugefügt worden: »Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!«
Erschienen in Ossietzky 24/2012 |
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