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Höhepunkt, sie als nichtig und lächerlich zu diffamieren, war der Eklat mit »Aufstieg und Fall der Moderne« von 1999 in Weimar. Zum 60. Jahrestag der BRD mit der Schirmherrin Merkel ließ man die DDR-Kunst einfach weg, weil sie nicht als freie Kunst auf dem Boden des Grundgesetzes habe entstehen können; wie auch Werner Fuld unterstellte, eine in der DDR veröffentlichte Literatur, »verdient diesen Namen nicht«. Dem steht 2012 in Weimar eine andere Richtung gegenüber. Schon 2003 präsentierte eine Retrospektive der Nationalgalerie »Kunst in der DDR« als kulturelles Erbe und führte 2006 im Schloß Oberhausen Ost- und West-Kunst zu »Deutsche Bilder« zusammen und entdeckte, wie 2009/10 in Nürnberg »Kunst und Kalter Krieg«, nationale Gemeinsamkeiten. Seit 2009 durchforsteten mit bewundernswertem Engagement Karl-Siegbert Rehberg und Paul Kaiser im Verbundprojekt »Bildatlas: Kunst in der DDR« der Technischen Universität Dresden lokale Museen und 87 öffentliche, niedergelegte Sammlungen. Die dort meist unsichtbar bleibenden Werke wollten sie aus dem Depot ins Offene holen, um sie und ihren wertenden Sinn aus der Abgeschiedenheit zu befreien. Dazu legten sie eine umfassende Dokumentation an und bereiteten Ausstellungen vor. Mit korrespondierenden Expositionen in Erfurt zur biblischen Thematik und Gera zu Atelierbildern zeigen sie mit dem Museumsdirektor Wolfgang Holler im Neuen Museum Weimar bis zum 3. Februar ein wirkliches Großereignis: 260 Arbeiten, vor allem Gemälde, wenige Plastiken und Grafiken aus allen Zeitphasen und Genres, staatsnah und -fern. Wie die Neue Zürcher Zeitung zu Recht meint, habe man es nicht auf kunstrichterliche Wertungen abgesehen, sondern auf kulturhistorische und kunstsoziologische Deutung, die verfolge, wie sich die gesellschaftliche Situation der DDR in der Entwicklung der bildenden Künste spiegelt. Zur Neubewertung empfiehlt Karl-Siegbert Rehberg zu lernen, »daß es in der DDR nicht eine Einheitskunst gegeben hat, obwohl es eine einheitliche Kunstpolitik gab. Und daß nicht durch die Diktatur und die autoritären Verhältnisse die Bilder entwertet sind.« Das hätte jeder wissen können. Bereits 1977 präsentierte die Kasseler documenta, ein Hort der Freiheit der Kunst, realistische Kunst aus der DDR; und als Quelle zu einer Neubewertung gehören selbstverständlich die in der DDR erarbeiteten kunsthistorischen Sichten. Immerhin schwingt man sich mit der umfangreichen Arbeit am »Bildatlas« zur Behauptung auf: Das ist erstens Kunst und zweitens nicht Antimoderne, sondern Andere Moderne. Richtigerweise wird die Moderne plural und unter Einschluß der realistischen Strömungen definiert. Weil das gesellschaftliche Projekt mit der Republik abgestürzt ist und wohl auch, was zu bezweifeln ist, die sozialistische Utopie, wird die Exposition mit »Abschied von Ikarus« überschrieben, ein Rahmenthema, das allerdings vielfältige Themen von Aufmunterung zum Übermut bis Niedersturz umfaßt. Das prägt den Auftakt mit der Konfrontation von Bernhard Kretzschmars zukunftsweisender »Eisenhüttenstadt (Stalinstadt)«, 1955, und Wolfgang Mattheuers »Freundlicher Besuch im Braunkohlenwerk«, 1974, das nicht nur Landschaftszerstörung, sondern auch sozialen Dissens zeigt. Bergleute, profanierte Brüder des Sisyphos, beim landschaftsfressenden Steinwälzen, werden von maskenlachenden, schattenlosen Prüfern kontrolliert. Die Masken herunterzureißen, die Wahrheit und Veränderungsbedürftigkeit der Realität zu sehen, fordern solche Bilder; in ihnen wird wie bei den Stürzenden von Fritz Cremer, Wieland Förster und Waldemar Grzimek ein tragischer Widerspruch von Utopie und Realität ausgetragen, Sinnbilder der entfremdeten Arbeit mit neuer globaler und gegenwärtiger Dimension. Verwundert begegnen manche Bildern einer volksnahen Welt: Arbeiter und Brigaden, der Maurerlehrling von Otto Nagel, die Mamais von Walter Dötsch und Willi Neuberts Parteidiskussion bis zu Volker Stelzmann mit seinem Schweißer oder die Brigaden von Lothar Zitzmann, Werner Tübke, Wolfgang Peuker, Nobert Wagenbrett und das badende Kollektiv von Wilfried Falkenthal. Jüngere wissen nicht, wie der Meister Falk damals die Leute vor die Fernseher zog, weil ihnen der Erfolg der gemeinschaftlichen Anstrengung wichtig war. Ein humanes Menschenbild mit Sinnlichkeit, gepriesen von Liebespaaren Willi Sittes oder Nuria Quevedos, und mit wissenschaftlichen Rationalismus und technokratischer Idealität illusorisch gesteigert vom spanischen Immigranten Josep Renau. Oft wurde die ostdeutsche Kunst kritisiert, weil sie mit dem Staat DDR identifiziert werden kann. Nunmehr heißt ein neuer Weg, die DDR zu delegitimieren: Jetzt machen wir die Kunst der DDR zu unserem Verbündeten und loben sie als engagierten Gegner der DDR, Kunst versus Staat. Gezeigt, gedeutet, vermutet Rehberg irrtümlich im Katalog beim Bildmotiv einer Tricolore, diese sei bundesrepublikanisch, obwohl sie, auf die französische Revolution bezogen, davon sprach, zur Revolution zu eilen und nicht zur Einheit. Natürlich bediente sich die Kritik im Lande nicht zuletzt der Kunst als Organ kollektiver Selbstverständigung und subversiver Kraft. Dazu hinterfragten Künstler in allen Phasen der DDR ungewöhnlich häufig antike Mythen auf deren aktuelle Bedeutung. Mit Kassandra, Prometheus, Parisurteil oder Angela Hampels »Penthesilea« zeigt Weimar nicht allein Ikarus’ Schicksal. Dieses erschien allerdings sowohl für optimistische Hochphasen als auch für krisenhafte persönliche wie gesellschaftliche Situationen paradigmatisch: Ikarus als kosmischer Flugpionier bei Willi Sitte, 1957; Absturz des begeisterten Ikarus und sein Tod bei Bernhard Heisig, 1979; behinderte Ikarusse wie bei Via Lewandowsky, 1988. Manches fehlt, zum Beispiel Winfried Wolks Ikarus, der eine angedeutete Flughaltung mit realem Duckmäusertum verbindet, oder die Sturzgestalten Bernd Göbels und Ronald Paris’ Ikarus, dem Sisyphos begegnet, die zeigen, daß das Leitbild Bestand hat. Ikarus, die kritische und innovative Kraft der Menschheit, wird immer wieder von Künstlern verabschiedet und willkommengeheißen, um im Offenen zu wirken.
Erschienen in Ossietzky 23/2012 |
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