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Später fanden Orientalisten aus Inschriften in Tempeln und auf Stelen heraus, daß die im Auftrag des Königs Ur-Nammu von Mesopotamien in sumerischer Sprache verfaßten, wenn auch unvollständig erhalten gebliebenen Rechtsvorschriften – der Codex Ur-Nammu – noch älter waren und bereits um das Jahr 2100 v. u. Z. in Stein gehauen wurden. Inzwischen ist viel Zeit ins Land gegangen und die Zahl der Gesetze ist ins Unendliche gewachsen. Die deutschen Fürsten, Könige, Kaiser, Diktatoren und Parlamente haben das Ihrige dazu beigetragen. Allein in der Bundesrepublik Deutschland gab es Ende 2009, die zahllosen Gesetze und Rechtsverordnungen der 16 Bundesländer nicht eingerechnet, insgesamt 2.197 Bundesgesetze mit 45.511 Paragraphen und 3.131 Bundesrechtsverordnungen. Es sind bedeutende, notwendige, nichtige und auch alberne Gesetze. Das wichtigste ist zweifellos das Grundgesetz. Darin sind wunderbare Artikel zu finden, darunter auch der Artikel 5, laut dem jeder das Recht hat, »seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten«. Damit diese elementare Verhaltensregel umgesetzt wird, gibt es in jedem einzelnen Bundesland Pressegesetze, die sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Formulierungen wie im sächsischen – »Die Presse dient dem demokratischen Gedanken im Sinne des Grundgesetzes. Die Presse erfüllt eine öffentliche Aufgabe, indem sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt« – sind nahezu wortgleich in den anderen Landespressegesetzen zu finden. Kein Wunder, haben doch die Dresdner nach der glücklichen Wiedervereinigung von Texten der Rechtsberater aus den demokratiegeübten Ländern abschreiben dürfen. Daneben gibt es schließlich Staatsverträge für Rundfunk und Telemedien, die zwischen allen Bundesländern abgeschlossen sowie ratifiziert werden müssen und so auch Gesetzeskraft erlangen. In der Präambel des gültigen Staatsvertrages heißt es unter anderem: »Öffentlich-rechtlicher Rundfunk und privater Rundfunk sind der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung sowie der Meinungsvielfalt verpflichtet.« Folgerichtig wird im Text präzisiert: »Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.« Kurzum: Die Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit ist in unserem freiheitlich-demokratischen Staatswesen bestens abgesichert. Davon profitieren alle Bürger und demokratischen Parteien, darunter selbstredend auch Die Linke. Nur manchmal, höchst selten, kommt es zu einem Lapsus. So als die Aachener Nachrichten und die Aachener Zeitung auf dem Höhepunkt des Wahlkampfes in Nordrhein-Westfalen Fotos von einer Diskussionsrunde mit der Unterschrift »So sah es bei der WDR-Wahlarena aus« veröffentlichten, auf dem die Spitzenkandidatin der Linken, Katherina Schwabedissen, heraus- beziehungsweise weggeschnitten war. Nach den Wahlen hat der Deutsche Presserat mit ein wenig Verspätung diese »nicht wahrheitsgetreue Berichterstattung« als schweren Verstoß gegen die presseethischen Grundsätze mißbilligt. Außer dem neuen deutschland und der jungen Welt haben die Medien darüber nicht berichtet. Aber vom Presserat war es nett, leider ist er offenkundig so überlastet, daß er nicht allen die Linke betreffenden kleinen Verstößen nachgehen kann. Bei den meisten handelt es sich ja auch nur um Bagatellen. Die Berichterstattung des bundesweit aus Köln sendenden Deutschlandfunks ist dafür ein anschauliches Beispiel. Laut seiner Eigenwerbung steht er »seit mehr als 40 Jahren für schnörkellose Information aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Der hohe Wortanteil von rund 80 Prozent prägt sein unverwechselbares Profil. Deutschlandfunk, das ist die hörbare Alternative für alle, die gründlicher und umfassender informiert werden wollen.« Dieser öffentlich-rechtliche Alternativsender hat nur einen klitzekleinen Schönheitsfehler: Mit der Linkspartei geht er ein wenig unfair um. In seinem »hohen Wortanteil« hat ihre Erwähnung Seltenheitswert. Wenn über die Positionen der Oppositionsparteien im Bundestag berichtet wird, gewinnt man den Eindruck, daß es davon nur zwei, nämlich die SPD und die Grünen gibt. Die Linke wird ausgegrenzt. Nicht wesentlich anders ist es in den meinungsbildenden Nachrichtensendungen Tagesschau und Tagesthemen sowie heute und heute-journal. Hier kommen Sprecher der SPD und der Grünen weit häufiger zu Wort als die der Linken. Es vergeht kaum eine Sendung, in der nicht Vertreter der Grünen, der kleinsten Oppositionspartei im Bundestag, ihren Senf zu aktuellen Themen dazugeben. Auch das kleinste Darmblähungsgeräusch ihres Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin wird zu Gehör gebracht. Kein Wunder, ist doch seine Partei systemerhaltend und variabel regierungstauglich. Bei der Linken ist das vorerst anders. So ist es verständlich, daß ihre Politiker wesentlich seltener als die Vertreter der konkurrierenden Parteien zum Polit-Talk bei Sandra Maischberger, Anne Will, Maybrit Illner und den anderen eingeladen werden. Dürfen sie, zum Beispiel in den sogenannten Sommerinterviews, doch einmal länger zu Wort kommen, dann kann von journalistischer Gleichbehandlung nur schwerlich die Rede sein. »Die sogenannte Opposition (SPD, Grüne)«, so konstatierte unlängst Der Freitag, »greift man mit der Flachzange an. Vorwiegend Personal der Partei Die Linke jedoch bearbeiten öffentlich-rechtliche Kanalarbeiter wie Rainald Becker, Ulrich Deppendorf oder Thomas Walde nur allzu gerne und mit unüberhörbarer Inbrunst mit dem Vorschlaghammer.« Günther Jauch verzichtete bislang auf solch schweres Gerät, er lädt das linke Personal in der Regel sicherheitshalber gar nicht erst ein. So erst kürzlich, als in seiner Sendung das Thema »Total transparent. Wollen wir den gläsernen Politiker?« behandelt wurde. Dafür durfte die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles ihren Euro scheffelnden Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und den Vorwärtsverteidigungs-Vorschlag ihrer Partei, alle Nebeneinkünfte auf »Heller und Pfennig« offenzulegen, wortreich verteidigen. Doch weder sie noch einer der Diskussionsteilnehmer und schon gar nicht der Moderator erwähnten auch nur mit einem Wort, daß die Bundestagsabgeordneten der Linken bereits freiwillig veröffentlichen, wieviel sie durch Nebentätigkeiten verdienen und von wem sie Honorare erhalten. Es versteht sich, daß die Konzernmedien diesen Schritt der Linken ebenfalls nicht der Erwähnung wert befanden. Breit berichteten die Medien, daß die in Not geratene FDP neuerdings für die Abschaffung der Praxisgebühr eintritt. Das ist löblich und vor allem populär. Daß die Linke von Anfang an konsequent gegen diese unsoziale Abgabe eintrat, wird unter den Teppich gekehrt. Ähnliches geschieht mit der Rente mit 67. Als sich Sigmar Gabriel, Vorsitzender der Partei, die sie im Bunde mit den bürgerlichen Bundestagsfraktionen gegen den Widerstand der Linken eingeführt hat, verhalten kritisch zu dieser faktischen Rentenkürzung äußerte, entfachte er eine lebhafte öffentliche Debatte. Obwohl er die soziale Mißgeburt laut seinem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück keinesfalls in Frage stellt und sie lediglich ein wenig modifizieren will, schrie der Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler empört auf und nannte Gabriels Überlegungen »eine populistische Rolle rückwärts«. Ja, wo der Noch-FDP-Chef recht hat, hat er recht. Hinzuzufügen ist, daß der SPD-Chef nicht nur bei der Rente mit 67 ein wahrer Meister im Salto rückwärts und ein Plagiator von Format ist. Zumeist in großer Aufmachung berichteten die Medien über seine Forderungen nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes, der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I auf bis zu 24 Monate (36 Monate für Ältere), der Fortsetzung der geförderten Altersteilzeitarbeit sowie nach Finanzmarktregulierungen, Börsenumsatzsteuer, Verbot des Handels mit Giftpapieren und nach Bildung einer Europäischen Wirtschaftsregierung. Unerwähnt bleibt lediglich, daß er diese und manch andere Programmpunkte mehr oder weniger wortwörtlich von der Linkspartei abgekupfert hat. Für die Medien, die sich gern »unabhängig und überparteilich« nennen, gibt es eine ungeschriebene goldene Regel: Über die Linkspartei wird, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur dann informiert, wenn es innerparteilichen Streit gibt. Das bestimmte auch die Berichterstattung über den Göttinger Parteitag. Als die neue Doppelspitze der Partei, Katja Kipping und Bernd Riexinger, nach 120 Tagen im Amt vor der Presse eine beachtliche positive Bilanz zogen, war in den auflagenstarken meinungsmachenden Medien kein einziges Wort zu lesen. Die gleiche Enthaltsamkeit üben sie, wenn die Partei zu heiß diskutierten Themen eigene Vorschläge unterbreitet. Das Totschweigen des von der Linksfraktion im Bundestag vorgelegten Modells zu einer sozialen Energiewende, mit dem hohe Strompreise verhindert werden sollen, ist nur ein weiteres Beispiel. In nordrhein-westfälischen Blättern wurde die Vertreterin der Linken aus den Fotos über die »WDR-Wahlarena« weggeschnitten, in den bundesdeutschen Leitmedien wird die gesamte Linke unter permanenter Verletzung des Gebotes der Gleichbehandlung der Parteien in der Regel weitgehend weggeschwiegen. In Verträgen und Gesetzen niedergeschriebene Bestimmungen werden grob mißachtet. Ob es beim babylonischen König Hammurapi so lasch zuging, ist unbekannt. Aber in der Bundesrepublik hält man sich in bezug auf Informationsfreiheit und -vermittlung an Konrad Adenauer und wandelt seinen bekannten Ausspruch nur leicht ab: Was interessiert mich mein Gesetz von gestern?
Erschienen in Ossietzky 23/2012 |
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