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Den »Tod des chinesischen Großreiches« fordert er und generalisiert: Zu erhoffen und anzustreben sei die »Auflösung der großen Nationen«, deren »Teilung in kleine Einheiten«. Und Liao Yiwu klagt den »Westen« an – skrupellos mache dieser »mit staatlichen Henkern Geschäfte«, stelle »schamlos Profit über alles«. Wer in westliche Länder überwechsele, müsse allerdings erleben, daß es »auch im demokratischen Westen weder Gerechtigkeit noch Gleichheit gibt«. Globalisierung heiße nichts anderes als Ausbreitung »eines Wertesystems des Drecks«. Soweit der Dissident. In seinen Büchern hat er die Elenden, die Armen, die Drangsalierten im Blick. Geehrt wurde er in der kontinental-europäischen Finanzmetropole. Was mag die wohlbestallten Politiker, Redakteure und Geschäftsleute dazu bewegt haben, ihm Applaus zu geben? Wieso feiern ihn unsere profitablen Leitmedien? So ganz genau muß man ja nicht hinhören bei einem Literaten, werden die Beifallgeber gedacht haben. Hauptsache, der Preisträger hat China im Visier, da ist immer noch irgendwie der Kommunismus im Spiel. Freilich, die Chinesen brauchen wir, die einen als Billiglöhner für unsere Filialen, die anderen als Großkunden und auch als Investoren. Von der Zergliederung der Imperien hat der Literat geschwärmt. Vielleicht steckt da was drin, muß nicht überall passieren, aber im Falle China ist das zu überlegen. Es hat doch schon einen europäischen Vorstoß dorthin und zu dem genannten Zweck gegeben, vor mehr als hundert Jahren ... Den hat Liao Yiwu in seiner Rede nicht erwähnt, vermutlich aus Höflichkeit, denn der scheiterte, und das Deutsche Reich war damals beteiligt. M. W. Höhere MathematikEinen unabhängigen Wirtschaftsprüfer habe er jetzt beauftragt, um die Honorare für seine mehr als 80 Gastauftritte in der Privatwirtschaft seit 2009 zu ermitteln, kündigte Peer Steinbrück beim Fernsehtalker Günther Jauch an. Nach der Prüfung werde er, Steinbrück, das »Durchschnittshonorar« öffentlich machen. »Warum denn das Durchschnittshonorar?« fragte daraufhin Jauch. »Möglicherweise wäre es doch interessant, ob Sie von der Sparkasse Kleckersdorf 7.000 Euro und von der Deutschen Bank möglicherweise 40.000 Euro bekommen haben ...« Darauf Steinbrück: »Ich habe von allen dasselbe Honorar genommen.« Jauch: »Aber dann ist ja der Durchschnittswert derselbe Wert, den sie bei jeder einzelnen Veranstaltung bekommen haben?« Steinbrück: »Er weicht manchmal nach unten und nach oben ab.« Dasselbe Honorar, aber nach oben und unten abweichend? Offenbar handelt es sich da um höhere Mathematik, die vielleicht ein Ex-Finanzminister beherrscht, aber auch ein normaler Wirtschaftsprüfer? Jedenfalls möchte man nicht in dessen Haut stecken. C. S. Rechenkunst»Ich wünsche mir viele SPD-Leute, die viel Geld verdienen und deshalb viel Steuern zahlen« – sagte der sozialdemokratische Kanzlerkandidat, auf die Frage hin, ob denn ein Vielverdiener als Repräsentant zu einer Partei passe, die Geringverdiener ansprechen will. Wie ist nun Peer Steinbrücks Wunsch einer Erfüllung näherzubringen? Die SPD könnte, wenn sie erst wieder im Bund mitregiert, die Steuern auf hohe Einkommen nicht herauf-, sondern weiter herabsetzen und so aus der damit beglückten Bevölkerungsgruppe neue Anhänger oder Mitglieder gewinnen. Aber auf die Steuereinnahmen des Staates hätte das eine negative Wirkung; die Minderung der Steuerzahlungen würde ja nicht dadurch kompensiert, daß die SPD an Akzeptanz bei Vielverdienern gewinnt. Die andere Möglichkeit: Eine regierende SPD sorgt dafür, daß ihre schon vorhandenen Gefolgsleute zu Vielverdienern werden, und die zahlen dann kräftig Steuern. Rechnerisch wäre das die Lösung. Nun warten wir gespannt auf einen Vorschlag Steinbrücks, wie er diese politisch umsetzen will. Nur bitte nicht darauf verweisen, daß die SPD doch schon Mindestlöhne fordert – die Chancen, daß die in Teilzeit arbeitende Reinigungsfrau zur Vielverdienerin wird, sind gering. Was übrigens der Ex-Finanzminister nicht bedacht hat: Schon jetzt füllen die vielen GeringverdienerInnen, ob nun zur SPD neigend oder nicht, die Steuerkasse zu einem weitaus größeren Anteil als die wenigen Einkommensbezieher, bei denen man, etwa in der Größenordnung von Steinbrück selbst, von Vielverdienst sprechen kann. M. W. Mit der FDP gegen AdenauerIn der Bundesregierungskoalition ist weiterhin umstritten, mit welchen rentenpolitischen Verheißungen man denn für 2013 die wahlberechtigten »kleinen Leute« beeindrucken will. Ursula von der Leyen kommt dabei nicht gut weg, sie steht im Verdacht, mit der SPD zu liebäugeln. Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten der CDU und der FDP, in der Presse als »junge Wilde« bezeichnet, hat einen Gegenvorschlag zu dem Konzept der Ministerin, ihrer »Zuschußrente«, in die Öffentlichkeit gebracht: Geringverdiener, die mit einer auskömmlichen gesetzlichen Rente nicht rechnen können, also im Alter Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, sollen sich doch privat versichern. Die Einkünfte daraus dürfe man dann, anders als jetzt geregelt, auf die Grundsicherung nicht anrechnen. Woher Minijobber, Teilzeitarbeiterinnen et cetera das Beitragsgeld für die kommerziellen Versicherungsanbieter nehmen sollen, teilen die »jungen Wilden« nicht mit. Das ist ja auch nicht ihr Problem. Sie machen mit ihrem Vorstoß Diskurspolitik für die private kapitalgedeckte Altersvorsorge, gegen die umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung. Interessant ist, daß hier der Profinachwuchs der CDU aktiv geworden ist und sich FDP-Kollegen zu Hilfe genommen hat. Das Rentenumlagesystem, in öffentlicher Hand und dem Finanzmarkt entzogen, wurde 1957 von Konrad Adenauer als Bundeskanzler durchgesetzt, gegen den Widerspruch seines Wirtschaftsministers Ludwig Erhard und der FDP-Fraktion im Bundestag. Die SPD, damals in der Opposition, stimmte dem Gesetzeswerk zu. Die gesetzliche Rentenversicherung war die wichtigste sozialpolitische Errungenschaft in der frühen Bundesrepublik. Sie löste für lange Zeit zumindest für das Gros der männlichen Arbeiterbevölkerung das bis dahin bestehende Problem krasser Altersarmut. Adenauers Rentengesetz war auch motiviert durch den Wunsch, die Wahlen zu gewinnen; dieses Kalkül ging auf. Hinzu kam die Absicht, die westdeutsche Republik attraktiv zu machen in der sozialpolitischen Konkurrenz mit dem »Osten«. Diese Beweggründe ändern nichts daran, daß – trotz einiger Schwächen der Konstruktion – die gesetzliche Rentenversicherung in ihrem Grundriß vernünftig war: Die staatliche, per »Generationenvertrag« finanzierte, dem Profitstreben der Versicherungsunternehmen nicht ausgesetzte Rente sollte die anständige Versorgung im Alter vollständig gewährleisten. CDU/CSU und SPD haben seit den 1990er Jahren das 1957 gemeinsam geschaffene Rentenmodell systematisch in Abbruch gebracht, zum Wohle des privaten Versicherungsgeschäfts. Die »jungen Wilden« wollen diese Demontagearbeit beschleunigen. A. K. Meine früheste Erinnerungan ihn reicht in die Mitte der 1970er zurück. Da sah ich Bernd C. Hesslein auf einer Bürgerversammlung in Hamburg zum ersten Mal unmittelbar, nicht nur wie zuvor als Reporter auf dem Bildschirm. Er hatte als engagierter Gewerkschafter kurz gegen die seinerzeit geplante Zerschlagung des NDR gesprochen. Ruhig, leise, ohne Pathos, sehr eindringlich: Es stehe keinem Politiker, auch nicht einem niedersächsischen Ministerpräsidenten der CDU, das Recht zu, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, diese demokratische Errungenschaft der Nachkriegszeit, seinen parteipolitischen Interessen unterzuordnen. So, wie Bernd damals viel Zivilcourage bewies und öffentlich gegen den Machtmißbrauch einflußreicher Provinzfürsten protestierte, zeigte er auch intern immer Mut vor Fürstenthronen. Ein Mann, der sich nicht einschüchtern ließ und sich für innere Rundfunkfreiheit ebenso stark machte wie für die äußere Unabhängigkeit. In all den Jahren bis zu seiner Pensionierung galt Bernd im NDR für seine Kollegen als Inbegriff des seriösen Journalisten. Er stand für eine Berufsauffassung, wie sie früher für das Fernseh-Politmagazin Panorama programmatisch war. Bernd ließ keinen Zweifel daran, daß er, entschiedener Gegner der deutschen Wiederbewaffnung, bis in die Gegenwart hinein alles Kriegerische grundsätzlich ablehnte, trotz der umfassenden Sachkunde, die er sich auf dem Feld der Militär- und der Rüstungspolitik erworben hatte. Bernd war kein Kommunist, aber antikommunistische Publikationen fand er abstoßend. Wenn der NDR wieder einmal eine seiner die DDR verächtlich machenden Features veranstaltet hatte, durfte man damit rechnen, daß Bernd bei der nächstfolgenden Redakteursversammlung gegen solche Fehlleistungen argumentierte. Dem NDR von heute fehlt seine Stimme. Für mich steht Bernd C. Hesslein in einer Reihe mit vielen anderen journalistischen Vorbildern: Gerd v. Paczenski, Volker Happel, Dieter Gütt. Es schmerzt, sie zu missen. Volker Bräutigam Verheißungsvoll»Mit dem Kapitalismus geht es zu Ende« – in großer Schrift steht das in konkret – in einer Eigenanzeige des Verlages, die dafür wirbt, diese Zeitschrift ein Jahr zu bestellen. Und wer »eine neue Abonnentin oder einen neuen Abonnenten nennt« (gemeint ist, wer selbst neu abonniert oder ein neues Abo einwirbt), bekommt von konkret die letzte Buchveröffentlichung von Robert Kurz geschenkt: »Geld ohne Wert«. Ein wahrscheinlich sehr lesenswertes Werk, aber solange es mit dem Kapitalismus noch nicht zu Ende gegangen ist, muß ich rechnen: Für 16,90 Euro bekäme ich das Buch von Kurz im Handel. 53 Euro müßte ich an konkret für die zwölf Ausgaben zahlen. Was geschieht, wenn der Kapitalismus schon zusammenkracht, bevor ich mein Jahresabo ausschöpfen konnte? Ist es verlegerisches Kalkül, daß mir in der Anzeige nicht mitgeteilt wird, wann etwa der Exitus dieses Systems zu erwarten ist? Beruhigend ist immerhin, daß ein Abonnieren des Blattes und die Lektüre desselben auf den Untergangstermin gewiß keinen Einfluß haben werden, so konkret geht es in konkret nicht zu. Der Kapitalismus, nehme ich also an, bereitet sich selbst ein Ende. Das kann ich abwarten und mir die Zeit bis dahin ein bißchen kurzweiliger gestalten. Zu diesem Zweck gibt es sie ja, die »einzige linke Publikumszeitschrift Deutschlands«. M. W. SpurensucheDas Buch »Deserters« des schwedischen Autors Lars G. Petersson liegt nun auch in deutscher Sprache vor und erleichtert damit den Einblick in das Denken europäischer Nachbarn über den Umgang Deutschlands mit »Hitlers Fahnenflüchtigen«. 2005 in dänischer und englischer Sprache erschienen, ist es unter anderem beim Museum des dänischen Widerstands gegen die NS-Besatzung in Kopenhagen erhältlich, aber auch über den deutschen Buchhandel zu beziehen. Annette Bygott, in Deutschland geborene Tochter »eines Soldaten, der 1941 zu Beginn des Rußlandfeldzugs den ›Heldentod fürs Vaterland‹ starb«, hat an der deutschen Neufassung mitgearbeitet. Diese wäre nicht zustande gekommen ohne die Zusammenarbeit des Autors mit den drei Zeitzeugen: Ludwig Baumann, Helmut Kober und Peter Schilling. Die Erlebnisse und Erfahrungen dieser drei Männer vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg, in den sie das NS-Unrechtsregime eingezogen hatte, schildert der Autor in 42 Kapiteln: Ludwig Baumanns bewegendes Schicksal, Peter Schillings Weg in die Wehrmacht, seine Fahnenflucht in die Schweiz und Helmut Kobers Weg in den Widerstand, zuerst an der Ost-, später an der Westfront. Petersson gelingt, die Authentizität der drei Hauptpersonen wiederzugeben. Das Buch zeigt Beispiele militärischer Widerständigkeit auf, skizziert Rahmenbedingungen des Handelns und dessen biografische Folgen. Das schließt einen Abriß des späteren Kampfes um Rehabilitierung von 1990 bis 2002 ein, den Baumann, Schilling und Kober als alte Männer gemeinsam führen mußten, um die Würde der jahrzehntelang verfemten Opfer der NS-Militärjustiz wiederherzustellen. Der Anhang erinnert an ausgewählte deutsche Kriegsdienstverweigerer und verweist auf weiterführende Quellen. Im Nachwort plädiert Petersson für die weltweite Anerkennung und Durchsetzung des Menschenrechts der Kriegsdienstverweigerung. Günter Knebel Lars G. Petersson: »Hitlers Fahnenflüchtige«, Vorwort A. Bygott, chipmunkapublishing, Brentwood/Essex, ISBN 978-1-84991-795-7, 192 Seiten, 14,70 € Sie verschaffte sich GehörIch hoffte, ihr mit der Rezension des Buches, das schon einige Zeit auf meinem Schreibtisch gelegen hatte, eine Freude zu machen – auch das kann ein Motiv des Rezensenten sein. Jetzt kann sie nicht mehr lesen, was ich geschrieben habe. Käthe Reichel ist in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober 86jährig gestorben. Langjährige Ossietzky-Leserinnen und -Leser werden sich an Beiträge von ihr erinnern, viele sicher auch an die eine oder andere Bühnen- oder Filmrolle. Oder an ihre Auftritte als Kundgebungsrednerin, der alle gebannt zuhörten – kein Mucks auch auf den größten Plätzen durfte ablenken von dem, was sie vermitteln wollte. Ja, diese kleine Frau wußte sich überall Gehör zu verschaffen. Sie ließ ihr Publikum das Entstehen von Wörtern und Sätzen erleben. Jeder Buchstabe, jeder Ton, jeder Unterton schien neu zu sein. Wie verwundert schien sie manchem Laut nachzuhorchen. Kurz darauf konnte sie schreien, zetern, keifen, daß es eine Lust war. Oder raunen. Oder schneidend kalt argumentieren. Alle sprachlichen Mittel standen ihr zur Verfügung, alle mit Fleiß und Disziplin erarbeitet. Sie zwang uns, intensiv mitzudenken, wenn sie gesellschaftliche Auseinandersetzungen vorführte wie zum Beispiel in ihren Anfangsjahren in der Doppelrolle als arme Shen Te und deren reicher Vetter Shui Ta in Brechts »Gutem Menschen von Sezuan«, Im Alter trug sie dann allein auf dem Podium Brechts »Heilige Johanna der Schlachthöfe« vor, um ihren ostdeutschen Landsleuten den Kapitalismus zu erklären, in den sie geraten waren. Käthe Reichel haßte den Kapitalismus und all die Heuchelei, mit der er sich als Menschenfreund ausgibt. Sie kannte ihn aus ihrer Kindheit im Berliner Hinterhof-Milieu als ihren persönlichen Feind. Nie vergaß sie die Angst vor ›Exmittierung‹: aus der Wohnung geworfen zu werden wegen Mietrückstand, also wegen Armut. Damals hatte sie auch gelernt zu schweigen – vor allem gegenüber Amtspersonen, die menschenfeindliche Vorschriften exekutierten. Um den Hitler-Faschismus zu überleben, mußte man schweigen. Über ihren Vater, der Jude war, schwieg sie bis zuletzt, aus Angst vor Neonazis. Und sie schwieg auch über den früh verlorenen Sohn. Allen Zorn und alle Bitterkeit verarbeitete sie zu scharfer Anklage gegen politisch-ökonomische Herrschaftsverhältnisse, aus denen wir uns befreien müssen. Der Anschluß der DDR an die BRD war ihr, der kritischen DDR-Bürgerin, ein Greuel. Sie protestierte mit den Komitees für Gerechtigkeit gegen die Entrechtung ihrer Mitbürger, zum Beispiel der in die Arbeitslosigkeit entlassenen Bergleute in Bischofferode, und vor allem gegen die Kriege, an denen sich das vereinigte Deutschland möglichst schnell beteiligte, und sie engagierte sich für die Opfer der Kriege, zum Beispiel als Geldsammlerin für den Aufbau eines Dorfes in Vietnam, ihr Dorf mit 100 Bauernhäusern für 100 Familien und mit Hühnern und Schweinen für jede Familie. »Glück ist Hilfe« zitierte sie Brecht. Er hatte ihr geholfen und sie ihm. Nach dem Abschied von der Bühne des Deutschen Theaters wohnte sie ständig in dem Häuschen in der Nähe des Brecht-Weigel-Hauses in Buckow, das er ihr geschenkt hatte, immer umgeben von Blumen, solidarisch, kämpferisch, glücklich. Eckart Spoo Wider die Kriegstheologie»Nichts wird wieder gut« ist das Motto des Buches, dessen Autorin, die Schauspielerin Käthe Reichel, dem Sarkasmus des Dramatikers Heiner Müller zuneigte: »Die Zukunft ist das Böse.« Eine starke Frau, die nach ihrem ersten Buch (»Windbriefe« an ihren toten Freund Bert Brecht) dieses zweite vorgelegt hat; der Titel, unter dem es nur wenige Käufer findet (»Dämmerstunde – Erzähltes aus der Kindheit«), weckt leider ganz falsche Vorstellungen. Was sie erzählt, ist vor allem die Geschichte vom neuen Gott, der die Israeliten aus Ägypten geführt hat: »Der da mit der Schärfe des Schwertes der Einzige und Allmächtige werden wollte, konnte es nur durch Krieg werden. Krieg, mit dem er seinem Volk zum Beweis seiner Macht all die eroberten Länder, ausgerotteten Völker, ausgerotteten Götter vor die Füße legen konnte. Und den Beweis, daß künftig alle Macht im Himmel und auf Erden allein in seinen blutigen Händen lag. Er war jetzt in der Welt ein Vorbild für alle, die die Macht lieben, die einen Führer hinter den Wolken wollen, wo allein das Nichts sichtbar ist. So wurde er zum Vorbild für alle Kriegsherren in kommenden Zeiten bis zum gestrigen Tag, dem Tag meines Urgroßvaters mit seinem Sinnspruch ›Für Gott, König und Vaterland‹. Und am heutigen Tag ist er es noch immer. (...) Die Menschen haben sich diesen Gott selber geschaffen, der Menschen schuf nach seinem Bilde, um nach diesem entmenschten Ebenbild leben zu können, um selber auch allmächtig zu werden auf den Schlachtfeldern der Welt und an den Börsen der Welt, wo Gott schon lange zum Begriff für die Liebe zum Geld geworden ist und die Liebe zur Macht bis in die Unendlichkeit.« Ich kenne aus den letzten Jahrzehnten außer Gisela Elsner kaum eine Autorin und kaum einen Autor mit solch prophetischer Unbedingtheit, solcher Dringlichkeit des Appells an die Menschen, einander leben zu lassen, zu lieben und zu helfen. Von ihrem Urgroßvater, der an der militärischen Ermordung der Pariser Commune beteiligt war und sich an dieses Verbrechen immer stolz erinnerte, schlägt Käthe Reichel den Bogen zum NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien, wobei sie über den Ausgang der von ihr selbst mitinitiierten Aktion »Berliner Heinrich-Heine-Preis für Peter Handke« (50.000 Euro für die Menschen in einer serbischen Enklave in Kosovo) finsterer schreibt, als ich es tun würde; meines Erachtens haben solche Aktionen schon ein bißchen gegen die Propaganda-Lügen der Aggressoren geholfen. Der Schluß, bevor sie sich im letzten Absatz vom Publikum verabschiedet, lautet: »Wenn die deutsche Demokratie in den Spiegel schaut wie im Märchen, ist sie die Schönste im Land und auf der ganzen Welt, und das bleibt sie so lange, wie Kriege bleiben und exzellente deutsche Waffen das Elend in der Welt und zu Hause den Reichtum mehren.« Eine solche starke Sprache bleibt notwendig, solange wir die Kriegsherren und deren Theologie nicht überwunden haben. Eckart Spoo Käthe Reichel: »Dämmerstunde – Erzähltes aus der Kindheit«, Verlag Neues Leben, 192 Seiten, 12,95 € Ibsen heuteWenn Thomas Ostermeier als Regisseur es zuläßt, daß in einem nahezu hundertdreißig Jahre alten norwegischem Stück moderne amerikanische Klänge und Bruchstücke amerikanischer Songs zu hören sind und Computer von jungen Journalisten in Jeans und Turnschuhen bedient werden, darf angenommen werden, daß mit dem Text Henrik Ibsens recht frei umgegangen worden ist – manch ein Wortwechsel in diesem Stück »Ein Volksheld« wirkte wie zugeschnitten auf unsere gegenwärtige Krise. Und tatsächlich, der Programmzettel verschweigt nicht, daß es sich um eine Bearbeitung von Florian Borchmeyer handelt. Sie kam gut an. Der Badearzt Dr. Stockmann, den Stefan Stern nuancenreich gibt, setzt seine Existenz aufs Spiel, indem er auf ein verseuchtes Sumpfgebiet hinweist und die Notwendigkeit, die Zuleitungen von dort in die Berge zu verlegen, was seinem Bruder, dem Stadtrat, in die Quere kommt: zu zeitraubend, zu kostspielig! Doch schon hat Stockmann die Presse eingeschaltet und ein einflußreiches Mitglied der Gemeinde, das auch bei der Zeitung das Sagen hat, zu der Einsicht gebracht, daß unter den gegebenen Umständen die Gesundheit der Badegäste arg gefährdet sei. Bald aber geht es nicht länger um deren Gesundheit, tun sich dem einflußreichen Mann Bedenken auf, geht es ihm wie auch dem Stadtrat allein ums Geld und den Ruf des Kurorts. Womöglich ist Dr. Stockmanns Gutachten weniger stichhaltig als angenommen. Ist dem Bürgermeister nicht doch zuzustimmen? Wäre es nicht ratsam, sich auf die eigenen und die Interessen der hiesigen Geschäftswelt zu besinnen? Alsbald steht Stockmann vor seiner vollständigen Ausgrenzung, die Presse ist eingeknickt und zum Schweigen gebracht. Doch er kämpft weiter gegen alle und jeden, den eigenen Bruder, die eigene Frau und alle Meinungsmacher im Ort. Denn es geht ihm längst nicht mehr allein um verschmutzte Gewässer, sondern um Korruption. Und in dem Maß, wie er sich vom zögerlichen Aufklärer zum fanatischen Weltverbesserer steigert, verhärtet sich sein Bruder gegen ihn. Es kommt zu schärfsten Auseinandersetzungen, sogar zu Tätlichkeiten. Was alles gekonnt über die Rampe gebracht wird – und das keineswegs allein von Stefan Stern, sondern zugleich auch von Ingo Hülsmann und David Ruland, die Charakterstudien eines Politikers und eines Geschäftsmanns liefern, der eine machtbesessen und brutal, der andere geschäftstüchtig und verschlagen. Diese drei Darsteller im Besonderen, doch nicht nur sie, sondern das gesamte Ensemble mit Eva Meckbach als Ehefrau, Christoph Gawenda und Moritz Gottwald als Journalisten und Thomas Bading als Schwiegervater trugen zum Erfolg der Aufführung bei. Starker Beifall für ein Theatererlebnis in der Berliner Schaubühne! Walter Kaufmann Im Beitrag»Nachdenken über Frieden in Afrika« (Ossietzky 21/12) ist ein den Sinn verkehrender Druckfehler zu berichtigen. Auf Seite 817 in der 12. Zeile muß es heißen: »Kulturelle Verrohung und Kriegskultur haben sich in der Bevölkerung dennoch nicht ausgebreitet.« Red. Geschenke eines KünstlersNeben seinen eindringlichen Apokalypsen von Schützengräben und Kriegsversehrten sowie seinen Gemälden des modernen Großstadtlebens hat Otto Dix in den Jahren zwischen 1922 und 1955 auch völlig andere Werke geschaffen: Aquarelle als Gegengewicht zur Welt des Grauens. Diese Arbeiten befinden sich in fünf liebevoll konzipierten, vor Farbe sprühenden Bilderbüchern – Geschenke des Künstlers für Kinder. Bedacht wurden sein Stiefsohn Martin Koch – von der Familie auch »Muggeli« genannt –, die Tochter Nelly, die Söhne Ursus und Jan sowie seine Enkelin Bettina. In den Arbeiten erlebt man den Künstler als unbeschwerten, heiteren und humorvollen Zeitgenossen, der begeistert erzählt und fabuliert. In seinen häufig abenteuerlichen Bildgeschichten erzählt er seinen jungen Lesern nicht nur von Drachen und anderen Fabelwesen. Mit einem Einbaum geht es zu den Indianern, mit einem Segelschiff zu den Chinesen. Auch Szenen aus Afrika mit Krokodilen malte Dix sowie einen Heißluftballon über Kirchturmspitzen. Herausgeber des »Otto Dix Kinderalbum« ist der Kunsthistoriker Dieter Gleisberg, von 1969 bis 1980 Direktor des Lindenau-Museums Altenburg, anschließend bis 1992 Leiter des Museums der bildenden Künste Leipzig. In seinem Nachwort schreibt Gleisberg: »Der Reiz dieser ungezwungenen Gelegenheitsarbeiten besteht vor allem in dem Einfallsreichtum und dem ersichtlichen Vergnügen, mit dem einer der großen Meister des 20. Jahrhunderts für den familiären Hausgebrauch eine originelle Bilderbücherwelt entstehen ließ.« Und an einer anderen Stelle heißt es: »Nichts lag ihm ferner als langweiliges Belehren: Dix war weder trockner Schulmeister noch blasser Schöngeist, vielmehr ein sinnenfroher Augenmensch und schöpferischer Draufgänger, dem die naive Schau- und Abenteuerlust der Kinder niemals fremd geworden war.« Karl-H. Walloch Dieter Gleisberg (Hg.): »Otto Dix Kinderalbum«, E. A. Seemann Verlag, 160 Seiten, 49,90 € Zuschrift an die LokalpresseEndlich! Die Republik, die Europäische Union und der Rest der Welt können aufatmen! Monatelang hat uns das Startfieber für Markus Lanz’ »Wetten, daß ...?« in Atem gehalten und alle anderen Zeitereignisse, zum Beispiel Kriege, den Klimakollaps und die Kanzlerkandidaturen, in den Hintergrund gedrängt. Jetzt endlich sind wir klüger und den Welträtseln dichter auf der Spur! Gottlob, jetzt wissen wir, daß man Bierkästen besser im Liegestütz transportiert, daß man sprachliche Unzulänglichkeiten durch wackelnde Ohren ersetzen sowie Hunderassen erkennen kann, wenn man sich die Augen verkleistert und abgeschnittenes Hundehaar lange genug zwischen den Fingern dreht. Daß ein 10jähriger Düsseldorfer Halbwüchsiger besser über die Berliner S-Bahn Bescheid weiß als hauptstädtische Verkehrsexperten, überrascht uns dagegen nicht. Erfrischend auch die eingestreuten Lebensweisheiten von Herrn Magerfeld und der von der Bulimie offensichtlich genesenen Cindy aus Marzahn – kurzum, ein gelungener Abend! Na gut, der forsche und mitunter etwas zerstreut wirkende Moderator hat nicht alle Lanzen ins Ziel gebracht, und das »ZDF-Flaggschiff« (Berliner Kurier) litt ein wenig unter Schlagseite, aber das war ja erst der Anfang. – Kressentia Habedank (72), Rentnerin, 98617 Sülzfeld Wolfgang Helfritsch Käse und TelevisionEine sogenannte Marktinformationsstelle der dänischen Molkereiwirtschaft hat sich vor vielen Jahren in fünftausend Haushalten des damaligen Westdeutschland nach dem Käsekonsum erkundigt und ist zu dem Schluß gekommen, daß Familien, die einen Fernseher betreiben, mehr Käse verzehren als solche ohne Flimmerkiste. In den Fernsehhaushalten wurden jährlich im Durchschnitt einundzwanzig Pfund Käse verspeist, in den anderen dagegen nur siebzehn Pfund und vierhundert Gramm. Ergebnisse statistischer Erhebungen über die Käse-Ablagerungen in den Hirnen westdeutscher Televisionäre wurden indes bis heute nicht bekannt. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 22/2012 |
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