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Glücklicherweise hat ein sehr kluger Herausgeber der Zeitung, um die es ging, gesagt: Nein, die junge Frau kann noch warten, die wird später ihre Karriere machen, wir lassen den alten Herrn hier. Und ich war über diese energische Geste sehr glücklich. Es gab damals – und das ist nur ein Beispiel – so viele Konflikte, die aber eigentlich unausgesprochen waren.« Noch schöner wäre die Geschichte, wenn Ursula Krechel von sich aus entschieden hätte, daß sie den »alten Emigranten, den man hatte loswerden wollen«, nicht verdrängen dürfe, und diesen Beschluß nicht dem »sehr klugen Herausgeber« überlassen hätte, aber immerhin: Daß sie darüber »sehr glücklich« war, ehrt sie. Denn die Normalität sah anders aus. Üblich war es in den Jahren nach dem Ende des Nationalsozialismus, nicht nur die Verdrängung jüdischer Konkurrenten hinzunehmen, sondern sie mit Fleiß und Intrige zu betreiben. Und das galt nicht nur in der Justiz, in deren Milieu Krechels Roman »Das Landgericht« spielt, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen, in der Universität, in den Medien, in der Politik und nicht zuletzt bei jener Profession, der Ursula Krechel selbst angehört, unter Schriftstellern. Als Klaus Briegleb in einer Streitschrift danach fragte, wie antisemitisch die Gruppe 47 war, wollte man zunächst nicht glauben, was seine Recherchen zutage befördert hatten, und als es sich nicht entkräften ließ, schlug dem Boten unverblümte Feindseligkeit entgegen. Heute liegen Hans Werner Richters Tagebücher vor, die auf erschütternde Weise dokumentieren, auf welch taktlose Weise der »Kopf« der Literatenvereinigung die Aufnahme von Exilanten in die Gruppe 47 zu unterbinden versuchte. Von heftigem Widerspruch seiner Kollegen wurde nichts verlautet. In Österreich stellte sich auch dieses Kapitel wie so viele als Karikatur der deutschen Verhältnisse dar. Den heimgekehrten Linkssozialisten Josef Hindels forderte der damalige SPÖ-Vorsitzende Adolf Schärf ausdrücklich auf, nach Schweden zurückzukehren, wo er die letzten Jahre des Exils verbracht hatte. Freimütig gab er ihm zu verstehen, daß bei den ehemaligen Nazis mehr Wählerstimmen zu holen seien als bei deren Opfern. Als ich in den sechziger Jahren an der Wiener Universität Germanistik studierte, lehrten dort ausschließlich Ordinarien, die Mitglieder der NSDAP gewesen waren: Höfler, Kranzmayer, Enzinger, Rupprich und dann Seidler. Die österreichischen Exilanten Heinz Politzer und Egon Schwarz wie der Deutsche Hans Mayer, die gern einen Ruf nach Wien angenommen hätten, hatten ebenso wenig eine Chance wie der Theaterwissenschaftler Joseph Gregor, dem der bis zu seinem Tod im Jahre 1985 das Klima am Institut bestimmende übereifrige Nazi Heinz Kindermann vorgezogen wurde, oder wie Hanns Eisler, der sowohl von der Akademie für Musik und darstellende Kunst wie vom Konservatorium der Stadt Wien abgelehnt wurde. Mein Vater, der in seinen letzten Lebensjahren nur noch mit dem kuriosen Beiwort »Doyen« genannt wurde und über dessen Qualifikation sich die Nachrufe in Lob überschlugen, durfte nach der Rückkehr aus dem Exil an keiner Universität arbeiten. Als ihn ein angesehener Linkskatholik Anfang der sechziger Jahre für einen Lehrstuhl an der Universität Graz vorschlug, wandten Kollegen ein: »Der geht nicht, der ist doch Jude.« Heute spricht man das nicht mehr ganz so deutlich aus. In Sigmund Freuds »Traumdeutung« findet sich folgende Passage: »Im Frühjahr 1897 erfuhr ich, daß zwei Professoren unserer Universität mich für die Ernennung zum Prof. extraord. vorgeschlagen hatten. Diese Nachricht kam mir überraschend und erfreute mich lebhaft als Ausdruck einer durch persönliche Beziehungen nicht aufzuklärenden Anerkennung von seiten zweier hervorragender Männer. Ich sagte mir aber sofort, daß ich an dieses Ereignis keine Erwartungen knüpfen dürfe. Das Ministerium hatte in den letzten Jahren Vorschläge solcher Art unberücksichtigt gelassen, und mehrere Kollegen, die mir an Jahren voraus waren und an Verdiensten mindestens gleichkamen, warteten seitdem vergebens auf ihre Ernennung. Ich hatte keinen Grund anzunehmen, daß es mir besser ergehen würde. Ich beschloß also bei mir, mich zu trösten. Ich bin, soviel ich weiß, nicht ehrgeizig, übe meine ärztliche Tätigkeit mit zufriedenstellendem Erfolge aus, auch ohne daß mich ein Titel empfiehlt. Es handelte sich übrigens gar nicht darum, ob ich die Trauben für süß oder sauer erklärte, da sie unzweifelhaft zu hoch für mich hingen. Eines Abends besuchte mich ein befreundeter Kollege, einer von denjenigen, deren Schicksal ich mir zur Warnung hatte dienen lassen. Seit längerer Zeit ein Kandidat für die Beförderung zum Professor, die den Arzt in unserer Gesellschaft zum Halbgott für seine Kranken erhebt, und minder resigniert als ich, pflegte er von Zeit zu Zeit seine Vorstellung in den Bureaus des hohen Ministeriums zu machen, um seine Angelegenheit zu fördern. Von einem solchen Besuche kam er zu mir. Er erzählte, daß er diesmal den hohen Herrn in die Enge getrieben und ihn geradeheraus befragt habe, ob an dem Aufschub seiner Ernennung wirklich – konfessionelle Rücksichten die Schuld trügen. Die Antwort hatte gelautet, daß allerdings – bei der gegenwärtigen Strömung – Se. Exzellenz vorläufig nicht in der Lage sei und so weiter. ›Nun weiß ich wenigstens, woran ich bin‹, schloß mein Freund seine Erzählung, die mir nichts Neues brachte, mich aber in meiner Resignation bestärken mußte. Dieselben konfessionellen Rücksichten sind nämlich auch auf meinen Fall anwendbar.« Freud ist bekanntlich im Exil gestorben. Den Konflikt, den Ursula Krechel verspürte, hat er seinen Berufskollegen nach 1945 erspart. Man kann nur ahnen, wie er gelöst worden wäre, wenn da nicht ein »sehr kluger Herausgeber« dazwischen gefunkt hätte.
Erschienen in Ossietzky 22/2012 |
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