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Der gefeierte Friedrich II., der Große, ist in seinem politischen Testament kategorisch: »Die erste Pflicht eines Bürgers ist, seinem Vaterlande zu dienen.« Der Reichsfreiherr Karl vom und zum Stein hatte bei allem Reformwillen eine ähnliche Auffassung. 1812 wandte er sich gegen die deutsche Kleinstaaterei und schrieb: »Ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland.« Ganz anders dachte der größte Komödiendichter der Antike, der in Athen geborene Grieche Aristophanes, der mehr als 2000 Jahre früher den Götterboten Hermes ausrufen ließ: »Wo es mir gut geht, da ist mein Vaterland.« Der vaterlandsliebende Max Schneckenburger zeigte dagegen schon mehr Patriotismus. Als sich der Konflikt zwischen Frankreich und Preußen um das Elsaß und das linke Rheinufer in den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts zuspitzte, verfaßte er das später vertonte Gedicht »Die Wacht am Rhein«, das mit der Zeile »Es braust ein Ruf wie Donnerhall« beginnt und in dem Kehrreim gipfelt: »Lieb Vaterland, magst ruhig sein: Fest steht und treu die Wacht am Rhein.« Heinrich Heine nahm das ein wenig lockerer. In einem Offenen Brief an Julius Campe, Inhaber des Hamburger Verlags Hoffmann und Campe, spottete er: »Was kümmert es aber die frommen Leute in München, ob man am Rhein deutsch oder französisch spricht; für sie ist es hinreichend, daß man dort lateinisch die Messe singt. Pfaffen haben kein Vaterland, sie haben nur einen Vater, einen Papa, in Rom.« Wenige Jahre später konstatierten Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest: »Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben.« Diese tausendfach zitierte Feststellung war keine Absage an jegliches Vaterland, sondern war gegen den Mißbrauch des Begriffes seitens der herrschenden Ausbeutersippschaft gerichtet. Die aber nutzten vor allem in den Zeiten Bismarcks und Wilhelms II. den Ausspruch, um Sozialdemokraten und Sozialisten als »vaterlandslose Gesellen« zu verunglimpfen. Nach 1945 war das Schimpfwort ein wenig außer Mode geraten. Nun aber haben wir endlich wieder einen »vaterlandslosen Gesellen«. Die Stuttgarter Zeitung hat ihn gefunden und so genannt. Er ist Schwabe und war bis zu seiner Wahl zum Ko-Vorsitzenden der Linkspartei Geschäftsführer der Gewerkschaft ver.di für den Bezirk Stuttgart: Bernd Riexinger. Er hat es gewagt, während des Kurzbesuches unserer Bundeskanzlerin in Athen mit mehreren zehntausend Griechen an der Seite des linken Oppositionsführers Alexis Tsipras gegen Angela Merkels Krisenpolitik zu demonstrieren. Die Reaktion auf dieses politische Kapitalverbrechen ist aufschluß- und lehrreich zugleich. Die Mehrheit der deutschen Medien war zu Recht empört über ein solch undeutsches Verhalten des Linkenchefs und titelte: »Riexinger ist auf dem falschen Dampfer« (Frankfurter Rundschau), »Riexinger steht voll hinter Athens Linksradikalen« (Die Welt). Die BZ, die sich gern Berlins größte Tageszeitung nennt, schlug härter zu und füllte die gesamte erste Seite mit den fettgedruckten Großlettern: »Linke-Chef marschiert mit Anti-Merkel-Mob.« Die »unabhängige, überparteiliche« Bild-Zeitung kritisierte ebenso scharf, aber geschickter. Sie veröffentlichte auf der Titelseite ein großformatiges Foto von den wenigen Demonstranten, die Wehrmachtsuniformen trugen und eine Hakenkreuzfahne schwenkten. Dazu hämmerte sie in den bekannten großen Lettern die Schlagzeilen: »Das hat Deutschland nicht verdient! Widerliche Proteste gegen Merkel in Athen! Und wir zahlen noch mehr.« Im Beitragstext teilt sie sodann fast nebenbei mit: »Bernd Riexinger, Chef der deutschen Partei ›Die Linken‹ ist einer von ihnen (den Demonstranten; R. H.).« Da weiß man doch gleich, mit welchem Gesocks von Ultra-Radikalen sich der Linkspolitiker gemein gemacht hat. Auch die schwarz-gelben Koalitionäre gaben Riexinger Saures. Sie warfen ihm vor, unpatriotisch, also nicht vaterlandsliebend, gehandelt zu haben. Als »beispiellos und empörend«, brandmarkte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, die Untat, daß der Vorsitzende einer im Bundestag vertretenen Partei die »anti-deutschen Proteste in Athen als Bühne nutzt, um Politik gegen die Interessen des eigenen Landes zu machen«. Der für seine Zurückhaltung parteiübergreifend geschätzte FDP-Generalsekretär Patrick Döring warf Riexinger vor, durch seine Teilnahme an den Demonstrationen gewalttätige Eskalationen und eine weitere Verzerrung des Deutschland-Bildes in Griechenland billigend in Kauf genommen zu haben. Verwunderlich, ja unglaublich ist es allerdings, daß trotz dieser berechtigten scharfen Reaktionen im Internet eine Diskussion entbrannte, in der viele Teilnehmer die Kritik ablehnten und dem vaterlandslosen linken Gesellen beisprangen. Nach ihrer freilich unmaßgeblichen Meinung habe Riexinger »das getan, was jeder Deutsche hätte tun müssen: Solidarität mit den einfachen Leuten zu üben«. Andere ließen sich sogar zu Äußerungen wie diesen hinreißen: »Meine Hochachtung, Herr Riexinger. Bin zwar kein Freund Ihrer Partei, diese Aktion war jedoch nötig. Hoffentlich hat Ihr Auftritt manchem griechischen Bürger gezeigt, daß es auch ein anderes Deutschland gibt.« Und: »›Vaterlandsloser Geselle‹ ist doch ein sehr schönes, wenn wohl auch ungewolltes Kompliment. Bei mir ist Riexinger in meiner Achtung weit nach oben gerückt.« Zum Glück gab es auch Stimmen, die Riexinger unmißverständlich einen »Vaterlandsverräter« nannten. Ja, das teure Vaterland darf man nicht verraten. Wie konnte der Riexinger so dreist sein, ausgerechnet Griechenland zu besuchen? Als er den Termin für seine Reise nach Athen festlegte, um da ein Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu eröffnen, sich ein Bild vor Ort zu machen und Gespräche zu führen, wußte er nicht, daß die Kanzlerin wenig später mitteilen ließ, zum gleichen Zeitpunkt die griechische Hauptstadt aufzusuchen. Aber als kluger Politiker hätte er das doch ahnen können! Nein, er war ahnungslos, wie die Linken eben so sind. Ihm kam nicht einmal der Gedanke, seine Reise abzusagen oder zu verschieben. Statt dann wenigstens während der Anwesenheit der Kanzlerin die Demonstration von seinem Hotelfenster aus zu beobachten, mußte er auch noch daran teilnehmen. Gar eine Rede wollte er halten, wozu es glücklicherweise nicht kam, weil die Abschlußkundgebung verboten wurde. Inzwischen ist die nichtgehaltene Rede veröffentlicht. So kam ans Licht, wenn auch nicht in die meinungsbildenden Konzernmedien, wie »unpatriotisch«, »beispiellos und empörend« die Haltung des zum Linksparteichef aufgestiegenen bisherigen linken Gewerkschaftsführers ist. Das zeigt allein schon folgender Auszug: »Ich bin heute dort, wo Frau Merkel sein sollte, auf dem Athener Syntagma-Platz. Ich bin hier, um ein Zeichen der Verständigung zu setzen. Merkel und ihre Freunde – die Banker, die Spekulanten, die Großaktionäre, die Millionäre und Milliardäre Europas – ihnen allen wäre es das Liebste, wenn die Arbeitnehmer und Rentner Europas sich entlang der nationalen Grenzen spalten lassen würden. Meine Botschaft ist eine andere: Solidarität ... Merkel und ihre Freunde, Papandreou und Samaras ... haben den Karren in den Dreck gefahren, die haben unser Geld im europäischen Bankensumpf versenkt. Jetzt müssen wir miteinander einen Weg aus dem Schlamassel finden. Ich bin sicher, wir werden ihn finden, und wir werden ihn gehen, zusammen!« In bedauerlicher Einmütigkeit wurden die Demonstrationsteilnahme des Linkenchefs und seine Ausfälle gegen die Regierenden und den »Bankensumpf« von seinen Parteifreunden, unter anderen Katja Kipping, Gregor Gysi und Matthias Höhn, unterstützt. Sarah Wagenknecht erklärte gar: »Wenn Riexinger in Athen gegen die Europapolitik der Kanzlerin demonstriert, dann vertritt er damit die Interessen der deutschen Steuerzahler ebenso wie die Interessen griechischer Arbeitnehmer und Rentner.« Aber wozu regen sie sich auf, der Riexinger, die Partei der Linken und die parteilosen Linken? Wir haben doch eine mutige Bundeskanzlerin, die sich, abgeschirmt von nur 7.000 Polizisten, nicht fürchtete, den griechischen Schuldenmachern die Stirn zu bieten und den Demonstranten den Rücken zu kehren. Angesichts der »stärksten Frau der Welt« an der Spitze der Regierung können wir getrost sogar auf Max Schneckenburger zurückgreifen und, seinen »Donnerhall« und die »Wacht am Rhein« weglassend, gefaßt und entspannt ausrufen: »Lieb Vaterland, magst ruhig sein.«
Erschienen in Ossietzky 22/2012 |
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