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Aktuelles Menü: Sorgten die USA nicht für Ruhe im Streit um eine Mikro-Inselgruppe im Ostchinesischen Meer, dann gingen sich Chinesen und Japaner längst an die Gurgel. Bei den Inseln werde nämlich Erdöl vermutet. Die Vermutung der UNO-Asien-Wirtschafts-Kommission (UN Economic Commission for Asia and the Far East – ECAFE) ist allerdings nicht neu, sondern seit den 1960er Jahren bekannt. Der Streit um das Gebiet wurde erst gefährlich, seit zur Jahrtausendwende die US-Energiebehörde (Energy Information Administration – EIA) das Gesamtvorkommen – sechs verschiedene Lager unter dem Meeresboden sind bereits erfaßt – auf bis zu 16 Milliarden Tonnen Öl und 32 Milliarden Tonnen Gas schätzte, die zehntgrößte Fundstätte weltweit. Das weckte das Interesse der US-Ölmultis. Schlimmer noch: Wahrscheinlich gibt es in der angrenzenden Tiefsee Edelmetalle und Manganknollen mit hohen Anteilen an Kupfer, Kobalt und Nickel. Was weitere Konzerne auf den Plan rief. Der umstrittene, seit 1895 von Japan okkupierte Mini-Archipel liegt 110 Seemeilen nordöstlich von Taiwan beziehungsweise 210 Seemeilen südwestlich von Okinawa. Fünf unbewohnte Inselchen und drei Felsen, insgesamt sieben Quadratkilometer groß. So unscheinbar, daß die zu Beginn der Neuzeit vorübersegelnden Seefahrer aus Portugal und später Holland sie auf ihren Karten nur namenlos verzeichneten. Sind es nun (chinesisch) die Diàoyú-tái oder (japanisch) die Senkaku-shotô? Auf einer guten Weltkarte findet man sie unter 123°30’27« östlicher Länge und 25°44’25« nördlicher Breite. Die Suche nach ihrem rechtmäßigen Eigentümer ist nicht ganz so einfach. ARD und ZDF berichteten unter Verzicht auf Hintergrunddaten, Japan wolle die Eilande ihren privaten Besitzern (?) abkaufen. Das nutze die Regierung in Peking, um von parteiinternen Querelen im Vorfeld des Nationalen Volkskongresses abzulenken, indem sie die Inseln für sich reklamiere und nationalistischen Massendemonstrationen gegen Japan Vorschub leiste. Washington habe vor einer Eskalation gewarnt. So simpel, so platt werden Fernseh-»Nachrichten«, wenn Redaktionen nur einfach Agenturtexte verwursten und 90 Sekunden Korrespondentenbericht dranhängen. Schön, die US-Regierung hat »vor Eskalation gewarnt«. Kritische Nachprüfung vor Ort hätte die Verlogenheit dieser Inszenierung sichtbar gemacht. Beispiel: Die US-Marine hatte kurz vor den dreisten Ankündigungen Tokios die beiden Flugzeugträger »Eisenhower« und »Stennis« sowie amphibische Kampftruppen in das Gebiet entsandt. Wir haben es nicht nur mit der fernöstlichen Variante eines lokalen Grenzkonflikts zu tun. Auch geht es nicht allein um reiche Rohstofflager, sondern um weit mehr: Das US-Imperium kreist China und Rußland militärisch ein, um seine Weltherrschaft zu sichern. Washington kaschiert zugleich seine Jahrzehnte zurückliegenden Vertragsbrüche im Westpazifik. Erkenntnisfördernd ist ein Blick ins zeitgeschichtliche Archiv. Dank Internet inzwischen eine relativ leichte Übung. Als ich mich vor fast 13 Jahren mit dem Konflikt beschäftigte, mußte ich die historischen Daten noch in Bibliotheken und kartographischen Sammlungen zusammensuchen: »Bis zum Beginn des japanisch-chinesischen Krieges (anno 1894), in dem die Japaner siegten, gehörten die Inseln China. Chinesische Fischer hatten sie vor Jahrhunderten entdeckt ...« (s. »Inseln über dem Öl« in Ossietzky 5/99). Ergänzung: Hinweise auf die Entdeckung sind schon in der Ming-Zeit (1368–1644) dokumentiert: 1372 berichteten chinesische Seeleute zum ersten Mal von ihnen. Spätestens seit 1534 wurden sie auf chinesischen Karten als Teil des Kaiserreichs dargestellt. Weiter in meinem Ossietzky-Text von 1999: »... Seither holten Fischer aus Taiwan aus den kaum 200 Meter tiefen Gewässern um die Tiaoyutais beachtliche Fänge und nutzten die Inseln, um dort Gerät und Ersatzteile zu deponieren. Ich fand nicht nur chinesische, sondern auch japanische Karten aus den Jahren 1873 bis 1879, auf denen die Tiaoyutais eindeutig als zu China gehörig verzeichnet sind ... Die westlichen Alliierten hatten zwar bereits 1943 (Deklaration von Kairo) beschlossen, daß Japan nach seiner Niederlage sämtliche unrechtmäßigen Besitzungen an China und die anderen eroberten Länder zurückgeben müsse. Im Potsdamer Abkommen wurde der Beschluß präzisiert. Japan beugte sich in seiner Kapitulationserklärung vom 2. September 1945. Die USA dürften aber bereits 1945 gewußt haben, wie bedeutungsvoll, wirtschaftlich und strategisch, die Tiaoyutais werden würden. Das amerikanische Hochkommissariat in Okinawa jedenfalls duldete, dass die dortige Provinzregierung die Tiaoyutais unter der Hand in ihre Zuständigkeit einbezog, obwohl das den internationalen Verträgen und der Historie ebenso widersprach wie den geologischen Gegebenheiten ... Was schert das alles ... US-amerikanische Ölkonzerne? Und was schert es die übrige Welt? Japanische Kriegsschiffe umringten, nachdem es fast ein halbes Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg in der Gegend ruhig geblieben war, die Tiaoyutais und hißten jetzt dort die Flagge mit der roten Sonne. Chinesische Proteste, aus Taipeh ebenso wie aus Peking, blieben unbeachtet ... Japan behauptet, die Tiaoyutais seien bis in die Gegenwart, seit die japanische Fahne dort flattert, ›terra nullius‹ gewesen. Niemandsland, das dem gehört, der es zuerst beansprucht. Nicht einmal ein leiser Ordnungsruf war dazu aus Washington zu hören, und der einst vom US-Hochkommissar in Okinawa geduldete Übergriff blieb unkorrigiert ...« Soweit der mehr als zwölf Jahre alte Text im nicht digital verfügbaren Ossietzky-Jahrgang 1999. Heute patrouillieren erneut japanische Kriegsschiffe bei den Eilanden und vertreiben Fischtrawler aus Taiwan, die zu nah heranfahren. Auch ein zudringlicher ZDF-Reporter wurde, obwohl an Bord eines japanischen Kutters, am Landgang gehindert, sein Charterboot verscheucht. Die Volksrepublik China hat nun ebenfalls Kriegsschiffe in Marsch gesetzt. Eine Flotte von 50 Fischkuttern aus Taiwan ist in Begleitung von zehn Patrouillenbooten bereits vor den Inseln eingetroffen und läßt sich von den japanischen Marineeinheiten nicht beeindrucken. Noch beschießen sich die Kriegsschiffe nur mit Wasserkanonen. Die Feindseligkeit nimmt zu, es kann brenzlig werden. Nur ökonomische Interessen stehen Japans Okkupationspraxis und seinem militärischen Übereifer im kritiklosen US-Gefolge entgegen. Die japanische Autoindustrie und der Maschinenbau fürchten, ihre Absatzmärkte in China könnten von Peking mittels Sonderzöllen erledigt werden. Japans Einzelhandel reklamiert, chinesische Ausfuhrzölle könnten den Import günstiger Produkte aus der Volksrepublik China ruinieren. Peking zeigte sich Anfang Oktober tatsächlich zum Wirtschaftskrieg bereit und boykottierte das Jahrestreffen der Welthandelsorganisation WTO. Tokio und Washington müssen es schlucken: Wirtschaftlich sitzen die Chinesen am längeren Hebel. Zur präzisierenden Ergänzung meiner Skizze aus dem Jahr 1999: Nach dem Sieg über China (April 1895) führte Japan ein grausames Kolonialregime. Ganze Landstriche kamen gewaltsam in Besitz japanischer Privatleute. So auch die heute umstrittenen Inseln. Um 1900 etablierte der Unternehmer Tatsushiro Koga dort einen Fischverarbeitungsbetrieb. 1940 ging der Laden ein, trotz reicher Fänge an Bonitos, einer Thunfischart. Seitdem wohnt niemand mehr da. 1970 verkauften Kogas Nachfahren vier der Eilande an andere japanische Privatinteressenten. Die Besitzwechsel sowie die Pachtverträge zwischen japanischen Privatleuten und ihrer Regierung, aktuell der am 11. September 2012 von der Regierung in Tokio vollzogene »Rückkauf« von drei der Inseln (für rund zwei Millionen US-Dollar), beruhen auf einem von den USA begangenen Rechtsbruch: Als habe es das völkerrechtlich besiegelte Potsdamer Abkommen und die japanische Kapitulationsurkunde nie gegeben, übertrug Washington 1971 einseitig die Hoheitsrechte über die Inseln an Japan – und dies im selben Vertrag, der das wirklich japanische Okinawa an Japan zurückerstattete (Okinawa Reversion Treaty). Tokio konnte also mit US-amerikanischem Segen einen Rest seiner einstigen Kriegsbeute in China neuerlich kontrollieren. Dem völkerrechtlich äußerst fragwürdigen Akt liegt zwar der Friedensvertrag von San Francisco vom 8. September 1951 zugrunde, mit dem Japan seine volle Souveränität zurückerhielt. In diesem Vertrag sind jedoch die Territorien, zu deren Rückgabe sich Japan mit seiner Kapitulation verpflichtet hatte, teils gar nicht erwähnt, teils unpräzise bezeichnet. Mit der Konsequenz, daß noch heute zum Beispiel über die Kurilen-Inseln gestritten wird. Den konfligenten Vertrag von San Francisco haben außerdem wichtige Weltkriegsteilnehmer nicht unterzeichnet, darunter die Volksrepublik China, die Sowjetunion und Indien. Rußland, Nachfolger der Sowjetunion, verweigert die Anerkennung bis heute. Der damalige chinesische Ministerpräsident Zhou Enlai veröffentlichte eine Erklärung, in der er den Vertrag als illegal brandmarkte. Weitere Pazifikstaaten legten Widerspruch ein, allen voran die Regierung der »Republik China« (Taiwan), die seinerzeit noch international anerkannt und ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen war, wo sie ganz China vertrat. Konkret änderte sich jahrzehntelang nichts. Chinesische Fischer (zumeist aus Taiwan) nutzten die unbewohnten Inseln als Zwischendepot. Gelegentlich kamen kleine japanische Marineeinheiten vorbei, zogen an Land Japans Flagge auf und verjagten taiwanische Seeleute. Taipehs Proteste wurden weltweit geflissentlich überhört. 2002 aber pachtete das Innenministerium in Tokio drei der in japanischem Privatbesitz befindlichen Inseln für jährlich 250.000 US-Dollar. Japans Verteidigungsministerium sicherte sich die vierte (»Kuba-shima«) und überließ sie sogleich den USA – zu »Verteidigungszwecken«. Die US-Air Force nutzt sie als Übungsgelände für Bombenabwürfe. Selbstredend sind die Inseln auch als Basis für elektronische Überwachungsanlagen geeignet, mit denen das US-Militär Teile der Volksrepublik China und Rußlands ausspioniert. Zeitgleich mit dem Insel-»Rückkauf« vereinbarten die USA und Japan im September den Aufbau eines weiteren Raketenschirms in der Region. Vorgeblich zum Schutz vor Angriffen aus Nordkorea. Tatsächlich entsteht da aber ein neues, gegen China gerichtetes US-Radarsystem, gekoppelt an ein Arsenal landgestützter Raketen. Nicht Schutz, sondern Drohpotential. Es stellt zugleich sicher, daß Taiwan seine vorsichtige Annäherung an Peking nicht übertreibt. Der von Washington unter Rechtsbrüchen ermöglichte und militärisch abgesicherte Status quo ist auf friedliche Weise anscheinend nicht mehr zu ändern. Obwohl die Inseln im 200-Seemeilen-Bereich Taiwans (das vorläufig mit Peking am gleichen Strang zieht) liegen und damit nach internationalem Seerecht zur chinesischen Wirtschaftszone gehören. Über den – nach umfassender Abwägung: chinesischen – Diàoyú-tái Inseln wehen die Flaggen Japans und der USA. Nicht mehr friedliche Symbole ihrer Völker, sondern Machtdemonstration jener Eliten, die in beiden Ländern jeweils das Sagen haben. In Taiwan, dem von Washingtons Gnaden abhängigen Inselstaat ohne internationale Anerkennung, richten sich die öffentlichen Proteste selbstverständlich nicht gegen die USA, sondern gegen Japan. Die Demonstrationen in Peking hingegen sind ein entschiedener Protest gegen die USA und die Reaktion darauf, daß der westliche Imperialismus auch im Ostchinesischen Meer einmal mehr seine Fratze zeigt.
Erschienen in Ossietzky 22/2012 |
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