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Ich fürchtete damals, daß dadurch meine eidesstattliche Erklärung, niemals als IM tätig gewesen zu sein, relativiert worden wäre und meine Glaubwürdigkeit gelitten hätte. Ich durfte die Stasi-Akten nicht einmal einsehen, aus denen angeblich hervorging, daß ich als akademischer Lehrer politisch untragbar geworden war. Nur mein Anwalt durfte hineinschauen. Also: Berufsverbot. Ich blicke nicht zurück im Zorn, sondern fühle mich um so mehr denen verbunden, die wegen ihrer Hautfarbe, sozialer Verhältnisse oder religiöser Zugehörigkeit ihren Beruf nicht ausüben dürfen. Und meine solidarische Zugehörigkeit zu denen wächst, die eine gerechte Gesellschaft anstreben, in der alle Menschen gleichberechtigt Platz finden. * Unmittelbar nach der Maueröffnung besuchten uns in der Humboldt-Universität viele Wissenschaftler aus der BRD. Wie sie erzählten, waren sie in den 1968er Jahren politisiert worden; sie seien keine Antikommunisten und hielten immer noch »demokratischen Sozialismus« für machbar. Sie ermutigten uns, aber wir überschätzten ihren Einfluß im Einigungsprozeß. Ich hoffte auf eine lebhafte akademische Auseinandersetzung und eine bereitwillige Wahrnehmung der leidenschaftlichen Diskussionen, die in den letzten Jahren der DDR in vielen Fakultäten mutig und kontrovers um Modelle des demokratischen Sozialismus geführt worden waren. Vor allem hoffte ich, die Ergebnisse unserer interdisziplinären Friedensforschung auf den Prüfstand stellen zu können. Unter »Transformation« – ein damals oft gebrauchtes Schlagwort – verstand ich nicht Verzicht auf fundamentale sozialistische Strukturen, wohl aber eine kritische Überwindung fundamentalistischer Katechismusprinzipien. Aber die Paradigmen der herzustellenden Einheit waren längst von anderen festgelegt worden. Und leider sahen wichtige Entscheidungsträger allein schon im Scheitern des sozialistischen Ostblocks die Bestätigung für die Richtigkeit der Praxis der neoliberalen kapitalorientierten Marktwirtschaft. Unter Mitwirkung von DDR-Bürgerrechtlern wurde es zum moralischen Prinzip erhoben, daß DDR-Bürger, die im Verdacht standen, in Parteifunktionen ideologische Stützen der DDR gewesen zu sein, die mit der Staatssicherheit Kontakt gehabt hatten oder gar als »Informelle Mitarbeiter« des DDR-Geheimdienstes geführt worden waren, als ungeeignet galten, im vereinten Deutschland je wieder Verantwortung zu übernehmen. Die Stasi-Akten erlangten dabei hohe Autorität; sie zu entschlüsseln und zu bewerten wurde jedem zugetraut, der an diesem moralischen Sondierungsprozeß beteiligt wurde. Damit war die Entscheidung für einen umfassenden Elitenwechsel getroffen, der inquisitorische Züge annahm, besonders an Hochschulen. So wurde zum Beispiel in der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB) die Sektion Geschichte komplett abgewickelt. Von den 782 Hochschullehrern verloren 644 ihre Position. Nur 16 Prozent der im Jahre 1989 Beschäftigten gehörten der HUB im Jahre 1994 noch an. Rund 2.500 waren innerhalb dieses Jahrfünfts entlassen worden. * Mit diesen Angaben wollte ich meine Artikelserie über die Wendezeit an der HUB beenden. Aber meine Wendegeschichte geht weiter – bis in die letzen Wochen. Im Jahre 2005 rief mich ein Spiegel-Redakteur an, der mich fragte, ob ich wisse, daß meine Stasi-Akte aufgefunden worden sei. Sie liege ihm vollständig vor. Ich erfuhr, daß die Akte 1989 auf Veranlassung des Führungsoffiziers Roßberg vernichtet worden war. Da die Reißwölfe der Staatssicherheit die Vernichtung nicht mehr schafften, zerrissen Stasi-Mitarbeiter wichtige Akten per Hand. Die Fetzen wurden in 16.000 Papiersäcke gefüllt. 15 Jahre später puzzelten die Wendearchivare der Stasi-Unterlagenbehörde meine Akte aus Sack 307 zusammen. Eine Verpflichtungserklärung oder handschriftliche Berichte von mir fanden sie nicht. Wie hätten sie denn auch finden können, was es nie gab. Einige Tage später rief ein anderer Journalist an und fragte, ob ich an meiner Stasi-Akte interessiert sei, sie liege auf seinem Schreibtisch. Er habe sie bekommen, weil ich als »Person der Öffentlichkeit« galt. Da die Birthler- (vormals Gauck-)Behörde nur Stasi-Opfern und Journalisten Akteneinsicht gewähre, bot er mir an, sie bei ihm zu lesen. Tatsächlich enthielt die Akte nur ein Papier mit meiner Unterschrift: einen Brief an den DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen, an seine Dienstadresse gerichtet, mit Poststempel versehen. Wie sich herausstellte, hatte eben diese Akte bereits in meinem Prozeß meinem Anwalt zur Einsicht vorgelegen – was sich einfach daraus erklärt, daß die Akte, mehrfach abgeschrieben, an verschiedenen Stellen archiviert war, zum Beispiel auch in der für Kirchenfragen zuständigen Stasi-Abteilung. Kurze Zeit danach meldete sich am Telefon Renate Oschlies von der Berliner Zeitung, die mir von ihrer Einsicht in meine Akte berichtete. Sie fragte mich inquisitorisch unter anderem, ob ich bei der nächsten Wahl wieder für den Bundestag antreten wolle, dem ich als PDS-Abgeordneter angehörte; damit verriet sie ihr besonderes politisches Interesse an der Sache. Am 16. Juni 2005 erschien von ihr ein Artikel in der Berliner Zeitung mit der Schlagzeile: »Der Denunziant«. Mein Anwalt riet mir ab, gegen diesen Artikel wegen Verleumdung zu klagen, weil aus den Akten korrekt zitiert worden sei. Ich fand den Artikel denunziatorisch, zumal er pünktlich in Vorbereitung zur Bundestagswahl erschien. Es gab und gibt keine Beweise für die mir unterstellte Rolle als Stasi-Informant. Fest steht jedoch: In unserer Wohnung waren mehrere Wanzen und eine Abhöranlage über meinem Schreibtisch installiert, meine Gespräche waren aus der über uns liegenden Wohnung eines Stasi-Mitarbeiters rund um die Uhr abgehört worden. Der Zeuge Wiegand, Hauptabteilungsleiter der Abteilung Kirchenfragen, erklärte dazu vor Gericht, die auf solche Weise Abgehörten seien in den Akten als IM – zum Beispiel »Heiner« – geführt worden und hätten als authentische Berichterstatter gegolten. Viele dienstliche Gespräche mit einem Mitarbeiter der Abteilung Theologische Fakultäten beim Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen der DDR, der OibE (»Offizier im besonderen Einsatz«) war, befinden sich als Berichte von ihm in der Schnipselakte. Was aber besagt das für den Vorwurf der »Denunziation«? Daran zeigen sich Journalisten bis heute nicht interessiert. Die Öffentlichkeit wird verführt nach der Devise »Irgendetwas wird an dem Vorwurf schon stimmen.« So geschehen auch in der Zeitschrift Junge Kirche, erst kürzlich, im September 2012.
Erschienen in Ossietzky 21/2012 |
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