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Nach ein paar hundert Meilen fragt er: Übrigens, wovor fliehen wir eigentlich? – Sie haben, entgegnet der erste Hase, ein Gesetz erlassen, demzufolge allen Hasen das fünfte Bein abgesägt wird. – Wenn das so ist, sagt der zweite Hase, aber wir haben doch beide nur vier Beine. – Du kennst sie nicht, sagt der erste; erst sägen sie, dann zählen sie.« Ja, da kann man Peter Hacks nur zustimmen, seine Parabel gilt für vieles in unserem gelobten Land, auch für die sogenannten Angststudien. Erst schaffen die Herrschenden gesellschaftliche Verhältnisse, unter denen die Ängste prächtig gedeihen, dann zählen sie sie. Wie schon seit mehr als 20 Jahren hat die R+V Versicherung diese verantwortungsvolle Aufgabe erneut übernommen, rund 2.500 Bürger nach ihren größten Ängsten befragt und die Studie »Die Ängste der Deutschen 2012« erarbeitet. Danach flößt die Euro-Schuldenkrise den Bundesbürgern die größte Angst ein, das meinten immerhin fast drei Viertel (73 Prozent) aller Befragten, die befürchten die Zeche zahlen zu müssen. Nach dieser großen Furcht folgen die Ängste vor steigenden Lebenshaltungskosten (63 Prozent), einer Überforderung der Politiker (55 Prozent) und vor einer Verschlechterung der Wirtschaftslage (52 Prozent). Irgendwie stimmt das nicht mit der Einschätzung der Bundeskanzlerin überein, die nicht müde wird, das von ihr zuverlässig geführte Deutschland als den Hort der Stabilität in Europa zu preisen. Thema der Befragung war auch in diesem Jahr die Atomenergie. Das Ergebnis war erfreulich. Die Sorge vor schweren Störfällen in Atomkraftwerken ist mit 43 Prozent um elf Prozentpunkte niedriger als im Vorjahr. »Mit Sicherheit spielen hierbei zwei Großereignisse mit«, meinte der die Studie begleitende Heidelberger Professor Schmidt: »2012 gab es im Unterschied zum vergangenen Jahr kein Fukushima. Und der Atomausstieg, den die schwarz-gelbe Koalition 2011 beschlossen hat und umsetzt, lindert die Atom-Ängste.« Die Angst vor Kernwaffen auf deutschem Boden gehörte nicht zum Fragenkatalog. Warum sollte denn auch gefragt werden? Schließlich handelt es sich lediglich um zehn bis 20 US-amerikanische Atombomben des Typs B61, die im Fliegerhorst bei Büchel im Landkreis Cochem-Zell in Rheinland-Pfalz gelagert werden. Eingesetzt werden sie nur auf Befehl des Präsidenten der USA, wofür die Bundesluftwaffe, genauer: das dafür auserkorene Jagdbombergeschwader 33 (JaboG 33) verständlicherweise regelmäßig üben muß. Das A-Bombenabwurftraining der deutschen Kampfpiloten ist jedoch völlig ungefährlich, da es nur der Vorbereitung auf den Ernstfall dient. Außerdem ist die Bundesrepublik Unterzeichnerstaat des Atomwaffensperrvertrages und verfügt über keine eigenen Kernwaffen, oder, militärisch gesagt, über keine »nukleare Habe«, weshalb das Ganze zu Recht nur »nukleare Teilhabe« genannt wird. Auch was die Sicherheit der Lagerung der nuklearen Sprengkörper anbelangt, so besteht nicht der geringste Grund zur Beunruhigung. Zugang zu den Waffen haben, von Ausnahmen abgesehen, ausschließlich Experten der USA. In Büchel sind deshalb rund 150 Angehörige der sogenannten Munition Support Squadrons stationiert. Für sie gilt die »Zwei-Mann-Regel«, das heißt, ein einzelner Soldat oder gar ein Deutscher kann sich nie ohne Begleitung an den A-Waffen zu schaffen machen. Außerdem befinden sich die Bomben in allseitig geschützten, fern-überwachten unterirdischen Magazinen, den sogenannten Weapons Storage Vaults, in denen jeweils höchstens vier Kernwaffen gelagert werden können. Die Lagerung ist so sicher, daß nach Einschätzung von Abwehrexperten selbst schwerbewaffnete Terroristen mindestens ein halbe Stunde bräuchten, um zu den Bomben vorzudringen. Das zu wissen, ist doch ungemein beruhigend. Hinzu kommt, daß die Kernwaffen nicht nur in Büchel, sondern auch in den USA gewartet werden. Wenn Letzteres erforderlich ist, dann werden sie, selbstverständlich völlig gefahrlos, mit Flugzeugen des 62. US-Lufttransportgeschwaders transportiert. Gefährliche Eisenbahn- oder Straßentransporte finden nicht statt. Auch ein weiterer Aspekt darf nicht vergessen werden. Trotz aller Sicherungsvorkehrungen setzt sich die schwarz-gelbe Bundesregierung für den Abzug der Nuklearwaffen aus Deutschland ein. Sie ruft zwar nicht wie seinerzeit Erich Honecker: »Das Teufelszeug muß weg!«, aber bereits 2009 haben CDU, CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag unmißverständlich festgeschrieben: »Wir werden uns dafür einsetzen, den Abschluß neuer Abrüstungs- und Rüstungskontrollabkommen international zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sowie im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen Konzeptes der NATO werden wir uns im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einsetzen, daß die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden.« Leider wurde das nicht erreicht, und so mußten Angela Merkel und Guido Westerwelle auf dem NATO-Gipfel Ende Mai in Chicago akzeptieren, daß die US-Kernwaffen in Deutschland bleiben. Allerdings sollen sie modernisiert werden, damit aus den B61-Abwurfbomben präzisionsgesteuerte Fernwaffen werden. Notgedrungen mußten die Kanzlerin und ihr Außenminister auch zusagen, rund 250 Millionen Euro auszugeben, damit die deutschen Tornado-Kampfflugzeuge so verbessert werden, daß sie in der Lage sind, die modernisierten amerikanischen Kernwaffen ins gewünschte Ziel zu bringen. Wie gesagt, sie wollten das nicht, aber die Treue zu den USA und dem NATO-Bündnis verpflichtete sie dazu. Die Angelegenheit ist gewissermaßen alternativlos. Schließlich muß auch bedacht werden, daß die B61-Kernwaffen in Büchel eine relativ geringe Sprengkraft haben. Zwar beträgt diese etwa das 13fache der Hiroshima-Bombe, aber im Vergleich zu den Wasserstoffbomben, die zu Beginn der 1960er Jahre in den USA und in der Sowjetunion entwickelt wurden, sind die nuklearen Bomben, an denen die Bundesrepublik »teilhaben« darf, nahezu harmlos. Das scheint auch der Grund dafür zu sein, daß die Kernwaffen in der Eifel in den R+V-Angststudien nicht berücksichtigt werden. Sollte wider Erwarten dort oder im Fliegerhorst Büchel etwas schiefgehen und ein Störfall vergleichbar mit einem AKW-Unfall der Stufe 7 eintreten, dann ist es für Studien eh zu spät, und es hilft auch keine »Flucht in tödlicher Angst«. Wenn den Hasen, um bei Peter Hacks zu bleiben, alle vier Beine abgesägt wurden, dann lohnt auch das Zählen nicht mehr.
Erschienen in Ossietzky 21/2012 |
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