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Es bindet schließlich alle in dem alten zivilisatorischen Hochmut gegenüber der fremden Welt des Islam zusammen. Wenn der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU), erklärt, daß die Muslime »kulturell noch ein, zwei Jahrhunderte« gegenüber jenen zurück seien, die bereits länger in Deutschland leben, und die Berliner Journalistin türkischer Herkunft Necla Kelek nicht das Video, sondern den »Lebensstil, den Erfolg und die Freiheit des Westens – und die eigene Perspektivlosigkeit« für die militanten Reaktionen verantwortlich macht, so mischt sich hier Dummheit mit Wahrheit zu jener nicht nur für die Fanatiker in Bengasi und Karatschi unerträglichen Arroganz. Offensichtlich gibt es im Westen kein Verständnis dafür, daß die Beleidigung der Religion auch als Fortsetzung der NATO-Bombardierungen und Drohnenangriffe mit anderen Mitteln wahrgenommen werden kann. Ist es so schwer sich vorzustellen, daß der Angriff auf die Religion, so primitiv oder satirisch er auch sein mag, in den Ländern, die permanent militärisch bedroht und heimgesucht werden, als Teil des Krieges erfahren wird? Ist die gewalttätige Antwort aus Ländern, zu deren täglicher Erfahrung die gezielte Tötung durch NATO-Kampfflugzeuge oder Drohnen gehört, so unverständlich und empörend – sei es Afghanistan, Pakistan, der Irak oder Gaza? Was unterscheidet die Ermordung des US-Botschafters Christopher Stevens am 11. September in Bengasi von der Ermordung des Adnan Farhan Abdul Latif in Guantánamo drei Tage zuvor? Die Prominenz des Opfers? Das Pentagon hat nur eine kleine Meldung herausgegeben, daß dieser 32 Jahre alte Jemenite am 8. September tot in seiner Zelle aufgefunden wurde. Er hatte dort elf Jahre ohne Anklage unter den furchtbarsten Umständen verbracht. Er war der neunte Tote seit der Eröffnung des Lagers im Jahr 2001. Die Todesursache sei unbekannt, sie wird wohl auch nie aufgedeckt werden. Elf Jahre Guantánamo erfüllen aber alle Merkmale eines Mordes. Nicht einmal eine Drei-Zeilen-Meldung in den Medien und keine Reaktion aus dem Jemen. Auch kein Aufschrei aus der arabischen Welt über den kürzlichen Bericht des Roten Kreuzes, der sich äußerst besorgt über den Gesundheitszustand von drei Palästinensern zeigte, die sich in israelischen Gefängnissen seit 80 bis 100 Tagen bereits im Hungerstreik befinden. Und warum erregen die Mohammed-Karikaturen mehr als die Zustände in Abu Ghraib, Bagram oder im Gaza-Streifen? Wir können uns den Unterschied wohl nur so erklären, daß der Tod oder die Qual einzelner Opfer nicht als Angriff auf die muslimische Identität und die Gemeinschaft der Muslime empfunden werden – anders als der Angriff auf den Propheten und den Koran. Mit diesem Video wird das religiöse Empfinden von Millionen Menschen im Kern getroffen und die Verachtung und Demütigung der muslimischen Existenz als Kollektiv ausgedrückt. Diese Verletzung läßt sich nicht individualisieren und von der übrigen Gesellschaft abtrennen, da sie den ideologischen Grundkonsens der islamischen Gesellschaft in Frage stellt. Selbst in unserer säkularisierten Gesellschaft sind wir nicht frei von Empfindlichkeit gegenüber der Blasphemie. Nur ist unsere Reaktion anders. Wir drohen mit den Gerichten und nicht mit Mord. Er ist für uns unter keinen Umständen akzeptabel. Doch wer mag schon garantieren, daß es auch dann bei der gerichtlichen Drohung bleiben würde, wenn unsere Gesellschaft täglich mit Drohnen, Kampfjets oder Söldnern überfallen würde. Gesellschaften im Krieg reagieren anders als im Frieden. Das nervende Freiheitspathos hat auch bei uns seine eindeutigen Grenzen, ob es um die Leugnung des Holocaust, die Aufforderung zum Krieg, Volksverhetzung oder die Beschimpfung der Religionen geht. Paragraph 166 des Strafgesetzbuches beschäftigt die deutschen Gerichte bis in die höchsten Instanzen: »Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.« Diese Beschränkungen der Meinungsfreiheit sind nicht unumstritten. So haben beispielsweise die USA und Großbritannien die Leugnung des Holocaust nicht unter Strafe gestellt. Seit 2008 sind jedoch die EU-Mitgliedsländer verpflichtet, »das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen« unter Strafandrohung zu stellen, wenn diese Verbrechen »nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationalen oder ethnischen Herkunft« begangen wurden. Es bedarf also keiner weiteren Strafvorschrift, um die Vorführung dieses unsäglichen Videos zu verhindern. Denn es sollte nicht schwer sein, die Hetze gegen den Islam als »Beschimpfung« zu qualifizieren, die nicht nur »geeignet« ist, sondern darauf zielt, zu provozieren und »den öffentlichen Frieden zu stören«. Wer allerdings vorgibt, die Meinungsfreiheit aggressiv gerade durch die Veröffentlichung immer neuer Mohammed-Karikaturen und das demonstrative Vorführen des Videos schützen zu wollen, setzt sich eher dem Verdacht aus, damit seine Auflage steigern und den Feind reizen zu wollen als der Aufklärung und der Freiheit der Diskussion zu dienen. Provokation ist ein oft stimulierendes Mittel der Auseinandersetzung und die Romane von Salman Rushdie stehen außerhalb jeden Verdachts einer gezielten Beschimpfung des Islam. Was aber für den Schutz der Literatur selbstverständlich ist, gilt nicht für dieses Video, das damit nichts zu tun hat. Begegnen wir dieser zugespitzten Konfrontation also dort, wo ihre Wurzeln zu finden sind. Sie liegen offensichtlich nicht in der unkontrollierten Gewalt gestörter Fanatiker seit dem Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon. Sie liegen in der systematischen Gewalt – als zivilisatorische Mission getarnt –, mit der die bedrohten Staaten selbst ihren kolonialen und postkolonialen Herrschaftsanspruch gegen die arabischen Staaten des Nahen und Mittleren Osten durchsetzen. Die Geschichte des Aufeinandertreffens der beiden Welten ist eine Geschichte der Gewalt, die sich nicht in Europa, sondern in Afrika und Asien ereignet hat und bis heute andauert. Es ist nicht allein die Gewalt, die von außen kommt. Es ist auch die Gewalt, die sich im Innern durch korrupte politische Herrschaft und ökonomische Verelendung mit der Gewalt von außen verbunden hat. Die Gesellschaften davon zu befreien und ihre Souveränität, also ihre Unantastbarkeit, zu respektieren, wäre auch ein Gewinn für die eigene Freiheit.
Erschienen in Ossietzky 21/2012 |
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