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In seinem Einladungsbrief, den von Wachter mir in meiner Funktion als Mitglied der Deputation für Inneres der Bremischen Bürgerschaft sandte, forderte er mich auf, mich als Zuhörer während der Veranstaltung »in die konstruktive Befassung mit dem Thema Integration und Identitätsfindung junger Menschen in Deutschland und Bremen einzubringen«. Postwendend habe ich mich artig für die freundliche Einladung bedankt und leider absagen müssen, weil ich mich just zu dieser Zeit auf Veranstaltungstour nach Süddeutschland begab. Thema: »Verfassungsschutz und Neonazis im Dienst des Staates«. Ich habe dem obersten »Verfassungsschützer« im rot-grün regierten Bremen geantwortet, daß ich mich über seine Einladung freue, »obwohl ich, wie Sie wissen, ziemlich starke Probleme damit habe, daß ausgerechnet der ›Verfassungsschutz‹ solche Debatten um ›Lebenswelten junger Muslime in Deutschland‹ ausrichtet und durchführt«. Denn trotz aller erfreulichen Bemühungen um Offenheit, für die er als neuer Amtsleiter stehe, »ist und bleibt auch der Bremer Verfassungsschutz ein Geheimdienst mit klandestinen Strukturen, Mitteln und Methoden; ein demokratisch nur schwer kontrollierbarer Inlandsgeheimdienst mit der Lizenz zur Infiltration und Ausforschung im weiten Vorfeld des Verdachts«. Gerade nach den zahlreichen Verfassungsschutz- und Vertuschungsskandalen der letzten Zeit seien die systemischen Probleme solcher »Sicherheitsbehörden« schließlich offenkundig geworden. Tatsächlich paßt es für mich nur schwer zusammen, daß der Bremer Geheimdienst »Verfassungsschutz« einerseits muslimische Gruppen und Moscheegemeinden, die er für »islamistisch« und »extremistisch« hält, bespitzelt, infiltriert und ausforscht, andererseits aber Dialog-Veranstaltungen mit Muslimen und über muslimische Lebenswelten ausrichtet. Eine solche unglückliche und inakzeptable Aufgaben- und Funktionsvermengung weckt Argwohn, macht befangen und verspielt Vertrauen. So wird meines Erachtens ein wirklich offener gesellschaftlicher Diskurs mit nach wie vor ausgegrenzten Minderheiten behindert, so werden Muslime als Problemfall der ›Inneren Sicherheit‹ behandelt, so gerät der Integrationsdialog zum nachrichtendienstlichen Frühwarnsystem. Bisher ist der Verfassungsschutz eher durch Stigmatisierung und Ausgrenzung im »Namen der Sicherheit« aufgefallen. Statt nun auch noch eine Vergeheimdienstlichung des Dialogs mit Muslimen zu betreiben, muß diese diskriminierende »Sicherheitspolitik« beendet werden. Die Reaktion des Bremer Innensenators (SPD) und seiner ehemaligen Staatsrätin auf meine Kritik, die ich bereits früher geäußert hatte, spricht Bände: Jetzt haben wir doch einen so offenen und liberalen Verfassungsschutz, der auch den Dialog mit Muslimen sucht – was haben Sie bloß dagegen? Interessant und besorgniserregend sind die komplementären Verhaltensweisen nicht weniger islamischer Vereine und Gemeinschaften, die die offensiven Avancen des Verfassungsschutzes annehmen und relativ unbekümmert mitmachen. Nach jahrelanger Stigmatisierung und Ausgrenzung, gerade auch durch den Verfassungsschutz, greifen sie nach jedem Strohhalm, der ihnen angeboten wird und fühlen sich endlich anerkannt. Der Verfassungsschutz sucht sowohl auf Bundesebene als auch in den Ländern immer mehr sein Heil in der politischen Bildung, in die er mit seiner unsäglichen und umstrittenen »Extremismusdoktrin« massiv vordringt. Er betreibt – nicht zuletzt aus Legitimationsgründen – eine zunehmend offensive Öffentlichkeitsarbeit, so mit kostenfreien Wander-Ausstellungen, Broschüren und Veranstaltungen über »Islamismus« und alle Sorten von »Extremismen«; er mischt sich meinungsbildend in die politische Willensbildung ein und munitioniert dabei auch die Medien. Mehr und mehr wirkt er hinein in Schulen und Hochschulen, Bildung, Wissenschaft und Forschung – ganz ähnlich wie die Bundeswehr. Diese Kompetenzüberschreitung und ideologische Einflußnahme ist besorgniserregend und sollte energisch zurückgedrängt werden. Denn damit maßt sich ein öffentlich nur schwer zu kontrollierendes Überwachungsorgan einen Bildungsauftrag in Sachen »Demokratieerziehung« an, der keine gesetzliche Grundlage hat. Gerade so, als gäbe es in Bremen und anderswo nicht geeignetere und kompetentere Wegbereiter einer offenen interkulturellen Debatte – ohne geheimdienstlichen Einfluß und jenseits sicherheits-politischer Erwägungen. Der interkulturelle Dialog muß selbstverständlich – auch außerhalb von Integrationswochen – intensiv und mit allen Beteiligten und Betroffenen geführt werden. Aber nicht von einem Geheimdienst, der sich hierüber womöglich ein erweitertes Erkenntnisfeld erschließt. Ein solcher gesellschaftlicher Dialog gehört zu den klassischen Aufgaben der Landeszentralen für politische Bildung sowie anderer zivilgesellschaftlicher Institutionen und Bildungsträger. Dem Land Niedersachsen kommt in dieser geheimdienstlichen »Bildungsoffensive« übrigens eine problematische Vorreiterrolle zu: Hier ist im Jahr 2005 unter der schwarz-gelben Landesregierung die Landeszentrale für politische Bildung vollständig aufgelöst worden; zum Ausgleich übernahm ausgerechnet der Verfassungsschutz wesentliche Teile der politischen Bildung. Dafür ist eigens 2009 eine neue Abteilung in der Verfassungsschutzbehörde geschaffen worden: die Niedersächsische Extremismuspräventions- und Informationsstelle (NEIS). NEIS bietet in ganz Niedersachsen Vorträge, Projekttage, Kongresse, Symposien, Ausstellungen, Unterrichtsmaterialien und Lehrerfortbildungen zum Thema »Extremismus« für Schulen und außerschulische Bildungsträger an. NEIS zielt besonders auf interessierte junge Erwachsene ab 16 Jahre, die in einem bundesweit einmaligen Qualifizierungsprogramm zu ehrenamtlichen »Demokratie-Lotsen« ausgebildet werden. Auf Kosten des Verfassungsschutzes werden sie an zwei Wochenenden in zwei niedersächsischen Heimvolkshochschulen geschult, über Gefährdungen der Demokratie informiert und zu Hilfs-Verfassungsschützern geformt. Es mag nicht alles falsch sein, was hier im Detail an Wissen vermittelt wird. Doch wir haben das grundsätzliche Problem, daß hier ausgerechnet ein Geheimdienst, der selbst demokratischen Prinzipien widerspricht, immer wieder Bürgerrechte verletzt und Skandale produziert, quasi zum neuen Bildungsträger wird und die politische Orientierung der Jugend prägt. Die allmähliche Durchdringung wesentlicher gesellschaftlicher Bereiche führt zu einer ideologischen Einflußnahme auf Meinungsbildung und politisches Engagement und sichert dem Verfassungsschutz semantische Deutungshoheit. So etwas kennt man von autoritären Staaten, doch mit offener demokratischer Kultur dürfte diese Entwicklung nicht vereinbar sein. Politische Bildungsarbeit, die ihren Namen verdient und ihrem Auftrag zur Menschenrechtsbildung gerecht wird, muß demgegenüber gerade frei, kritisch und weitgehend staatsunabhängig sein – ein Inlandsgeheimdienst hat hier nichts zu suchen. Die vergriffene Taschenbuchausgabe von Rolf Gössners Buch »Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates« ist vor kurzem als E-Book neu aufgelegt worden. Rolf Gössner hat die Neuauflage mit einem aktuellen Einstiegskapitel versehen. Link zum Downloaden für 6,99 € bei Droemer-Knaur: http://bit.ly/J8XWNC.
Erschienen in Ossietzky 21/2012 |
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