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Sein Held zieht sich ins Private zurück, freilich ohne Idylle, es gibt kein geschichtliches Handeln mehr. Doch anders gesehen: Zwar kann der Einzelne seine Biografie oder einen eingeschlagenen Weg nur schwer ändern, etwa durch den Eintritt der Frau Antoinette (Maren Eggert); umso härter und schwerer können das Umstände und Verhältnisse – den brutalsten Fall des 20. Jahrhunderts bot der NS-Faschismus. Wie stellen sich nachgewachsene Spieler solchem Thema? Das Deutsche Theater (DT) wartet mit den Erfahrungen und der Fertigkeit guter Schauspieler wie Hans Löw und Helmut Mooshammer auf – angemessen. Und sie spielen »Komödie«, worauf Frisch großen Wert legte. Eine Aufführung erschien mir von vornherein äußerst problematisch: die Vertheaterung des großen Thomas-Mann-Romans »Joseph und seine Brüder«, einer Tetralogie von fast 1.800 Seiten in der Geburtstagausgabe von 1955. Es gab schon genügend ärgerliche Versuche in Theater und Film (»Lotte in Weimar« ausgenommen) – wie sollte das mit dem »Joseph« gutgehen? Ich gebe es zu, es war auch mein liebster und für mich größter Roman über Jahrzehnte, den wollte ich nicht verramscht wissen. Theater frißt fast alles, und so mußte es geschehen, irgendwann. Vor einiger Zeit zunächst in Düsseldorf, nun also im DT, John von Düffel hat den Roman eintheatert. Es bleibt bei meinem Grundeinwand gegen die Dramatisierung von epischen Werken. Gut, da ist das Knochengerüst, der Körper ist erkennbar, doch wo ist das Fleisch, wo fließt das Blut? Wo bleiben die unendlich vielen feinen Nerven, sprich: die zahllosen Beobachtungen, Gedanken, Urteile, Wertigkeiten, die ein großes Universum in diesem Epos ausmachen? Auf der Strecke! Immerhin: Es wird eine Geschichte erzählt – überschaubar, hör- und sichtbar. Und manchmal sogar schön! Ich denke, es tat diesem großen Text und seiner Umwandlung durch männliche Hand gut, daß eine Frau, die Niederländerin Alize Zandwijk, Regie führte, sie hatte Gespür für die Textmelodie und gab mit Hilfe des Szenografen Thomas Rupert einen theatergerechten Raum, in dem sich auch ein derart tiefer Mythos halbwegs entfalten konnte. Auf die Kostüme (Johanna Pfau) trifft das nicht ganz zu; dieser vertrackten Mode, historische und mythische Figuren in heutige Straßenkleidung zu stecken, ist man nicht voll entgangen. Das Ensemble von acht Personen spielte mit Liebe und Lust. Nur einer sei genannt: Thorsten Hierse als Joseph. Doch fehlte neben der mythischen die historische Dimension. Ein Grundschluß des Erzählers war die Formung eines wahren Volksführers als Gegenbild zu jenen Führergestalten seiner Zeit, vor denen der Autor geflüchtet war. Im Regiekonzept des Programmheftes wird sogar vom »Wirtschaftsminister« gesprochen – gut, das war er auch und erst recht Jude, der mit Rassismus rechnen mußte. Aber eben doch einiges mehr! Aus Zürichs Schauspielhaus kam ein kleines Ensemble mit großem Anspruch nach Berlin: einer Melange aus Goethes »Faust« und Jelineks »FaustIn and out«. Man spielte an zwei Tagen, und der Billeteur hatte es diesmal mit mir nicht gutgemeint: Am zweiten Abend muß die Vorstellung anders gewesen sein, als am vorausgegangenen: Das, was ich sah, und das, was ich später darüber las, paßte nicht zusammen. Es war, als ob ich etwas anderes gesehen hatte. Dabei war das Ganze verworren genug. Zu Beginn, als große Teile des »Faust I« von Edgar Selge und Frank Seppeler zusammengeredet wurden – und zwar im Theatron, spielten drei Frauen (Sarah Hostettler, Miriam Maertens und Franziska Walser) im Keller den Text der Jelinek, der als ein »Sekundärdrama« bezeichnet wird, und nur 40 Personen hatten Zutritt. Im zweiten Teil werden beide Texte gespielt und beide schlecht. Es tut mir leid, bei aller Hochachtung der österreichischen Nobelpreisträgerin und allem Ernst der dort betriebenen Frauen-Sache: Das Ganze war wirrer Ramsch ohne Erkenntnis- und ohne Kunstwert. Inszeniert hatte – im Sinne von Regie und Gestaltung des szenischen Raumes – das Ganze Dušan David Paøízek. Schade um die Zeit! Im Rahmen der Autorentheater-Tage gab es im Deutschen Theater ein Gastspiel des Thalia-Theaters Hamburg mit Peter Handkes Stück »Immer noch Sturm«, das sich einem Gattungsbegriff weitgehend entzieht, weil es so viel Tragisches wie Komisches in sich hat und auch Episches – er selbst hat es »historisches Traumspiel« genannt. Erzählt wird eine Familiengeschichte, geradezu beschworen; besser: aus einer: seiner eigenen, und die ist slowenisch, spielt im Grenzbereich zwischen dem österreichischen Kärnten und Slowenien, wo die Grenzen fließend waren und in gewisser Weise auch sind: In Kärnten findet man Einwohner slowenischer Herkunft, die auch die Sprache sprechen, und in Slowenien ist es umgekehrt. Im Stück stellt sich der Dichter selbst dar als »Ich« (Jens Harzer), der die Geschichte erzählt, die Geschichte seines Onkels Gregor Siutz, der im Weltkrieg als Partisan unter dem Kampfnamen »Jonatan« (nach der Apfelsorte, die er in seinen Briefen beschrieben hatte) kämpft und siegt. (Die historische Vorbildfigur fiel an der Ostfront, auf der Krim.) Diese Gregor-Figur taucht seit 1966 in zahlreichen Werken Handkes bis 1994 immer wieder auf, obwohl die Briefe dieses Onkels erst 2009 im Keller des Bruders Georg entdeckt wurden. Also viel Geschichte: die einer Familie und die der Kriegswelt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Handke macht daraus Poesie, ein poetisches Drama beziehungsweise ein »Traumspiel«. Er bewältigt Vergangenheit, indem er sie erzählend aufarbeitet, und damit letztlich auch Gegenwart, verweist auf Zukunft. »Denn der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen, und wie der morgige sein wird, werden wir aus dem Verlaufe des heutigen erfahren.« Das sagte Heinrich Heine, der war in der Tat ein hegelscher Geschichtsdialektiker. Ob das so auf Handke zutrifft, bezweifle ich. Aber in der Wahrheit der Poesie ist er es doch. Immerhin erscheint der Apfelgarten des Gregor wie ein Paradies, aus dem die Menschen, vertrieben worden sind – auf die kaltböse Heide von König Lear! Schreibt der Dichter für eine Rückkehr ins Paradies? Da wirkt auch das Prinzip Hoffnung auf »etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat«. – So hatte Ernst Bloch die Situation verstanden, lange vor Handke. Ein wichtiges Stück Literatur liegt vor, das nun Theater geworden ist. Es gehört zum Glücksfall, daß der Bulgare Dimiter Gotscheff das Stück inszeniert hat, bei der Bühnenfassung unterstützt von Ivan Panteleew. Katrin Bracks szenischer Raum ermöglicht Spiel, durchaus ernstes, aber Spiel in hohem Sinne. Auch wenn manche Elemente das Ganze unnötig vergröbern (etwa der Melkschemel-Penis). Die Lichtgebung durch Paulus Vogt gab dem Ganzen Tiefenwirkung. Weniger überzeugten mich die Musiker und ihre rhythmischen Ton-Gebilde, unter anderem die Wortfetzen auf die Haydn-Hymne. Und ob die Personen der vorwiegend vierziger Jahre so heutig angezogen sein mußten? Wozu der Aktualisierungsdrang? Geschichte und Geschichten dieser Art sprechen uns doch über Sinn und Substanz an. Acht Schauspieler taten das ihrige dazu: Tilo Werner als Jonatan-Gregor hat seine Figur sehr sorgsam entwickelt, es unterlief kein Fehler. Doch warum konnte man mit dieser widerspruchsvollen Gestalt nicht mitgehen, sich nicht einfühlen, sich auch nicht eindenken? Alles in allem: eine bemerkenswerte Aufführung. Doch der Kampf der Partisanen, der später auch ein Kampf der jugoslawischen Volksarmee war, welche die Hauptlast trug und von kriegsentscheidender, auch weltgeschichtlicher Bedeutung war, war darin nicht historisch treffend dargestellt. Meine Eltern haben ihn als Arzt und Schwester im Offiziersrang mit Befehlsgewalt mitgekämpft, und ich war Kindersoldat. Auch in der Poesie und in der Theaterkunst muß neben der ästhetischen Wahrheit die historisch-politische bestehen können. Sonst wird es falsch!
Erschienen in Ossietzky 20/2012 |
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