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Dieses Vorhaben ist mir letztendlich mit einem Umsteige-Endspurt auf dem lutherstadtwittenbergischen Reformationsbahnhof auch gelungen. Mein Sparprogramm ging davon aus, daß ich als Inhaber eines »65-plus-Tickets« die ausgedehnte berlin-brandenburgische Landschaft kostengünstig bereisen kann, wenn ich auf schnelle und bequeme ICE- und IC-Fahrten verzichte und mich Regionalzügen anvertraue. Das dauert zwar länger und schließt einige Rösselsprünge ein, ist aber zu machen, wenn man noch mit den Original-Gelenken ausgestattet ist und nur bescheidenes Gepäck mitführt. An einem »Service-Point« in Berlin, wie sich die Fahrauskünfte neuerdings überall in Old-Germany nennen, erfuhr ich, daß man mit einem Sachsen-Ticket die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in allen Himmelsrichtungen an einem Tage hin und her und rauf und runter durchqueren kann, und das für 23 Euro. Ein entsprechendes Ticket konnten mir die Informellen Mitarbeiter der »Points« Berlin-Alexanderplatz und -Lichtenberg allerdings nicht ausstellen – das sei erst in der Zielregion möglich. Sei’s drum, dachte ich locker, dann wird mir wohl unterwegs der Teamchef des Regionalzuges, früher profan als Schaffner bekannt, dazu verhelfen. Diese Annahme bestätigte sich prompt in der Regionalbahn von Berlin-Hauptbahnhof nach Falkenberg/Elster. Der Mann mit den attraktiven roten Streifen am Ärmel wunderte sich allerdings, warum das nicht schon in Berlin möglich gewesen sein soll. Fürsorglich wies er mich auch darauf hin, daß das Sachsen-Ticket erst ab 9 Uhr Gültigkeit besitze, was mich ein wenig in Verlegenheit brachte, denn es war noch nicht mal acht. Außerdem hatte ich mich darauf verlassen, daß sich eines der beteiligten Bundesländer als »Land der Frühaufsteher« bezeichnet. Das darf man also nicht zu wörtlich nehmen. Schließlich ergab sich eine Zuzahlung von 14,40 Euro für die Strecke von Falkenberg nach Leipzig/Hauptbahnhof, die ich im Wissen um die finanzielle Notlage der Bahnvorstände gern auf mich nahm. Ich hätte selbstverständlich in Falkenberg auch eine Stunde auf den nächsten Taktzug warten können, wollte aber den Tag zeitlich restlos ausschöpfen. Die eingesparte Stunde durfte ich allerdings in Werdau/Sachsen wieder draufgeben. Dort kündigte ein Aushang Schienenersatzverkehr nach Zwickau an, und nachdem ich den Haltepunkt des Busses am Bahnhof lange gesucht und endlich gefunden hatte, hörte ich noch deutlich den nach Zwickau pünktlich vom planmäßigen Bahnsteig ohne mich abgehenden Zug. Der Ersatzverkehr hatte sich vorzeitig erledigt, was sich offensichtlich noch nicht in allen Anschlägen und bei allen Bahnbediensteten herumgesprochen hatte. Eine Stunde lang genoß ich die Vormittagssonne auf dem attraktiven Werdauer Bahnsteig, denn das ursprüngliche Bahnhofsgebäude existierte nur noch als Durchgangsruine und Bauzeugnis aus dem vorigen Jahrtausend, und folglich gab es weder eine Gaststätte noch eine Toilette. Letzteres bereitete wegen des den ehemaligen Vorplatz begrenzenden hohen Gebüschs keine Probleme. Es war deutlich zu sehen und zu riechen, daß sich andere Reisende vor mir dieser Möglichkeit ebenfalls kreativ bedient hatten. Der nächste Umstieg in Zwickau vollzog sich planmäßig, und die schmucke Vogtlandbahn dieselte die Mulde entlang aufwärts an Vuchelbeerbäumen vorbei durchs schiene Arzgebirg. Die Landschaft war idyllisch und gab ab und zu den Blick auf verfallene Fabrikanlagen frei, der Baum- und Strauchwuchs war dank der reichen Niederschläge dieses Sommers üppig – so üppig, daß er auch die stillgelegten Bahnhöfe an der Strecke ergriffen hatte, durch deren eingeschlagene Fenster neugieriges Jungholz lugte. Das Fahrzeug erreichte pünktlich den Erzgebirgsflecken Schwarzenberg. Da mir bis dato unbekannt war, daß die Stadt über zwei Haltepunkte verfügt, stieg ich logischerweise am falschen aus, wodurch sich meine Wegstrecke zum Ziel erheblich verlängerte. Der Bruder wurde verspätet erreicht, das Anliegen des Besuchs aber erfüllt. Auf der Rückfahrt erhielt die Reise nochmals einen abenteuerlichen Kick: Durch den Zuglautsprecher wurde verkündet, daß die Bahn nicht im Bahnhof Gesundbrunnen, sondern bereits in der Tiefe des Berliner Hauptbahnhofs enden müsse, da ein herrenloser und undefinierbarer Koffer aufgefunden worden sei. Warum die vom Fundgegenstand ausgehende terroristische Gefahr erst ab Hauptbahnhof einsetzen sollte, erschloß sich mir nicht, das war aber auch nicht mein Problem. Bei Bahnreisen muß halt jeder ein Restrisiko tragen.
Erschienen in Ossietzky 20/2012 |
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