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Politiker der deutschen Regierungsparteien halfen beim Aufbau der rechten Opposition, betätigten sich als deren Sprachrohr in Europa und mißbrauchen das deutsche und das europäische Parlament zu deren Unterstützung. Ihre gemeinsamen Ziele sind die Abwahl des sozialistischen Präsidenten Hugo Chávez Frias und ein Systemwechsel. Am 7. Oktober wird Chávez sich zum vierzehnten Mal in seiner Amtszeit dem Wählervotum stellen. Bis auf eine Ausnahme hat er alle vorangegangenen Abstimmungen gewonnen. Seit seinem triumphalen ersten Wahlsieg im Dezember 1998 und der konsequenten Umsetzung dessen, was er als »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« definiert, ist der 58jährige Sohn eines Dorfschullehrers nach Fidel Castro weltweit zum beliebtesten Haßobjekt von Ultrarechten und Neoliberalen geworden. In den vergangenen 14 Jahren gehörten ausländische Einmischung, Umsturzversuche, Anschläge und Diffamierungskampagnen gegen den immer wieder in demokratischen Wahlen bestätigten Präsidenten der Bolivarischen Republik Venezuela zum Alltag. Was also ist das Besondere bei den Wahlen im Oktober 2012? Den ersten Anstoß zur aktuellen Kampagne der Systemgegner gab US-Präsident Barack Obama bereits am 19. Dezember letzten Jahres in einem Interview mit der konservativen venezolanischen Tageszeitung El Universal. Darin sprach Obama sich gegen die Wiederwahl von Chávez aus und kritisierte, daß es in den Regierungen von Venezuela und anderen Ländern der Region eine kritische Haltung gegenüber den USA gebe. »Ich warte auf den Tag, an dem die Regierungen der USA und Venezuelas wieder enger zusammenarbeiten können«, fügte der US-Präsident diplomatisch, aber eindeutig hinzu. Für einen zwar nicht wahrscheinlichen, aber dennoch gewünschten Systemwechsel nach den Oktober-Wahlen hatte Obama im Haushaltsentwurf 2012 im »Budget für Auslandsoperationen des Außenministeriums« – neben 20 Millionen US-Dollar für Anti-Castro-Gruppen in Miami und auf Kuba – auch fünf Millionen Dollar für Anti-Chávez-Aktivitäten in Venezuela eingestellt. Zusätzlich zu diesem Posten würden weitere Millionen zur Finanzierung politischer Kampagnen, von Medienpropaganda und anderen destabilisierenden Aktivitäten in der südamerikanischen Nation gezahlt, enthüllte die US-Venezolanische Anwältin und Journalistin Eva Golinger im Februar 2012 in der Zeitung Correo del Orinoco/International. In Venezuela ist das ein klarer Verstoß. Das »Gesetz zum Schutz der politischen Souveränität und Nationalen Selbstbestimmung« verbietet seit Dezember 2010 die Finanzierung politischer Aktivitäten aus dem Ausland. Dennoch treten neben der US-Regierung vor allem konservative Parteien aus Europa und Deutschland als Sponsoren der rechten Regierungsgegner auf. Wegen der klaren Gesetzeslage in Venezuela muß die Unterstützung oppositioneller Gruppen verdeckt erfolgen. Bereits im Juni 2010 hatte Eva Golinger im Internetportal amerika21 über die Tätigkeit deutscher Parteistiftungen berichtet: »Mehrere deutsche Stiftungen, darunter die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung, beteiligen sich direkt an der Finanzierung der politischen Parteien in Venezuela. Die CDU-nahe Adenauer-Stiftung investiert rund 500.000 Euro jährlich in Projekte mit den rechten Parteien wie COPEI und Primero Justicia. Zusätzlich unterstützt sie jährlich mit 70.000 Euro Programme der konservativen Katholischen Universität Andrés Bello, einer Hochburg oppositioneller Studentengruppen.« Im Wahlkampf 2012 sind auch die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung und die durch ihre Unterstützung der Putschisten in Honduras und Paraguay in Lateinamerika berüchtigte Friedrich-Naumann-Stiftung der FDP engagiert. Die Seidel-Stiftung verbreitete Anfang des Jahres vor allem Spekulationen des privaten US-Nachrichtendienstes-Stratfor (der seit der Veröffentlichung von fünf Millionen teils vertraulicher Dokumente durch Wikileaks als »Schatten-CIA« gilt) über eine Nachfolge des an Krebs erkrankten Präsidenten. Die deutschen Christsozialen stützten damit die Oppositions-Strategie, Chávez als Todgeweihten darzustellen, der den Wahltag nicht oder nur kurze Zeit überleben würde. Die Naumann-Stiftung macht ihrem schlechten Ruf auch in Venezuela alle Ehre. In einer Veröffentlichung der Putschisten-Freunde werden die Leser darüber aufgeklärt, daß man in Venezuela bereits in einer Diktatur des 21. Jahrhunderts lebe, in der eine Regierung herrsche, deren Macht völlig unbegrenzt sei und die zunehmend auf Repression setze. Am 7. Oktober, so die FNS, werde »Venezuelas autoritär herrschender Staatspräsident Chávez« herausgefordert. Eine Niederlage seiner Gegner könne »einen noch dramatischeren Verlust von Freiheiten bedeuten«. Deshalb biete sich bei dieser Wahl die »letzte Gelegenheit, um in einer Demokratie leben zu können«. Die Wahlhelfer aus Deutschland legen sich seit Anfang des Jahres nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten mächtig ins Zeug. Im April drängte die Bundesregierung innerhalb der Europäischen Union auf eine verstärkte Unterstützung der rechten Opposition, berichtet amerika21. Bei einer offiziellen Reise der von Ingrid Hönlinger (Bündnis90/Die Grünen) geleiteten Deutsch-Südamerikanischen Parlamentariergruppe vom 10. bis 21. April nach Venezuela, Chile und Argentinien wurde das bereits umgesetzt. »In Venezuela hatten wir fast nur Treffen mit oppositionellen Kräften, während wir in Chile nur mit Regierungsleuten zusammenkamen«, berichtet Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete der Linken. Auch bei einer von der Seidel-Stiftung organisierten Reise des ehemaligen Wirtschaftsministers Michael Glos (CSU) im Juni stand vor allem der Austausch mit Regierungsgegnern auf dem Programm. Am 20. Juni traf Glos in der Residenz des deutschen Botschafters mit dem Präsidentschaftskandidaten des Oppositionsbündnisses »Tisch der demokratischen Einheit« (MUD), Henrique Capriles Radonski, zusammen. Der Abgeordneten Hänsel war bereits im April aufgefallen, daß die Vertreter der deutschen Stiftungen mit dem MUD-Aufbau »alle Hände voll zu tun« hatten. Eine für Juni geplante Vorstellungsreise nach Deutschland hatte der von der Adenauer-Stiftung eingeladene Capriles nur aus Termingründen abgesagt. Der 40jährige Capriles ist Rechtsanwalt, Gouverneur des Bundesstaats Miranda und der Hoffnungsträger der venezolanischen Eliten und internationalen Reaktion. Er entstammt einer Familie von Medienunternehmern, die zu den reichsten in Venezuela gehört. Die von ihm mitbegründete Rechtspartei »Primero Justicia« wird seit Jahren von der Adenauer-Stiftung unterstützt. Capriles gilt als einer der Hauptakteure des gescheiterten Putschversuchs gegen die gewählte Chávez-Regierung vom 11. April 2002. Dabei führte er eine Gruppe von Putschisten an, die gewaltsam in die kubanische Botschaft eindrangen, das Personal bedrohten, dessen Versorgung mit Wasser, Strom und Lebensmittel blockierten und die Fahrzeuge der diplomatischen Vertretung zerstörten. Obwohl er aus dem rechten Lager kommt und der Wunschkandidat der reichen einheimischen Oligarchie, der USA und des neoliberalen europäischen Spektrums ist, versucht der ehemalige Putschist sich als Mitte-Links-Politiker zu präsentieren. Eine Rolle, die ihm und seinen Hintermännern nicht leicht fällt. Aber im heutigen Venezuela hätte ein Kandidat, der sich offen gegen den Sozialismus und für ein neoliberales Modell ausspricht, keine Chance. Die von Chávez angestoßene Bolivarische Revolution hat seit 1998 beachtliche Erfolge erzielt und der ärmeren Bevölkerungsmehrheit deutliche Verbesserungen gebracht. Mit der Schaffung der Staatenbündnisse ALBA, Unasur, Celac und dem Beitritt zum Wirtschaftsbündnis Mercosur ist Venezuela von einem abhängigen Anhängsel der US-Hegemoniepolitik zu einem selbstbewußten Staat geworden, der die Integration der Länder Süd- und Lateinamerikas sowie der Karibik vorantreibt. Mit der Gründung von Petrocaribe, Petrosur, der Bank des Südens und der Gemeinschaftswährung SUCRE kommen die Erträge der Ölindustrie und anderer Ressourcen nicht mehr nur ausländischen Investoren, sondern vor allem den Menschen in der Region zugute. Die ärmere Bevölkerung hat erstmals Zugang zu Bildungseinrichtungen, günstigen Lebensmitteln und einer landesweiten medizinischen Versorgung. Auch im Kampf gegen die extreme Armut gibt es Fortschritte. Nach einem aktuellen UNO-Bericht vom 21. August hat Venezuela sich mittlerweile zum Land mit der geringsten sozialen Ungleichheit in Lateinamerika entwickelt. Zu den jüngsten Projekten gehört ein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm (Gran Misión Vivienda), das den Bau von über zwei Millionen Wohnungen bis zum Jahr 2017 vorsieht; abhängig vom Einkommen finanziert die Regierung bis zu 100 Prozent der Kosten für eine Wohnung. Das am 8. Mai in Kraft getretene neue Arbeitsgesetz LOT (Ley Orgánica del Trabajo de los Trabajadores y Trabajadoras) ist fortschrittlicher als die Forderungen deutscher Gewerkschaftsspitzen. Das Gesetz stärkt Arbeitnehmerrechte durch umfassenderen Schutz des Arbeitsplatzes, Verkürzung der Wochenarbeitszeit, erweiterten Mutterschutz, Abschaffung von Outsourcing und Verbot von Leiharbeit. Solche Erfolge der bisherigen Chávez-Regierungen wollen die ärmeren und die arbeitenden Schichten nicht aufs Spiel setzen. Der »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« findet in der Bevölkerung breite Unterstützung. Die Opposition hat sich darauf eingestellt und erklärt Capriles zum besseren »Chávisten«. Der progressive Anstrich des rechten Kandidaten wird aber mit viel Mißtrauen betrachtet. Seine bekannte Aversion gegen Kuba, Nicaragua, Bolivien und Ecuador droht Venezuela bei einem Wahlerfolg des Oppositionsbündnisses MUD in die außenpolitische Bedeutungslosigkeit zurückzuwerfen. Sein Sieg wird allerdings von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, denn das rechte Bündnis ist brüchig. Einen Monat vor dem Wahltermin haben sich die Oppositionspolitiker William Ojeda und David de Lima, früherer Gouverneur des Bundesstaates Anzoátegui, als erste aus dem Bündnis verabschiedet und öffentlich dazu aufgerufen, Capriles nicht zu wählen. Die beiden fühlten sich von dem Spitzenkandidaten getäuscht, nachdem ein Geheimpapier mit dem tatsächlichen Programm nach einem Wahlsieg der MUD-Politiker bekannt geworden war. Dessen Umsetzung, warnt de Lima, würde das Land »in einen Bürgerkrieg« führen. Das von Capriles mit unterzeichnete Programm sieht unter anderem die Privatisierung der staatlichen Gesundheitsvorsorge und der Wasserversorgung, die Erhöhung der Tarife für Energie und öffentlichen Nahverkehr, die Abschaffung der staatlichen Lebensmittelmärkte mit garantierten niedrigen Preisen, Verschlechterungen bei der Rente und den Ausstieg aus weiteren sozialen Projekten vor. Eine neoliberale Agenda, die ganz auf der Linie der deutschen Regierungsparteien liegt. Ihr aus Steuergeldern finanzierter Einsatz für die Befreiung Venezuelas vom Sozialismus ist deshalb verständlich. Allerdings könnte der Schuß nach hinten losgehen. Sollte das venezolanische Volk am 7. Oktober erneut demonstrieren, daß eine Welt jenseits kapitalistischer Ausbeutung möglich ist, wäre das auch eine Niederlage für die Bundesregierung und ihr neoliberales Modell für Europa und die Welt.
Erschienen in Ossietzky 20/2012 |
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