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Auch mit Superlativen kennt Google sich aus, gibt Auskunft über die lustigsten Sketche, die beliebtesten Filme, die tollkühnsten Abenteuer, die schwersten Naturkatastrophen, die seltensten Krankheiten, die schlimmsten Albträume, die wichtigsten Politiker Deutschlands, die dümmsten, peinlichsten und sinnlosesten Kommentare von Politikern, die größten sozialpolitischen Leistungen der Bundesrepublik, die reichsten Deutschen, die ärmsten Deutschen ... Ein wenig zu kurz kommt bei Fragen nach Superlativen die DDR. Das verwundert nicht, mußte sie doch schon zu Lebzeiten hart um internationale Anerkennung ringen. Heutzutage wird sie von den »Siegern der Geschichte« verunglimpft und geschmäht. Doch die Suche bei Google nach der schlimmsten Verunglimpfung des ostdeutschen Staates bleibt ebenso ergebnislos wie die nach der ulkigsten Schmähung der DDR. Gerade letztere Lücke ist eine so bedauerliche, daß ich mich zu dem Versuch veranlaßt sehe, sie zu schließen und wenigstens die lächerlichste, also ulkigste Diffamierung in Erinnerung zu rufen. Aber um es vorwegzunehmen: Mein Versuch scheiterte, denn das Angebot ist so groß, daß ich mich nicht entscheiden konnte. Sollte ich etwa solche Hirngespinste wie die »Einweisung von Regimegegnern in die Psychiatrie«, die »radiologische krebsverursachende Bestrahlung von politischen Häftlingen«, die »in Wassereimer geworfenen toten Babies«, den »fürstlichen Luxus der SED-Politbüro-Mitglieder in Wandlitz«, die »Horrorklinik Charité, die mit illegalen Mitteln Ersatzorgane für die alten Herren der SED-Spitze besorgte«, in die Auswahl einbeziehen? Sie sind längst widerlegt und mittlerweile in der Regel vergessen. Was also tun, um die Lücke zu füllen? Als Ausweg bleibt nur, ähnlich wie beim Song Contest oder bei der Vergabe von Film-, Fernseh- Literatur- und anderen Auszeichnungen, Kandidaten für den Ehrenpreis zu benennen und die Entscheidung anderen zu überlassen. Sei’s denn: Kandidat Nr. 1: Arnulf Baring. Laut Bild ist der Historiker und Publizist »Deutschlands klügster Kopf«. Den Beweis dafür hatte er spätestens nach dem Sieg der friedlichen Freiheitsrevolution mit dem Werk »Deutschland, was nun?« geliefert. Darin untersuchte er das DDR-Bildungssystem und kam zu dem Ergebnis: »Die Universitäten waren weitgehend keine Universitäten, die Schulen keine Schulen ... sie müssen völlig von vorn anfangen.« Und er schlußfolgerte: »Die Leute drüben sind verzwergt ... und verhunzt ... Ob sich heute einer dort Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Psychologe, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal: Sein Wissen ist auf weite Strecken unbrauchbar.« Kandidat Nr. 2: Johannes Niermann. Auch der Kölner Pädagogik-Professor ist ein profunder Kenner des DDR-Bildungssystems. Im November 1990 rechnete er als geladener Sachverständiger auf einem Hearing des Bundestagsausschusses für Frauen und Jugend mit der Schule und der Erziehung des gerade einverleibten ostdeutschen Staates ab und erklärte: »Die Schulen waren bereits seit Mitte der 40er Jahre die Zuchtanstalten der DDR. Unter der zynischen Parole der ›allseitig entwickelten Persönlichkeit‹ wurde hier jedem Schüler das individuelle Rückgrat gebrochen. Es verließ keiner die Schule, der sich nicht den individual einengenden Normen und der repressiven Manipulation unterworfen hatte ... Die Schulen waren die Ausleseanstalten für die Partei, die Ideologie und den Machtapparat zur Unterdrückung und Verdummung der Massen.« Die Enquete-Kommission »Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland« übernahm diese Einschätzung in wesentlichen Punkten. Sie untersuchte »die Erziehungsdiktatur der SED«, um zu konstatieren, daß das »Grundprinzip der Bildungspolitik in der DDR« der Verszeile von Reiner Kunze zu entnehmen sei: »Unwissende – damit ihr unwissend bleibt, werden wir Euch schulen.« Kandidat Nr. 3: Hubertus Knabe. Der Leiter der Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen und Träger des Bundesverdienstkreuzes setzte sich im Ausschuß für Kultur und Medien des Bundestages energisch dafür ein, alles zu tun, um über die »beiden Diktaturen« in Deutschland aufzuklären und zwar so: »Man kann die Opfer nicht gegeneinander aufrechnen, sondern man muß sie selbstverständlich addieren. Daraus ergibt sich das ganze Grauen dieser Zeit.« Bekanntlich fielen der Schreckensherrschaft des Hitlerfaschismus durch Massenrepressalien, Eroberungskrieg und industrielle Menschenvernichtung 60 Millionen Frauen, Männer und Kinder zum Opfer. Kandidat Nr. 4: Rainer Eppelmann. Der Leiter der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ist kraft seiner theologischen Ausbildung und seines jetzigen Amtes für alle Bereiche des untergegangenen Staates ein exzellenter Experte, der wie kein anderer weiß, daß die DDR »ein in vierzig Jahren Planwirtschaft bis in seine Grundstrukturen zerstörtes ... Land« gewesen ist, und folglich mit Fug und Recht vor dem Plenum des Bundestages zur vaterländischen Aktion aufrufen konnte: »So wie wir nach dem Ende des von der ersten deutschen Diktatur ausgelösten Krieges unser zerstörtes Land wieder aufbauen mußten, so müssen wir heute nach dem Ende der zweiten deutschen Diktatur ... die neuen Länder gemeinsam wieder aufbauen.« Eppelmann wußte, wovon er sprach, schließlich hatte kein Geringerer als der langjährige Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Otto Graf Lambsdorff lange vor ihm festgestellt, daß 40 Jahre Mißwirtschaft der SED dem Osten Deutschlands mehr Schaden zugefügt hätten als der Zweite Weltkrieg. Kandidat Nr. 5: Richard Schröder. Der Lehrstuhlinhaber für Theologie und Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität, unter anderem auch Mitglied der Grundwertekommission der SPD, kennt sich in historischen Fragen, vor allem wenn sie Ostdeutschland betreffen, wie kein Zweiter aus. Und so stellte er überaus originell fest: »In der DDR war auch die DDR-Geschichte weithin geheim ... Erst nach dem Ende der DDR erfuhren viele DDR-Bürger: Die selbsterlebte DDR war nicht die ganze DDR.« Kandidatin Nr. 6: Freya Klier. Das Gründungsmitglied des »Vereins zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur« könnte mit vielerlei Erklärungen aufwarten. Hier soll sie jedoch nur mit folgender kleinen, aber phänomenalen Aussage in den Wettbewerb gehen: »Natürlich ist ein Kindergarten im Prinzip etwas Positives. Nicht jedoch, wenn – wie es in der DDR Norm und Richtschnur war – Mütter mehr oder weniger gezwungen waren, ihre Kinder in morgendlicher Hast dort abzuwerfen, um als unverzichtbare Arbeitskraft betriebsbereit zu sein.« Kandidatin Nr. 7: Angela Merkel. Neben vielen anderen herausragenden Eigenschaften ist die Bundeskanzlerin eine vorzügliche Kennerin des »DDR-Alltags«, schließlich war sie an der Akademie der Wissenschaften FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda und konnte so später aus eigenem – nicht näher konkretisiertem – Erleben feststellen: »Bevormundung, Unterdrückung von Widerspruch, Überwachung und Bespitzelung waren ständig anwesende Begleiter des täglichen Lebens.« Auch der Moderator des ZDF-Kulturmagazins »aspekte«, Wolfgang Herles, teilt offenbar diese Einschätzung. In der Sendung »Hart aber fair« wandte er sich gegen eine angebliche Glorifizierung des untergegangenen ostdeutschen Staates, denn: »Es gab keinen Rechtsstaat; es gab Stasi, und es gab Unrecht von vorne bis hinten.« Und bei Günther Jauch setzte er noch eins drauf und bezeichnete die DDR als »Scheißland«. Kann man die DDR kürzer als der fein- und kunstsinnige Dr. phil. Herles charakterisieren? Schwerlich. So erlaube ich mir, ihn in den Kandidatenstand für den Ehrenpreis »Ulkigste Schmähung der DDR« zu erheben und ihn nach der Kanzlerin auf Platz 8 zur Auswahl anzubieten. Mir selbst liegt es fern, die Bundesrepublik Deutschland, das Land, in dem Leute wie Baring, Knabe, Herles und andere DDR-Experten vor 22 Jahren zu meinen Landsleuten gemacht wurden, als »Scheißland« zu bezeichnen. Es ist ein Rechtsland »von vorne bis hinten«.
Erschienen in Ossietzky 20/2012 |
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