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Der Glaube an Reformierbarkeit im Zuge einer friedlichen und umfassenden »Energiewende« ist ein Aberglaube. Der Reaktor-GAU in Fukushima hat es der Berliner Politik opportun erscheinen lassen, den Atomausstieg zu beschließen. Seither wird wieder von einer Energiewende geredet, zunehmend mit Akzent auf den ständig steigenden Preisen. Eigentumsverhältnisse auf dem Energiesektor, Produktionsformen und Vertriebswege oder gar die Umgestaltung der rückständig-zentralistischen Strukturen sind tabu. Die Konzerne suchen lediglich neue Marktsegmente und kassieren die mit staatlicher Einwilligung dem Verbraucher abverlangten Umlagen und dazu weitere Fördergelder aus Steuermitteln. Der Bürger zahlt. Dezentrale, intelligente Energieversorgung bei restlosem Verzicht auf Atomkraftwerke bleibt Thema von Sonntagsreden, weitab von der politischen Agenda. Vattenfall – und darum ging’s in der AFP-Meldung – bietet Privatkunden mit Immobilienbesitz seit Jahresmitte kleine gasbetriebene Maschinen als Heizung an, die nach dem Prinzip Kraft-Wärme-Kopplung arbeiten und Strom-Überkapazitäten erzeugen. Der Betreiber versorgt sich selbst mit Wärme und Strom. Überschüssigen Strom nimmt Vattenfall gegen günstiges Entgelt zurück und speist ihn gewinnbringend in sein sonstiges Versorgungsnetz ein. Eine brillante Strategie mit Mehrfachgewinn: Vattenfall profitiert beim Verkauf der Kleinstkraftwerke, beim Gasverkauf zu deren Befeuerung und bei der Wiederverwertung der privat erzeugten Energieüberschüsse. Und das Ganze gibt der Konzern noch als ökologischen Fortschritt aus. AFP-Text: »... Die Anlagen sollen dabei so intelligent zusammengeschaltet werden, daß sie Schwankungen bei der Produktion von Ökostrom ausgleichen können. Vattenfall spricht vom ›virtuellen Kraftwerk‹ ... Bis Ende 2013 sollte eine Gesamtkapazität von 200 Megawatt zusammengeschaltet und von einer Zentrale in Berlin aus gesteuert werden können. Das entspricht der Leistung eines mittelgroßen klassischen Gaskraftwerks ...« Wie weit Vattenfalls Blütenträume gediehen sind, weiß ich nicht. Der Konzern liefert immerhin, nötig wär’s ja nicht gewesen, einen weiteren Beweis, daß auch bei der sogenannten Energiewende unter kapitalistischer Kondition sozial und ökologisch alles falsch läuft. Sein Projekt senkt weder den Energieverbrauch noch die Energiepreise, da seien Vattenfalls Hauptaktionäre vor. Es ermöglicht aber jenen, die ohnehin schon hochwertiges Eigentum haben, Kostenvorteile und Zusatzeinnahmen. Paßt doch. Wie alles andere bei dieser »Wende«. Beispiel: Die Einkaufspreise an der Erfurter Strombörse fallen kontinuierlich, der Preisvergleich zwischen Juli 2011 und Juli 2012 ergibt ein Minus von 10,9 Prozent. Die Kilowattstunde kostete in Erfurt im Juli dieses Jahres 4,1 Cent, teilte das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) in Münster mit. Auch der etwas höhere Preis für Spitzenlaststrom sei deutlich gesunken. Zu laststarken Zeiten mußten im Juli 2012 nur noch 5,1 Cent und damit zehn Prozent weniger als im Vorjahresmonat (2011: 5,67 Cent) gezahlt werden. Die Verbraucher jedoch mußten saftige Strompreissteigerungen schlucken. Man vergleiche die eben genannten Einkaufspreise der Versorger mit denen, die sie den Privathaushalten abverlangen. Selbst bei den industriellen Großkunden zocken die Energieversorger – Arbeitsplatzgefährdung hin oder her – noch kräftig ab, trotz der beachtlichen Unterschiede von mehr als 40 Prozent zwischen den Privat- und den Großkundentarifen. Das Streben der Energiewirtschaft nach Profitmaximierung ist grenzenlos – wegen fehlender staatlicher Steuerungsinstrumente (die längst hätten verfügt werden können, wie das Beispiel des straff regulierten Telekommunikationsmarktes beweist), dank der Ohnmacht der Kartellbehörde sowie des Versagens der Bundesnetzagentur. Es variieren lediglich die Scheinargumente, mit denen die »Großen Vier« ihre Preissteigerungen begründen. Eine ihrer Formeln lautet: Der Atomausstieg treibe den Anteil der umlagepflichtigen erneuerbaren Energien im Stromangebot hoch. Eine weitere: Es falle wegen Zuschaltung neuer Windparks vermehrt teurer Ökostrom an. Und schließlich: Der von Berlin durchgesetzte und geförderte Umstieg auf Ökostrom erfordere Modernisierung und Ausbau des Netzes, vor allem müßten neue Nord-Süd-Trassen gebaut werden, um die gewaltigen Strommengen aus den Windparks in Nordsee und Ostsee in den verbrauchsstärkeren Süden der Republik zu schaffen. Richtig ist: Die vorgesehenen neuen Nord-Süd-Hochspannungsleitungen werden teuer. Unter anderem wegen erheblicher Verzögerungen beim Bau infolge von Bürgerprotesten. Erdkabel würden auf mehr Zustimmung stoßen, wären aber wesentlich teurer als Überlandleitungen. Daß die Debatte über neue landesquerende Trassen bei einer dezentralen Stromproduktion und -verteilung überflüssig wäre, bleibt weitgehend unbedacht und außerhalb allen Streits über die Stromkosten. Auch die Öko-Stromwirtschaft setzt sich für Preiserhöhungen ein. Ihre Argumentation ist besonders skurril. Wörtlich heißt es auf der Internet-Seite des IWR: »Der Rückgang der Strompreise im Jahresverlauf 2012 (Januar – Juli) um bisher fast ein Cent gegenüber 2011 hört sich vergleichsweise wenig an. Bei 100 Milliarden Kilowattstunden EEG-Strom, die 2012 vermarktet werden, führt ein anhaltender Preis-Senkungseffekt auf diesem Niveau aber zu rund einer Milliarde Euro weniger Einnahmen auf dem EEG-Umlagekonto als geplant. Dieser Fehlbetrag wird über eine höhere EEG-Umlage von den Stromverbrauchern ausgeglichen werden müssen.« Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber soll eine höhere Umlage verfügen, damit die Ökostrom-Anbieter weiter uneingeschränkt Kasse machen können. Das IWR argumentiert ganz wie die Großkonzerne. Nach marktwirtschaftlich-kapitalistischem Credo beeinflußt das Verhältnis von Angebot und Nachfrage den Preis. Folglich senkt das zunehmende Angebot an erneuerbarer Energie die Stromeinkaufspreise, trotz des kostenintensiven Atomausstiegs, den die Stromwirtschaft vorzufinanzieren hat (sie wird sich schon schadlos halten, keine Sorge). Vom Preisverfall hat jedoch der Verbraucher nichts, denn die Stromversorger geben die zunehmenden Einkaufsvorteile nicht an ihre Kundschaft weiter. Andererseits müssen die Versorger für die vermehrte Netzeinspeisung von Ökostrom eine höhere EEG-Umlage bezahlen: 3,592 Cent pro Kilowattstunde bekommen die Netzbetreiber in diesem Jahr. Diese Kostensteigerung erscheint selbstverständlich sofort auf unserer häuslichen Stromrechnung. Kapitalistisches Wirtschaften wie im Bilderbuch: Die drastisch fallenden Einkaufspreise vergrößern die Gewinnspanne der Versorger, und die dabei anfallende profitschmälernde Ökostrom-Umlage dient ihnen als Argument für zusätzlichen und überproportionalen Preisauftrieb zur fortgesetzten Gewinnsteigerung. Ein Ende der Strompreistreiberei wäre nur in Sicht, wenn es gelänge, die vier Monopolisten zu zerschlagen, innerhalb kleinerer Strukturen marktwirtschaftliche Konkurrenz zu initiieren und eine kompetente Regulierungsbehörde zu installieren. Wirklich angemessen wäre jedoch die komplette Enteignung und Vergesellschaftung der Energieversorgung. Den Produktions-, Verteilungs- und Versorgungsauftrag an kommunale, regionale beziehungsweise genossenschaftliche Anbieter zu vergeben. Weg von der Produktion kommerzieller Gigawatt-Monopole und hin zum Verbund vieler kleiner Blockheizkraftwerke und Non-Profit-Betreiber. Mehr ökologischer und sozialer Gewinn ist kaum vorstellbar – die wirkliche Energiewende. Der partielle und selbst der gänzliche Verzicht auf Atomstrom reicht nicht, weil er die Makrostruktur der Energiewirtschaft unangetastet läßt. Wir finanzieren weiterhin nur die Gewinnspirale von Monopolisten. Heilung ohne Revolution gibt es eben nicht.
Erschienen in Ossietzky 19/2012 |
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