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In der Bundesrepublik solle eine »Parteienallianz von SPD, CDU und Grünen« die Initiative hierfür übernehmen und die Bevölkerungsmehrheit »von den Vorzügen einer europäischen Politischen Union überzeugen«. So sei, auf »transnationaler Ebene«, die »verlorene Handlungsfähigkeit der Politik gegenüber den Imperativen des Marktes wiederzugewinnen«. Sind es die falschen philosophischen Maximen, die europäische Gesellschaften in die wirtschaftliche Krise und in soziale Verelendung geführt haben und weiter treiben? Gesetzt von einem Wesen mit dem Namen »Markt«? Und hat die »Politik« dabei hilflos zugeschaut? Ein »vertieftes Europa«, meinen wir, würde alles andere als einen Gewinn an Demokratie bringen, wenn verschwiegen bleibt: Es waren und sind Klasseninteressen und deren Exekutoren, die im europäischen Territorium für die »Krise« sorgten und den Abbau demokratischer und sozialer Rechte zielstrebig verursachen. Und auch die Führer der Parteien Ihrer »Allianz« haben dafür Dienste geleistet, nicht etwa aus Versehen. Holger Steltzner, FAZ-Herausgeber. – Ihnen kommt die Euro-Politik riskant vor, eine »Schulden-Inflations-Transferunion« drohe. Damit das Publikum Ihrer Zeitung nicht erst lange überlegen muß, was die Gründe und wer die Verursacher für den befürchteten Schlamassel sind, geben Sie dem Unheil einen Namen: »Euro-Sozialismus«. Wenn alles schief geht, kennen wir nun die am Unglück Schuldigen: Marx, Engels und Co. waren es. Angela Merkel, umworben. – Griechenlands Premier bat um Gnade bei Ihnen, »Luft zum Atmen« erbat er, und Sie haben ihm »ein bißchen Hoffnung« geschenkt. Aber wozu braucht Antonis Samaras den Sauerstoff und wie lange? Hängt er denn so an seinem Amt? Oder an Griechenland? Die Vereinigten Staaten sind ihm doch vertraut, und in der Finanzwelt kennt er sich aus, da wird sich für einen Harvard-Absolventen schon ein Job finden lassen. Haben noch nicht alle seiner griechischen hochvermögenden Freunde ihr Schäfchen ins trockene Ausland gebracht? Samaras hat Ihnen versprochen, er werde dafür sorgen, daß die Luftzufuhr von den weniger begüterten Hellenen nicht vergeudet werde, die müssen sich daran gewöhnen, daß Sauerstoff knapp ist. Außerdem hat er darauf verwiesen, daß seine Privatisierung des öffentlichen griechischen Besitzes noch nicht abgeschlossen ist, da sei noch einiges zu arrangieren. Vielleicht gibt es auch bei deutschen Unternehmen Interesse an dem einen oder anderen Filetstück dort. Und braucht möglicherweise der griechische Staat weitere deutsche Militärprodukte? Auch für den Einsatz im Inneren? Das alles ist zu bedenken, bevor Griechenland in die Drachme entlassen wird. Rolf Schneider, Celan-Experte. – Sie sind ein großer Romancier, aber bei Springer ist ihr Talent mißgeleitet. In der »Berliner Anthologie« der Berliner Morgenpost schrieben Sie über Paul Celans Gedicht »Ossietzkystraße 1«: »Carl von Ossietzky, Herausgeber der linkspazifistischen Zeitschrift Die Weltbühne, wurde 1932 zu politischer Haft verurteilt ... Die Nazis brachten Ossietzky in ein Konzentrationslager. Die Oranienstraße aus dem Gedicht Paul Celans (1920–1970) liegt in Kreuzberg. Aber die Adresse Oranienstraße Nr. 1 gibt es nicht. Vielleicht ist dies die Erklärung: Das Konzentrationslager, in dem Ossietzky saß, befand sich in Oranienburg.« Monika Köhler hat bereits (s. Ossietzky 15/16-12) darauf hingewiesen: Ossietzky saß nie im KZ Oranienburg, er wurde im KZ Esterwegen gequält. Und die in Berlin nicht existierende Hausnummer Oranienstraße 1 gibt es – in Frankfurt am Main. Ihr fehlte nur der letzte Beweis, daß Paul Celan tatsächlich in dem Vorstadtgasthof in der Frankfurter Oranienstraße 1 übernachtete. Den hat jetzt ausgerechnet die Germanistin Christine Waldschmidt gefunden, die in ihrer Dissertation (»Dunkles zu sagen. Deutschsprachige hermetische Lyrik im 20. Jahrhundert«) über das Celan-Gedicht urteilte: »Dieses Lesen aber generiert keinen Sinn, führt es doch immer wieder nur vor die Sinnwidrigkeit.« Sie liefert nun den Schlüssel zu Celans »hermetischem« Gedicht: Ein Münchner Antiquariat offeriert eine Celan-Briefkarte vom 10. Oktober 1967 an eine Würzburger Buchhändlerin, mit der Mitteilung, er sei bei der Buchmesse »im Römerhof` Frankfurt – Heddernheim, Oranienstr. 1 oder bei Suhrkamp« zu erreichen. Diese kurze Briefkarte kostet heute mit 20-Pfennig-Marke 28.000 Euro. Für ein Zweihundertstel dieser Summe hätte Suhrkamp damals ein anständiges Hotel besorgen können.
Erschienen in Ossietzky 18/2012 |
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