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Und mein Lieblingsausländer würde auch weder Ehefrau noch Ex-Geliebte des bayerischen Ministerpräsidenten nehmen, selbst wenn man ihm zwei Ziegen dazu gäbe. Von allen globalen Restaurants mit Migrationshintergrund ist mir mein Hamburger Lieblingsausländer am allerliebsten. Auch, wenn manchmal durchschimmert, daß er Probleme in Deutschland hat: Jede und jeder will in einem ethnischen Restaurant speisen. Die deutsche Kundschaft ist stolz, wenn sie vom Wirt mit Namen angesprochen und mit Küßchen links und Küßchen rechts begrüßt wird. Aber sein kleiner Ali soll doch lieber auf eine andere Schule gehen als unser einheimischer kleiner Friedrich. Das findet er grotesk. Trotzdem – Unterhaltungen mit meinem Lieblingsausländer sind immer anregend. Für wesentliche Merkmale der deutschen Kultur hält er Schweinefleisch, Glasbausteine, Gartenzwerge und Schäferhunde. Der goldene deutsche Humor gehört auch dazu, räumt er ein, insbesondere alte Leute bei Glatteis und Bungeejumping am Drahtseil. Weitere wichtige deutsche Kulturmerkmale sind für ihn: Autobahn und Jägerzaun. Fußball gehört für meinen Lieblingsausländer gleichfalls zur Kultur, aber nur, wenn Özil die Nationalhymne mitsingt. Überhaupt – die deutsche Musik: die Hitparade der Volksmusik, die große Gala der Volksmusik, das Beste aus der Hitparade der Volksmusik, Musikantenscheune, Musikantenstadl, Musikantenschänke, Musikantenknochen, Rheumadeckenstadl und Furunkel, so schön wie der Norden. Auf die Frage »Wenn nun jemand aus deiner früheren Heimat nach Deutschland zuwandern will, was rätst du ihm? Wie kann er am besten unliebsames Aufsehen vermeiden?« antwortet mein Lieblingsausländer: »Ich sage: Hau bloß ab!« »O. k.«, sage ich, »das sagst du jemandem, mit dem du gut befreundet bist. Aber was sagst du einem eher flüchtigen Bekannten?« »Ich sage: Lendenschurz und Pfeil und Bogen an der deutschen Grenze abgeben, im Gottesdienst weder saufen noch kiffen, Suppe nicht mit Messer und Gabel essen und nicht bei Rot rübergehen.« Gelegentlich bringt mich mein Lieblingsausländer auch in Verlegenheit – so, als er fragte: »Ich habe einen Kampfhund, der fällt grundsätzlich nur Nazis an. Muß ich den auch melden? Ich meine, so ein braves Tier braucht doch keinen Maulkorb, oder?« Ich habe ihm klargemacht, daß kultivierte Menschen nicht zur Selbstjustiz greifen, und ich wies ihn darauf hin, daß die Nazis ja schon seit einiger Zeit verboten werden sollen. »Wenn das eines Tages Realität wird, bringt das für euch bestimmt eine gewisse Erleichterung im täglichen Leben«, sagte ich. »Ich weiß schon, warum ich in einer deutschen Kolonie kein Neger sein möchte«, seufzte er. Und dann wies er mich darauf hin, daß, als in Kleinasien, in Milet, Ephesos und Antiochia, wichtige Säulen der europäischen Kultur errichtet wurden, die filzigen Vorfahren deutscher Innenminister noch mehrere Jahrhunderte lang auf den Bäumen hockten oder in den Wäldern den Bärenkot nach etwas Eßbarem durchstöberten. Der Schlamassel mit den Ausländern begann ja mit dem Brand von Troja. Die Griechen, schon damals, hatten getrickst und Feuer gelegt. Aus dem brennenden Troja floh Aeneas mit seinem Vater Anchises auf dem Buckel und einigen anderen Flüchtlingen im Schlepptau, um in Italien einen Neuanfang in Sicherheit zu starten. Damals war Europa ein Land der Hoffnung, ein Asyl für besiegte und entwurzelte Menschen. Bei Vergil kann man die Definition für europäische Gastfreundschaft nachlesen. Und schon damals war klar: Jede menschliche und jede tierische Gesellschaft ist immer auch eine Speisegesellschaft (concçnâtiô). Deswegen – ich sachma so: Beim Essen hört mein Rassismus schlagartig auf. Das hängt damit zusammen, daß es, obwohl sich die Zucchini in den vergangenen Jahren auf deutschen Komposthaufen eindrucksvoll durchgesetzt haben, immer noch keinen deutschen Vorspeisenteller gibt. Aber bei meinem Hamburger Lieblingsausländer gibt‘s alles: getrocknete Ravioli aus dem eigenen Kräuterbeet, geeistes Hirse-Soufflé, Zabaione von Gyros in Worcestersauce, Kebab im Mangojus, Paella in Fladenbrot, schönen Schlag Crème Fraiche drüber, dazu Souflaki vom Faß oder einen leichten Risotto aus dem Barrique. Mein Hamburger Lieblingsausländer macht das hervorragend – er war früher Eisenflechter in Prosecco oder Zaziki oder wo, heute beschäftigt er zwei Köche, Inder, glaube ich, Inder in der Küche, aus Ghana kommen die, also echte Makaken, total saubere Leute, picobello, die backen ein Smörrebröd vom feinsten, ganz kroß und mit ordentlich Curry dran. Sieht aus wie Hundescheiße, schmeckt wie Hundescheiße – ist Hundescheiße. Nein, das war natürlich Spaß, es ist Chili con carne, nicht con cane. Kleiner Scherz für Leute mit großem Latinum. Sehr saftig und aromatisch auch das frittierte japanische Thunfischsteak im Zimtschaum. Wenn man das japanische Thunfischsteak vor dem Verzehr ans Ohr hält, kann man Radio Tokio hören. Als Vorspeise nehme ich immer ein Kidney Pie an Auberginenparfait, das ist so eine Art Nierengrütze, das weiß der Kellner schon, der ist ein echter Scampi von den Tamilen, und dann bringt er mir meine Dosenweißwurst: von Bassermann die echte französische Dosenweißwurst, superb geknofelt, vor allem mit der Grünkohlfüllung! Und dann der Döner, Döner al Pesto in der Folie, das sollten Sie mal versuchen. Und jeden Abend wird da Moussaka getanzt oder Cevapcici, manche sagen auch Tai-Chi dazu oder Feng-Shui, das weiß ich nicht so genau, also da fühlt man sich wie früher in Dubrovnik, als die Eingeborenen dort noch auf ihren Sushis spielten, einmalig, so unheimlich klagende Melodien, wegen der Armut im Land. Kuskus esse ich auch gern: Geröstete Hammelhoden! Kriegt man leider nicht so oft, aber bei meinem Hamburger Lieblingsausländer: sensationell nussig! Jedenfalls wesentlich nussiger als bei jedem Chinesen. Und wenn der Lieblingsausländer chinesisch kocht, schlägst du lang hin. Langhin ist ja auch ein schöner Name für ein Chinarestaurant: Pekingente im Bierteig an Vanillekruste, Wahnsinn. Gedünstete Singvögel an Balsei kriegt man übrigens nicht, Taliban im Himbeerfett, das macht er nicht, und Igel aus dem Wok auch nicht – so weit sind wir Deutschen noch nicht mit unserer Eßkultur, sagt er. Aber die Deutschen machen Fortschritte, ich persönlich bin ein entschiedener Verfechter der multikulinarischen Gesellschaft, mancherorts nennt man mich schon Papa Con Mojo. Manchmal, also eigentlich nur, wenn mein Lieblingsausländer seinen Ruhetag hat, esse ich auch zu Hause. Aber da bestehe ich dann darauf, da muß immer alles mit Käse überbacken sein. Gorgonzola übern Broccoli, Scheibletten übern Blumenkohl, Tilsiter übern Edamer. Überall muß so ein richtiger Käsebatzen drüber. Das entspricht irgendwie unserem Volkscharakter – ich vermute, jeder Deutsche ist von Haus aus eine personifizierte Lasagne. All dieses läßt die leitende Angestellte der Bundesrepublik Deutschland, die energisch dafür sorgt, daß sich der Duft ihrer selbstgedrehten Kohlrouladen über ganz Europa verbreitet, außer Acht, wenn sie behauptet: »Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert.« Was da genau gescheitert ist, hat die Kanzlerin nicht mitgeteilt – dennoch fand sie starken Beifall. Vor allem auch, als sie nicht das Essen, sondern »christlich-jüdische Werte als prägende Kraft unserer Kultur« bezeichnete. Die großen deutsch-europäischen Lehrer Marx, Nietzsche, Freud hätten es sich allerdings entschieden verbeten, sie als christlich-jüdisch geprägt zu bezeichnen, noch dazu in dieser Reihenfolge. Keine unserer klassischen Kulturgrößen hatte irgendetwas mit dem Christentum am Hut, denn Todesangst galt denen als Privatsache. Man zeige mir unter all den Geistesriesen der Aufklärung nur drei bekennende Christen, und ich gehe sofort zum Abendmahl. »Tu das nicht«, sagt mein Lieblingsausländer, »diese trostlose Tante weiß doch gar nicht, was genau Kultur ist. Ich denke, Kultur ist, was man in einigen tausend Jahren bei Ausgrabungen von uns findet: Joghurtbecher, Konservendosen und eine Plastik-Knoblauchpresse.«
Erschienen in Ossietzky 18/2012 |
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