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Ossietzky ab Heft 19/10). »Keep calm and carry on« – immer schön die Ruhe bewahren und weitermachen – scheint die angestammte britische Durchhalteparole auch in diesem von Höhe- und Tiefpunkten gleichermaßen geprägten Jahr 2012 zu lauten. Jedenfalls in der Metropole London, wo wohl auch deshalb der befürchtete Verkehrsinfarkt während der Olympischen Spiele ausblieb. Selbst der unverhofft große Medaillensegen für die britischen Sportler und die durch ihn bewirkte überschwängliche Feierlaune der Zuschauer konnte der Nahverkehr gut abgefangen; es fuhren viel mehr Züge als sonst. Viele der 70.000 Freiwilligen, die den Besuchern der Wettkämpfe helfend und wegweisend zur Seite standen, lösten Probleme mit Geduld und Witz und wurden dafür zu Recht gelobt. Da die Regierung vor dem Beginn der Spiele die Londoner unmißverständlich dazu aufgefordert hatte, die Stadt möglichst zu verlassen und den Personennahverkehr zu meiden – »Get ahead of the Games«, krähte die Stimme von Bürgermeister Boris Johnson aus den Lautsprechern der U-Bahn-Stationen –, waren in der Tat viele Einheimische den Spielen insoweit voraus, als sie Mitte Juli längst ihre Beine in die Hand genommen hatten, um die im Sommer ohnehin üblichen Ferienziele weitab der Themse aufzusuchen. Die Olympia-Touristen wiederum tummelten sich mit Vorliebe im East End rund um den Olympia-Park, also im Osten der Metropole und nicht im eigentlich magnetisch anziehenden West End mit den vielen ersten Shopping-Adressen, Restaurants, Theatern, Museen und Sehenswürdigkeiten aller Art. Die Wucherpreise der Hotels zügelten zudem den üblichen sommerlichen Ansturm von Städtereisenden. Die Händler und Dienstleister beklagten denn auch verschnupft, die von allen Medien wochenlang verbreiteten Warnungen vor einem Verkehrschaos seien Schuld daran, daß das West End Anfang August wie ein »ghost town« wirkte. Umsatzeinbußen verzeichneten sie allemal, und selbst die Obdachlosen im Mayfair genannten Viertel zwischen Hyde Park, Oxford Street, Regent Street und Piccadilly konnten es gar nicht mehr abwarten, bis »die verdammten Olympischen Spiele zu Ende sind«, denn das ihnen gewöhnlich reichlich zukommende Kleingeld der Passanten tröpfelte nur noch spärlich. Auch die von bestens informierten und mit jedem Winkel vertrauten Obdachlosen angebotenen »Unseen Tours« hatten mit Ausnahme der Tour durch Brick Lane im East End weniger Zulauf. Das war nun wirklich beklagenswert, denn wer erfahren möchte, was sich zum Beispiel hinter bestimmten Fassaden tatsächlich zuträgt, kommt bei den fünf Touren (für acht Pfund, also knapp zehn Euro) garantiert voll auf die menschlichen Überlebenszwecken dienenden Kosten. Bei der Tour durch Mayfair etwa am Hotel Dorchester vorbei – wo die Übernachtung bis zu 10.000 Pfund teuer ist – zur Mount Street mit den exklusiven Geschäften und entsprechend zahlungskräftigem Publikum bis hin zum Mark’s Club in der Charles Street, den nur erlauchte Mitglieder vom Schlage einer Margaret Thatcher betreten dürfen. Dort, so erklärt ein Obdachloser, der bei Mark’s vor Jahren in der Küche gearbeitet hat, gibt es mit den besten Service der Stadt; nach dem Lunch können die Mitglieder in Ruhe Zeitung lesen oder eine Zigarre rauchen und selbstverständlich profitable Beziehungen pflegen. Wie die im Frühjahr publik gewordene Spendenaffäre um Premierminister Cameron erhellt, dienen auch Privatwohnungen zur Anbahnung einträglicher Beziehungen. Bei Empfängen, die der Tory mit seiner Frau Samantha in der Downing Street 11 gab, sollen geheime politische Einflußmöglichkeiten gegen großzügige Spenden für die Parteikasse verhökert worden sein. Tory-Schatzmeister Peter Cruddas jedenfalls mußte umgehend zurücktreten, weil er einigen Lobbyisten nachweislich großzügige politische Mitgestaltungsmöglichkeiten gegen entsprechend großzügige Partei-»Spenden« zugesagt hatte. Zurück zu den »Unseen Tours«. Hier wird zuweilen auch aus dem Nähkästchen geplaudert und etwa berichtet, warum die Tausenden von Obdachlosen in London trotz Wind und Wetter, Verkehrslärm, aufflackernder Scheinwerfer und so weiter in Hauseingängen und andernorts überhaupt einschlafen können. Ganz einfach: Ohne feste Wohnung ist man den ganzen Tag auf den Beinen und abends so todmüde, daß selbst starrende oder grölende Passanten das Einschlafen nicht herauszögern. Von Übel sind nur die Leute der Wachdienste, die kennen kein Pardon. »Keep calm and carry on« hieß es nicht zuletzt bei den (weltweit vom Fernsehen übertragenen) vielfältigen Feiern des Diamantenen Jubiläums von Elizabeth II. Auch bei diesen volksbelustigenden Veranstaltungen gab es trotz großer Menschenmassen und Sicherheitsmaßnahmen keinen Grund, die Nerven zu verlieren. Die in die Fußstapfen ihrer Vorfahrin Victoria getretene Monarchin ließ sich übrigens auch gegenüber ihrer eigenen royalen Sonderklasse nicht lumpen. Sie stellte anläßlich des Jubiläums bei der künftigen Thronfolge Tochter und Sohn gleich. Fortan bekommt also die Krone, wer zuerst kommt. Die Herzogin von Cambridge, Catherine, dürfte die erste sein, auf deren Kinder eines Tages diese Regelung zutrifft – wenn sie welche bekommt. Der ihr angetraute Prinz William wiederum kann seit Juni, als er seinen 30. Geburtstag feierte, zwar nicht auf einen Eintrag in den olympischen Medaillenspiegel, aber gewiß auf einen Eintrag in die Sunday Times-Liste der »40 reichsten jungen Briten« hoffen, verfügt er doch nun über die Hälfte des ansehnlichen Vermögens seiner 1997 ums Leben gekommenen Mutter Diana. Damit der neue Reichtum eine angemessene Adresse erhält, steht für das solvente Paar im Kensington-Palast demnächst ein 20-Zimmer-Appartement zur Verfügung. In einem Museum wohlgemerkt (Diana bezeichnete es »als goldenes Gefängnis«), denn die von der Stiftung Historic Royal Palaces gerade abgeschlossenen Renovierungs- und Umbaumaßnahmen der königlichen Residenz im Herzen Londons dienen auch touristischen Zwecken. Große Teile des für zwölf Millionen Pfund herausgeputzten Prachtbaus samt »Jubiläumsgarten« bieten den Besuchern fortan Glamour und sogenannte Geschichte. Vier Rundgänge gewähren die Möglichkeit, sich an fünf eleganten Abendkleidern von Prinzessin Diana satt zu sehen, die Puppensammlung der einst weltmächtigsten Monarchin Victoria in Augenschein zu nehmen und dergleichen mehr. Man kann aber auch das im Juni eingeweihte »Bomber Command Memorial« nahe dem Buckingham-Palast ansteuern. Es zeichnet sich durch einen neoklassizistischen Säulengang aus, der ein Vestibül flankiert, in dem sich die Bronzeskulptur einer Bomberbesatzung erhebt. Das wahrlich gewaltige Ehrenmal kostete mehr als acht Millionen Pfund, die durch Spenden und mit Unterstützung des konservativen Blattes Daily Telegraph zusammenkamen, und soll die 55.000 Bomberstaffelmitglieder ehren, die im Zweiten Weltkrieg ums Leben kamen. Sozusagen in letzter Minute wurde eine zusätzliche Inschrift angebracht, die aller Opfer des Bombenkrieges gedenkt. Nach Kriegsende hatte sich die Mehrzahl der Briten beschämt über die Flächenbombardierungen von Städten wie Dresden, Hamburg, Hildesheim oder Köln gezeigt. Selbst Churchill überging bei seinen Dankesansprachen die Bomberstaffeln und verlieh ihnen zudem keine Kampfmedaille. Ob das neue Denkmal tatsächlich eine – wie die eingemeißelte Inschrift verkündet – »angemessene Hommage für jene, die ihr Leben für unsere Freiheit ließen«, leistet, ist und bleibt zweifelhaft. Die BBC verzichtete wohlweislich auf eine Live-Übertragung der Einweihung durch die Queen und Prinz Charles. London ist eine kräftig pulsierende, im steten Wandel befindliche, schön-häßliche Mega-City. Vergangene viktorianische Macht ist an zahlreichen Monumentalbauwerken abzulesen, die gegenwärtige Macht von Finanzkapitalisten und reichen Investoren aus Katar und anderswo dokumentiert sich in neuen Hochbauten mit teils gewöhnungsbedürftigen Formgebungen wie etwa »The Gherkin« (es sieht aus wie eine Gurke) oder in größenwahnsinnigen Vorhaben wie dem jüngst eingeweihten höchsten Gebäude Europas, dem 300 Meter hohen »The Shard«. Die im Frühjahr abgeschlossene Renovierung von King’s Cross hat dem von 45 Millionen Pendlern im Jahr genutzten Bahnhof wiederum das Gepräge der mächtigen Zeiten des Empires gegeben, wobei auch die Anhänger des Zauberlehrlings Harry Potter auf ihre Kosten kommen, denn neben Gleis neun hängt das Schild »Platform 9 ¾« und ein in die Wand eingelassener Gepäckwagen vermittelt den Eindruck, man habe die Wand schon fast durchquert. Nicht zu vergessen das lange von der Arbeiterklasse bewohnte East End. Es war bis zum Beginn seiner Umwandlung zum olympischen Viertel zugleich das wildeste und heruntergekommenste Areal der Stadt und ist kaum mehr wiederzuerkennen. Es beherbergt inzwischen nicht nur das größte Einkaufszentrum Europas, sondern eben auch das olympische »Dorf« und das Wettkampfgelände, auf deren Flächen 11.000 Wohnungen entstehen sollen – 1.500 davon als Sozialwohnungen. Von den mehr als 30.000 armen und/oder arbeitslosen Bewohnern des East Ends, die gegenwärtig auf der Warteliste für Sozialwohnungen stehen, dürften freilich nur recht wenige die Chance bekommen, die Neubauten von innen zu sehen. Denn die liberal-konservative Regierung hat zwar festgeschrieben, daß die neuen Sozialwohnungen bezahlbar sein sollen, sie hat aber eben auch definiert, was »bezahlbar« konkret heißt: 80 Prozent des Marktpreises. Das liefe bei gegenwärtigen Preisen für eine Zweizimmerwohnung auf eine Monatsmiete von umgerechnet 1.000 Euro im Monat hinaus. Von unsozialen Sparmaßnahmen wie die zunehmend wirksam werdende Obergrenze für Wohngeld ganz zu schweigen. Generell sind die Zeiten preiswerten Wohnraums im East End vorbei, denn die steigende Attraktivität des Viertels und vor allem die inzwischen olympisch gute Verkehrsanbindung an die Londoner Innenstadt zieht nun massenhaft zahlungskräftige Wohnungssuchende an. Für Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnungen sind in den Wohnblöcken bereits zwischen 200.000 und 350.000 Pfund fällig. (Das in England unübliche Mieten von Wohnraum geht generell kräftig ins Geld. 1.200 Pfund Monatsmiete für eine kleine Absteige sind in der Hauptstadt so ziemlich das Mindeste.) Die rausch- und sündhaft teuer inszenieren Feiern zum Thronjubiläum sowie zu den Olympischen Spielen sind Geschichte, Straßenfeste und Medaillenjubel vorbei. Nun müssen die Briten wieder die Mühen der Ebene bewältigen, genauer: die Bekämpfung der sogenannten Genickschuß-Rezession, die der Masse der britischen Bevölkerung alles andere als Gold, Silber oder Bronze verspricht. In den Städten und Gemeinden des großbritannischen Nordens, wo abseits der olympischen Stätten und Investitionen öde Industriebrachen und heruntergekommene Spielhallen und Einkaufszentren kaum mehr erahnen lassen, daß hier einmal die industrielle Revolution ihren Siegeszug in alle Welt begann, fällt das »Keep calm and carry on« immer schwerer. Wie sich fern der boomenden Metropole die wachsende »big angry society« entwickelt? Abwarten und Tee trinken, heute schon.
Erschienen in Ossietzky 18/2012 |
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