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Konservativ-liberale, aber auch sozialdemokratisch-grüne Politiker in ganz Europa haben das zu verantworten. In Deutschland wird der juristische Segen für Fiskalpakt und ESM in Kürze folgen. Das Bundesverfassungsgericht wird ihn am 12. September erteilen. Die Politik, die einen Unternehmerstaat zur Maximierung der Profitrate propagiert und gefestigt hat, wird von einer rückwärtsgewandten neoliberalen Wirtschaftswissenschaft unterstützt. Seit der wirtschaftspolitischen Umwälzung ab Mitte der 1970er Jahre, angeführt durch den »Chicago-Boy«, den US-amerikanischen Ökonomieprofessor und Nobelpreisträger Milton Friedman, der zeit seines Lebens den wohlfahrtsstaatlichen Keynesianismus bekämpft hat, setzen die an den Hochschulen lehrenden Ökonomen mehrheitlich auf Marktradikalität und Privatisierung. »Markt vor Staat« lautet die neoliberale Botschaft mit dem Ziel einer Oligopolisierung und Marktvermachtung durch Konzentration, Unterminierung und Beschneidung des Sozialstaats und vor allem durch eine Umverteilung von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen (Gewinnen, Zinsen, Mieten und Pachten). Die weltweiten katastrophalen Ergebnisse dieser Wirtschaftspolitik sind schon lange evident. Der Mechanismus der Umverteilung zu den Besitzeinkommen und marktbeherrschenden Konzernen hat im Wesentlichen zwei kontraproduktive Wirkungen ausgelöst: Erstens eine schwere Überproduktionskrise mit Massenarbeitslosigkeit durch den Ausfall an Massenkaufkraft. Waren, die mit immer mehr Technik, immer weniger Arbeitsaufwand hergestellt werden, finden so keine kaufkräftige Nachfrage mehr. Die Absatzmärkte der Unternehmen geraten ins Stottern, und es kommt zu einem destruktiven Verdrängungswettbewerb, den nur die marktmächtigen Unternehmen und Konzerne überleben, so daß sie noch mehr Macht erringen. Zweitens kommt es zu einer real-monetären Disproportion zwischen Produktion und Investition auf der einen Seite und einer immer größeren Überschußliquidität auf der anderen Seite. Das Weltsozialprodukt an Gütern und Diensten bleibt weit hinter dem zirkulierenden und anlagesuchenden Weltfinanzvermögen zurück. Letzteres ist mit 212 Billionen US-Dollar mehr als dreimal so groß. Deshalb braucht das – hoch konzentrierte – Finanzvermögen zur profitablen Verwertung immer mehr den Schuldner, den Kredit. Was Unternehmer den abhängig Beschäftigten zuvor an Lohn nehmen und an Gewinn- und Vermögenssteuern dem Staat nicht zahlen, geben sie dann als Kreditanbieter, als Gläubiger, den zu Schuldnern gemachten privaten und staatlichen Kreditnachfragern zurück. Dadurch kann das Vermögen der Reichen, auch über Zinseszinseffekte, weiter ansteigen, und im gleichen Takt wachsen die Schulden. Steigt das Vermögen, müssen die Schulden gleich viel zulegen. Das Problem ist nur, daß es so viele solvente Schuldner mit hoher Bonität nicht gibt. Was tun, fragte sich die US-amerikanische Herrschaftselite aus Politik und Wirtschaft im Jahr 2000, als der Zusammenbruch der sogenannten New Economy nicht mehr zu leugnen war. Man erfand den extensiven Immobilienkredit als »Surprice«-Kredit und löste damit 2007 über die Finanzmarktsphäre schließlich eine bis heute nicht behobene Bankenkrise aus. Wohlbemerkt die Krise wurde dadurch ausgelöst, nicht aber verursacht. Die Ursache ist die unsoziale Umverteilung. Jetzt reden die weiter herrschenden neoliberalen Eliten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien, aber selbst vielfach auch in der Linken, nur noch über die »bösen« Schulden und Schuldner und über die »bösen« Banken, um so geschickt die andere Seite, das »gute« Vermögen der Reichen, nicht diskutieren zu müssen. Und es gelingt offensichtlich, das Volk zu täuschen. Zuerst aber mußten die Neoliberalen reagieren, als ihr Umverteilungssystem kollabierte und sogar die Kernschmelze des Systems drohte. Sie wurden über Nacht zu vulgär-keynesianischen »Feuerwehrleuten«, um den zuvor neoliberal entfachten Flächenbrand zu löschen. Dabei wollten die Reichen aber nicht ihr durch Umverteilung gerafftes Vermögen verlieren. Was dann geschah, ist hinlänglich bekannt: Noch nie in der Menschheitsgeschichte wurden so viele kreditfinanzierte Staatsausgaben in den wirtschaftlichen Kreislauf gepumpt und die Leitzinsen der Notenbanken fast auf Null gesenkt. Auch mußten noch nie zuvor so viele Banken vor der Insolvenz gerettet und manche sogar verstaatlicht werden. Trotzdem brach weltweit das Wachstum gigantisch ein, und die eh schon hohen Arbeitslosenzahlen wuchsen noch weiter. Gleichzeitig stieg überall die Staatsverschuldung. Sie wurde für viele Staaten zu einem Problem, weil die Vermögenden jetzt nicht mehr bereit waren, ohne unverschämt hohe Risikoaufschläge auf die Zinsen, neue Kredite an die Schuldner zu vergeben. Davon sind übrigens nicht nur Staaten betroffen, sondern auch einkommensschwache private Haushalte, die in der Krise für immer im Schuldenturm landeten. Über sie spricht niemand. Fest steht jedenfalls: Die notleidenden Kredite von Schuldnern haben in Europa eine Rekordhöhe erreicht. In den Bilanzen der Banken und Versicherungskonzerne schlummern mehr als eine Billion Euro notleidende Kredite, wie Berechnungen der Wirtschaftsprüfergesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) zeigen. Die Antwort der herrschenden neoliberalen Politik, gepaart mit den Interessen der Vermögenden, auf die schwere Krise heißt jetzt Fiskalpakt und ESM. Die Krisenstaaten bekommen von der europäischen Staatengemeinschaft nur dann »Sanierungsgeld« aus dem ESM, wenn sie versprechen, ihre Staatsschulden über den Fiskalpakt zu konsolidieren. Wer hier jetzt an Steuererhöhungen für Reiche denkt, ist ein Schelm oder irrt gewaltig. Nein, die Neoliberalen in Politik und Wirtschaft wollen weiterhin keine Steuern zahlen. Sie wollen sich aber noch das letzte öffentliche Eigentum zum Schnäppchenpreis unter den Nagel reißen. Die Privatisierung wird also munter fortgesetzt. Zudem wollen die Neoliberalen weiter die Löhne drücken, und die abhängig Beschäftigten sollen dann auch noch das Steuer- und Abgabenzahlen übernehmen: Gewinn- und Vermögensteuer runter, Lohn- und vor allem indirekte Verbrauchsteuern und Mehrwertsteuer rauf. Aus all diesen Gründen steht die EU jetzt vor dem Absturz und der Ausweitung von Elendsökonomien in Europa. Es sei denn, die europäische Politik, die allen Menschen in der EU verpflichtet ist, kommt noch zur Besinnung und macht jetzt endlich in einer konzertierten Aktion das sofort Notwendige: einen drastischen Vermögensschnitt. Die neoliberal gewollte, aber sozial-ökonomisch verheerende Umverteilung der Vergangenheit, die in den ungleich verteilten Vermögensbeständen aufgelaufen ist und weiter aufläuft, kann nur noch durch eine drastische Entwertung der Vermögensbestände der vielen reichen Griechen, Iren, Spanier, Italiener, Franzosen und Deutschen zum Abbau der Verschuldung korrigiert werden. Wenn die Kredite der Schuldner nicht mehr tragfähig sind, dann müssen die Vermögen entsprechend in Haftung genommen werden. Sonst ist kein wirtschaftlicher Neustart möglich. Dies begreifen aber auch viele Linke nicht, die zu sehr auf eine Bankenkontrolle und -sanierung fixiert sind. Selbst wenn alle Banken und Versicherungskonzerne verstaatlicht und gesellschaftlich kontrolliert wären, wäre immer noch nicht das entscheidende Problem der zu hohen Schulden auf der einen und des zu großen Vermögens auf der anderen Seite gelöst. Das Denken der Linken ist hier zu sehr auf das Eigenkapital der Banken ausgerichtet. Das Eigenkapital ist aber unwichtig. Entscheidend ist das in den Bilanzen (auch der Versicherungen) passivierte Fremdkapital, die Einlagen der Vermögenden. Hier will offensichtlich keiner ran. Aber es muß sein. Selbstverständlich sind dabei kleine Vermögen und Rentenfonds zu schützen. Das Vermögen muß aber insgesamt gesenkt werden, um so die in den Bilanzen aktivierten Kredite (Forderungen) wertberichtigen zu können. Dann werden die Schuldner zu Lasten der Reichen entlastet und können weiterleben. Die Bank oder Versicherung als Institution erleidet dadurch keinen Schaden. Die Gewinn- und Verlustrechnung ist nicht tangiert. Es droht keine, immer wieder an den Himmel gemalte Bankenkrise oder sogar der totale Zusammenbruch. Daneben muß in Zukunft, bei einer einheitlichen Währung in Europa, auch eine einheitliche Finanzpolitik zur Anwendung kommen. Hierzu bedarf es einer harmonisierten europäischen Steuerpolitik zu Lasten der Besitzeinkommen. Die Arbeitseinkommen müssen steigen und von indirekten Steuern entlastet werden. Nicht zuletzt ist ein unnachgiebiger Kampf gegen Steuerhinterziehungen zu führen. Die Geldpolitik ist darüber hinaus nicht nur für Preisstabilität in die Pflicht zu nehmen, sondern auch für ein ökologisch orientiertes Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Dies reicht aber – auch inklusive einer überfälligen Bankenkontrolle und eines Verbots der Bewertung ganzer Volkswirtschaften durch private Ratingagenturen – nicht aus, wenn das Entscheidende nicht endlich bekämpft wird: die Massenarbeitslosigkeit in Europa. Sie ist die originäre Ursache der krisenverursachenden Umverteilung zu den Besitzeinkommen. Ohne eine kollektive Verknappung des Faktors Arbeit in ganz Europa durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich wird das Überschußangebot an den Arbeitsmärkten nicht verschwinden, und die Krise wird weitergehen. Die schon lange mit dem Rücken zur Wand stehenden Gewerkschaften in Europa werden eine Arbeitszeitverkürzung nicht mehr allein erreichen können. Verantwortungsvolle europäische Politik muß endlich in die Arbeitsmärkte intervenieren und auch einen auskömmlichen Mindestlohn für ein arbeits- und menschenwürdiges Leben mit Arbeit einführen. Und den neoliberalen Unternehmerstaat beenden. Dr. Heinz-J. Bontrup, geb. 1953 in Haltern/Westf., ist Professor für Wirtschaftswissenschaft an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, Bocholt, Recklinghausen und Sprecher der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.
Erschienen in Ossietzky 18/2012 |
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