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Die 25jährige hatte schon einige Stücke vorgelegt, eine Art Durchbruch gelang ihr kürzlich mit »Beg your pardon«: Die Dänin Thea erkennt, als ihre Freundin Marwa des Landes verwiesen wird, ihre eigene existentielle Unsicherheit, bricht mit allem und begibt sich im Grunde nach »Nirgends«, und damit ist sie auch schon in der Utopie. Ein Ibsen-Thema – da hieß die Heldin Nora. Salzmann will etwas zeigen, was real meist scheitert: Weil es zu sehr im Privaten angelegt ist. Revolution gelingt, wenn überhaupt, nur kollektiv, aus der Masse, aus dem Volk heraus. Insofern ist sie eine politische Autorin und macht politisches Theater. Doch so rechte Schlagkraft hat das noch nicht. Die in Moskau aufgewachsene Autorin, derzeit in Deutschland lebend, führt ihr Thema an einem dänischen Stoff vor. Das taten andere Dramatiker auch schon – »Etwas ist faul im Staate Dänemark« – wir kennen es. Die Autorin begründet ihre Stoffwahl damit, daß Dänemark die schärfsten Ausländergesetze habe. Daraus wird aber noch kein »Hamlet«. Hier fehlen noch Philosophie und Welterfahrung, auch Handwerk und eine professionelle Bühne, doch arbeitet sie in die richtige Richtung. * Unser nächster Ziel- und Schau-Ort ist das Theater an der Parkaue, was sich inzwischen »Junges Staatstheater Berlin« nennt. Historisch-literarisch sind wir in der Ibsen-Nähe, der theatralisch verarbeitete Autor ist Gottfried Keller, als Vorlage dient seine Novelle »Kleider machen Leute«. Die Macher »norton.commander.productions.« sind zwei Personen, die als innovative Theatermacher angesehen werden, mit mehreren Schauspielern zusammenarbeiten und 2010 den George-Tabori-Preis erhielten: Harriet Maria Meining und Peter Meining. In der Parkaue spielen: Corinna Mühle (Nettchen) und der Performer Namosh (Graf Strapinski). Vor einiger Zeit sah ich Prokowjews »Peter und der Wolf« – mit einigem Spaß. Das Gleiche kann ich von diesem Keller-Nachmittag behaupten. Da gab es Tempo, szenische Einfälle noch und noch, lustiges Spiel, Spiel im besten Sinne. Für junge Leute ab zwölf Jahren, und dieses Publikum kam gewiß auf seine Kosten. Doch warum man einen Keller szenisch so zurechtmacht, eine sinnvolle Geschichte, die Entlarvung einer recht bekannten, ziemlich ekligen Art von Bürgertum, welches auf Lebenslüge basiert, vermochte ich nicht recht zu erkennen. Eine Art Slapstick-Theater wurde hier fast zum Selbstzweck. Im gleichen Haus kürzlich ein Sprung in die Gegenwart – wieder mit einem adaptierten Roman: »Nicht Chicago. Nicht hier.« von Kirsten Boie, inszeniert von Intendant Kay Wuschek. Zwei Schuljungen, Karl, der Böse, Dieb, Kujonierer (Paul Maresch), und Niklas, der Unsichere und Gejagte (Johannes Henrik Langer), beherrschen nebst Eltern und Lehrerin die Szene. Das grob geschnitzte Stück, naturalistisch und laut inszeniert und gespielt, hat einen Vorteil: Es ist ehrlich, zeigt eine verlogene Gesellschaft, welche die unsere ist. Und der gehetzte Niklas kann einem nicht mal leid tun – er wird geprägt und wächst zu dem heran, was uns beinahe täglich begegnet. Ich verließ das Theater mit Unbehagen – auf zum Kollegentheater, zum Grips, wo es uns angenehmer erging. * Dort kündigte man etwas an, was einem alten Forstmann durchaus Freude bringen könnte: »Die besseren Wälder«! Es ging über diese Metapher um sehr Menschliches! Die Parabel vom Jungautor Martin Baltscheit, der 2010 dafür den Jugendtheaterpreis erhielt, wird in der Regie von Robert Neumann uraufgeführt. Eine dreiköpfige Familie (Vater, Mutter, Sohn) läuft im Schnee und gegen den Wind. Die Familienmitglieder sehen wie Wölfe aus und werden gejagt; nur der Sohn überlebt und wird von einer Schaffamilie aufgezogen – ein Wolf im Schafspelz, doch ein friedlicher. Er singt ein »Schafe Maria«, und das ist sogar ein halbwegs tragfähiger, witziger Einfall. Im Grunde werden Themen wie Integration und Identität abgehandelt, werden Fremdheit, Haß, Mißgunst, Vorurteile bloßgestellt – mit leichter Hand, verlachend. Fünf Schauspieler tragen behende den Abend: Florian Rummel spielt den jungen Schafwolf Ferdinand. Merkwürdig bleibt: Warum entdecken ihn die anderen Schafe nicht? Es ist die Vereinbarung mit dem Publikum, daß diese Schafe nicht riechen können, eben Spiel, das übrigens nicht im traditionellen Haus, sondern in der Dependance in der Klosterstraße in Berlin-Mitte stattfand. * Ein von mir verhältnismäßig spät entdecktes Theaterchen ist das vor 25 Jahren gegründete Masken-Beatbox-Theater. Es ist in der Martin-Luther-Straße zu finden und firmiert unter dem Namen »Theater Strahl«. Ursprünglich dachte ich, da hätte sich der 2001 verstorbene Lustspiel-Autor Rudi Strahl noch in seinen letzten Jahren ein eigenes Theater geschaffen, was er sich immer so gewünscht hatte. Ein Irrtum! Ich sah »Klasse Tour«, die Geschichte einer sogenannten Klassenfahrt. Wieder fünf Schauspieler, die mit verschiedenen Masken, die Regisseur Michael Vogel selbst geformt hat, 14 junge Typen spielen. Spielfreudig, nicht allzu viel Text, dafür mehr Pantomime. Und die Themen? Viel Realismus eines Schulalltags: Einsamkeit und Kumpelei, Fern- und Heimweh, Zänkerei und Solidarität und nächtens bizarre oder schöne Jugendträume. Eine Zentralfigur ist der Konzertgitarrist Mando (Daniel Mandolini), der sich und die jungen Zuschauer in eine eigentümliche Klangwelt eintaucht. Michael Ottopal schafft auf simple Weise eine entsprechende Bildwelt, die nicht meiner Ästhetik entspricht – es besteht die Gefahr des Plakativen und allzu vieler Effekte, mithin der Oberfläche einer Lebenswelt. * Oft sind diese kleinen, von mir gelegentlich gern besuchten Theater experimentierfreudiger, zeigen mehr Spielfreude als die großen Häuser. Wenn die meisten nur nicht so schwer erreichbar wären und leider vielfach handwerklich unzulänglich! So halte ich es für ein Wagnis, Dürrenmatts großes Stück »Der Besuch der alten Dame« mit 34 Figuren und drei Puppen so ruppig und unverfroren über ein Bühnchen zu jagen, wie es die Schaubude in der Greifswalder Straße (nahe dem S-Bahnhof) getan hat. Ein Wagnis, welches um äußerer Effekte willen und Buhlen um Lacher die große Idee klein macht und den Sinn verdunkelt, in dem ein Weltproblem steckt, besonders heute, da das unlängst fast zerspielte Stück auf eine neue und bedrohliche Situation trifft und ungemein aktuell ist. * Mein Vorwurf trifft nicht das Ein-Mann-Theater von Tobias Wegner im »Chamäleon« mit dem Stück »Leo« in der Regie von Daniel Brière. Halbwegs pantomimisch und mit Musik vom Band oder auch mit Saxophon wird eine Geschichte über einen halb komischen, doch nicht ganz tragischen männlichen Einzelgänger in dieser seiner und damit auch in unserer Welt gezeigt. Nahezu perfekt gemacht, doch wozu? Dieser Wegner kann körperlich alles, aber wo bleibt der soziale Gestus? Die perfekte Kunstgestalt ist alles und nichts zugleich. Mir fällt der philosophisch-ironische Gedanke Heines ein: Ach, halte deine Geschichte so allgemein wie möglich! Du amüsierst, indem du ein wenig kritisch menschelst, doch tust keinem weh! * Zum Glück tun das andere in einer Form und Weise, die einst der unvergeßliche Friedrich Hollaender mit seinem »Tingel-Tangel-Theater« berüchtigt-berühmt machte. So traurig auch immer, nach Ursachen suchend, aber als bissig-boshaft-ironischer Satiriker so übertreibend, daß die Verse des Chansons, die im puren Wortsinn die übelste Lüge der Verursacher von Massenverbrechen sind, urplötzlich pur-entlarvende Wahrheit über Verursacher jener Verbrechen sind: »An allem sind die Juden schuld! Man möchte meinen, dies sei eine historisch erledigte Sache – nach Auschwitz und Vergleichbarem – warum nun dies wieder auf die Bühne? Weit gefehlt! Das Blut gefriert fast in den Adern, wenn man das in der Kantstraße 12 a (in den unteren Räumen des ehemaligen Theater des Westens) hört, nämlich in der Vaganten-Bühne, wo Ferdinand von Seebach in Regie von James Edward Lyons mit vier Kabarett-Kämpen diesen Hollaender präsentiert – als ob du eine Schelle nach der andern kriegst – mitten ins Gesicht! Abgesehen von den Schellen – es gibt erschreckend-belustigende Zeitbilder von anno dunnemals wie heuer – man gehe hin und höre, sehe! * Nach längerer Pause war ich im »Theater 89«, neuerdings spielt es unter anderem im Urania-Haus und arbeitet mit der Heinrich-Böll-Stiftung zusammen. Vor die Wahl gestellt, »Das Ende der SED« (auch im Außenministerium vorgeführt) oder Bölls »Ansichten eines Clowns« wahrzunehmen, zog ich Böll vor. Heinrich Böll bietet große Literatur und gesellschaftliche Wahrheit; Jörg Mihan sorgte für dramaturgische Wahrheit, und Hans-Joachim Frank, der ausgewiesene Regisseur des Hauses, inszenierte. Außerdem hat diese Gruppe als eine der ausgewiesenen der Freien wirklich gute Schauspieler, etwa Marie-Luise Frost und die beiden Geffkes. Ich habe – wie schon andernorts ausgeführt – meine Bedenken gegen Roman-Dramatisierungen – Genres haben ihre eigenen Gesetze, und es ist erwiesenermaßen schwierig, den Erzähler-Gestus auf die Bühne zu bringen – etwas bleibt immer offen und zwar, je besser das Ur-Genre ist. Immerhin, man kann sich die Geschichte des Hans Schnier (Bölls künstlerische Hauptfigur) mit gutem Gewissen und Gewinn in den Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung in der Schumannstraße in Berlin-Mitte ansehen.
Erschienen in Ossietzky 17/2012 |
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