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Augenzeugen berichten, daß Payá es sich nach einem Empfang beim damaligen mexikanischen Präsidenten Vicente Fox am 14. Januar 2003 auf dessen Stuhl bequem machte und scherzte: »Ich nehme hier Platz, weil hier gerade ein Präsident gesessen hat und ich der zukünftige Präsident Kubas bin.« Soweit ist es zwar nicht gekommen, doch der fromme Katholik, den bis Ende der 1990er Jahre niemand kannte, fühlte sich wenige Jahre später auf Augenhöhe mit den Mächtigen der Welt. Neben dem Christdemokraten Fox empfingen ihn die rechtskonservativen Präsidenten Spaniens (José Maria Aznar) und der Tschechischen Republik (Václav Havel) sowie der damalige US-Außenminister Colin Powell. Das amerikanische Entwicklungshilfeamt USAID und die außenpolitisch genutzte Kongreßstiftung NED finanzierten die Aktivitäten der Gruppe Payá allein im Jahr 2003 mit über einer halben Million US-Dollar. Payá durfte Spanien, Schweden, die Tschechische und die Slowakische Republik, Großbritannien, Frankreich, die USA, Mexiko, die Dominikanische Republik und sogar den Papst in Rom besuchen, um seine Pläne für ein »anderes Kuba« vorzustellen. Er war die unangefochtene Nummer Eins der kubanischen Systemgegner. Sein Aufstieg war mühsam gewesen. Nachdem Payá 1987 zunächst die Gruppe »Movimiento Cristiano Liberación« (MCL) gegründet hatte, versagte ihm der Kardinal von Havanna ein Jahr später die erhoffte Unterstützung. Mit Hilfe ausländischer Parteien und Stiftungen baute er daraufhin die »Partido Demócrata Cristiano de Cuba« (PDC) auf und weckte das Interesse der US-Geheimdienste, die den intelligenten und integer wirkenden Mann systematisch zur Führungsfigur aufbauten. Mit zwei Kampagnen, in die US-Institutionen und europäische Parteien und Stiftungen erneut hunderttausende US-Dollar investierten, wurde Payá weltweit in die Schlagzeilen gepuscht. Eine war das »Varela-Projekt«, dessen Kernidee darin bestand, durch die Sammlung von mehr als 10.000 Unterschriften einen »legalen« Systemwechsel herbeizuführen. Der zweite, vor allem von dem rechtskonservativen tschechischen Präsidenten Havel betriebene Vorstoß war die Nominierung Payás zum Kandidaten für den Friedensnobelpreis. Beide Kampagnen waren erfolglos. Als Payá sich im April 2002 enthusiastisch auf die Seite der faschistischen Putschisten in Venezuela stellte und deren Chef kurz vor der Befreiung des gewählten Präsidenten Hugo Chávez Frías noch seiner »tiefsten Bewunderung und Solidarität« versicherte, hatte er in Lateinamerika jede Unterstützung verspielt. In Europa, wo die Unterstützung international geächteter faschistischer Putschisten (wie die Beispiele Honduras und Paraguay zeigen) kaum Anstoß erregt, wurde Payá weiter gefördert. Neben dem mit 50.000 Euro dotierten Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments sackte er weitere Prämien aus Europa und den USA ein. Trotz der Auszeichnungen hatte der »Top-Dissident« seinen Höhepunkt aber bereits hinter sich. Die Finanziers aus den USA und Europa hatten viel Geld investiert und sahen auch nach Jahren keine befriedigenden Resultate. Weder war es Payá gelungen, die systemkritische Bewegung auf Kuba zu verbreitern, noch gab es überzeugende Konzepte. Die künftigen Schlachten würden in Cyberkriegen geschlagen, Systemwechsel nicht mehr über Demonstrationen, sondern durch virtuelle Desinformation, Söldner und Drohnen herbeigeführt, lauteten die neuen Vorgaben aus den USA. Für Leute wie Payá gibt es in solchen Schlachten keine Hauptrollen mehr. Dank Wikileaks wurden Geheimdokumente der US-amerikanischen Interessenvertretung in Havanna öffentlich, die zeigen, wie das Ansehens Payás und seiner Gefolgsleute bei ihren Förderern verfiel. Noch am 15. März 2007 schätzte der damalige Chef der US-Vertretung, Michael E. Parmly, in einer vertraulichen Mitteilung, daß »aus unserer Sicht Oswaldo Payá der einzige ist, der landesweit bis zu einer Million Kubaner mobilisieren kann«. Nur zwei Jahre später hatte sich die Einschätzung radikal geändert. Der neue Chef der US-Vertretung auf der sozialistischen Karibikinsel, Jonathan D. Farrar, kabelte am 15. April 2009 an sein Außenministerium (mit Kopien an CIA und National Security Council), daß Payá zwar »große Pläne« zur Organisation eines »Nationalen Dialoges« habe, aber nur wenig Aktivität erkennbar sei. Anders als sein Vorgänger äußerte Farrar sich Washington und dem CIA gegenüber skeptisch über die »traditionellen« Dissidenten und senkte den Daumen: »Sie haben nur wenig Resonanz in der kubanischen Gesellschaft und bieten keine politische Alternative zur jetzigen Regierung.« Farrar empfahl auf eine jüngere Generation »nicht traditioneller Dissidenten« wie zum Beispiel die Bloggerin Yoani Sánchez zu setzen, was »auf lange Sicht« zur Herbeiführung eines Systemwechsels effizienter sei. Die mittlerweile mit Preisen im Gesamtwert von rund einer halben Million US-Dollar überhäufte Sánchez ist damit wahrscheinlich nicht nur die reichste Frau Kubas, sondern hat Payá auch den ersten Platz als Prämiensammler streitig gemacht. Der für die Einführung von Marktwirtschaft und freiem Unternehmertum auf Kuba kämpfende »Traditionsdissident« mußte selbst erfahren, wie diejenigen, deren Ideologie und Werte er vertrat, mit verbrauchten Mitarbeitern umgehen. Wer nicht mehr genug bringt, zählt nur noch als Kostenstelle, die abgebaut werden muß. Soziale Verantwortung und Menschlichkeit gelten als »Sozialklimbim«. Wie Millionen Arbeitnehmer in den Marktwirtschaften weltweit erlebte auch der einst hofierte »Top-Dissident« den jähen Absturz. So mußte Payá, der einst mit Präsidenten konferierte, schließlich als Gesprächspartner für sich in subversiven Auslandseinsätzen übende Nachwuchspolitiker herhalten. Vom geachteten Gesprächspartner zum Sparringpartner für konservative Agententrainees. Im Monat seines Todes wurde der Friedensnobelpreiskandidat statt von seinem früherem Gesprächspartner, dem ultrarechten spanischen Ex-Präsidenten Aznar, von dessen politischem Zögling Ángel Carromero Barrios aufgesucht, immerhin Vizepräsident der Jugendorganisation der regierenden Volkspartei (Partido Popular) in Madrid. Der 27jährige und ein gleichaltriger Vertreter der schwedischen christdemokratischen Jugend hatten die kubanischen Behörden getäuscht und waren als »Touristen« getarnt in Kuba eingereist. Tatsächlich nahmen sie sofort Kontakt zu Systemgegnern – unter anderem zu Payá – auf. Altersgemäß verbanden sie die Agentenpflichten mit angenehmen Betätigungen. Zwei Tage vor Payás Tod verschickte Carromero etliche Twitter-Mitteilungen, in denen er von Fiestas, Schwitzen, Gloria Estefan und seinem Sevillana tanzenden schwedischen Begleiter, schwärmte. Eine der letzten seiner leicht obszönen Meldungen beendet er: »Das ist zuviel für mich! Jajajajaja oleeeeee!« Wie demütigend der tiefgläubige Katholik Payá die Abhängigkeit von seinen politischen Förderern in solchen Momenten empfunden haben mag, läßt sich nur erahnen. Eineinhalb Tage nach der letzten Party-Meldung klettern Payá und sein Gesinnungsgenosse Harold Cepero am 22. Juli 2012 auf die Rücksitze eines blauen Honda Accord, den die Politinstrukteure aus Europa angemietet haben. Am Steuer sitzt Partygänger Carromero, der seinen »Gästen« wenig Respekt entgegenbringt. Mit dem 60jährigen Ex-Kandidaten für den Friedensnobelpreis und dessen Dissidenten-Kollegen auf der Rückbank rast der junge PP-Politiker mit hoher Geschwindigkeit über eine mit Schlaglöchern gespickte Landstraße nahe der ostkubanischen Provinzstadt Bayamo. Kurz vor 13.50 Uhr »übersieht« Carromero nach eigenen Angaben ein Warnschild zur Geschwindigkeitsbeschränkung, verliert die Kontrolle über das Auto und rast eine Böschung hinunter gegen einen Baum. Payá stirbt noch am Unfallort, der zweite Kubaner wenig später im Krankenhaus. Die beiden Ausländer, die nach Kuba gekommen waren, um bei der Änderung des Systems behilflich zu sein, überleben ihr Abenteuer leicht verletzt. Der tragische Tod von Oswaldo Payá Sardiñas und Harold Cepero ist ein Beispiel für das, was sie selbst anstrebten, was dem kubanischen Volker aber erspart bleiben möge: eine Situation, in der fremde Herren den Karren in einen Abgrund fahren und die Kubaner dabei hilflos auf der Rückbank verrecken.
Erschienen in Ossietzky 17/2012 |
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