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Bei der UNO akkreditiert, Mitglied der internationalen Vereinigung »Freunde der Erde« und der Nichtregierungsorganisation »Justiça Ambiental« (Umweltgerechtigkeit), sollte er an der UNO-Konferenz »Rio+20« und ihrer kritischen Parallelveranstaltung Cúpula dos Povos (Gipfeltreffen der Völker) teilnehmen. Es ging um zukünftige Nachhaltigkeit in Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. Beschämung und Empörung ringsum. Auch bei Außenminister Antonio Patriota, der sich mit Geschick und Fairneß um nachhaltige Beziehungen zu den afrikanischen Staaten bemüht. Nicht einmal ihm konnte die brasilianische Bundespolizei die Ausweisung erklären. Es stellte sich schließlich heraus, daß der Mann aus Mosambik – man hatte ihn rasch wieder eingeflogen – das Mißfallen des brasilianischen Rohstoffriesen Vale S.A. erregt hatte, weltweit die Nummer Eins in der Eisenerzförderung und zweitgrößter Bergbaukonzern überhaupt. Vunjanhes Dokumentarfilm über die Vertreibung der Bevölkerung aus dem Kohlerevier von Moatize (Mosambik) und sein Vorhaben, bei Cúpula dos Povos über weitere Sünden von Vale zu sprechen, hatten für die rote Karte gesorgt. Und damit gleich klargestellt, wer bei der Good-will-Show in Rio die Karten gibt: diejenigen, die Brasiliens Handelsüberschuß garantieren und besonders heftig mit allen Nachhaltigkeitsnormen kollidieren, die Rohstoffindustrie und das Agribusiness. Zahlreiche Verfahren gegen BASF, Shell, Thyssen und andere belegen dies. Vale S.A. konkurrierte übrigens 2012 mit Tepco, Betreiber der Atommeiler von Fukushima, um den »Public Eye Award« (Preis »Im Licht der Öffentlichkeit«), auch bekannt als »Oscar der Schande«. »Rio+20« – mit nachhaltigem Beigeschmack einer realitätsfernen Pflichtübung vor der Fußballweltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Spielen 2016. Brasilien setzt auf Wachstum und Konsum wie seine BRIC-Brüder Rußland, Indien und China. Die laue, heftig kritisierte Neufassung des Forstrechts »Código Florestal« schont eher die Agrarmonopole als die Wälder Amazoniens. Mega-Staudammprojekte wie Belo Monte fördern drastische liberalistische Strukturveränderungen, deren Lobby auch die couragierte Präsidentin Dilma Rousseff nicht gewachsen ist. Die Abschlußerklärung der UNO-Show war schon vor Beginn fertig. Sie konnte von der »Cúpula dos Povos« nicht mehr beeinflußt werden. Deren enthusiastische, bunt gemischte Delegationen unterschiedlichster gesellschaftlicher Segmente, besonders der Frauen und der Indigenen (in Bemalung), diskutierten in ihren Zelten am Flamingo-Polder, viel fotografiert und wenig gehört. Die französische Zeitung l’Humanité sprach von einem »Turm von Babel«. Der Vatikan hingegen torpedierte die Kommuniqué-Passage zum Recht der Frauen, das Wann und Wieviel ihrer Nachkommenschaft selbst zu bestimmen, und die USA blockierten den angestrebten Fonds von 30 Milliarden Dollar für nachhaltige Entwicklungsprojekte. Daß statt Merkel ein Niebel auf dem Teppich stand und die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, einfach kniff, wurde formell als Brüskierung, in der Sache als unerheblich angesehen. Man blickte am Schlußtag ohnehin betroffen und entsetzt nach Westen. Paraguays junge Demokratie war am Ende, kaum nachhaltiger als das Treffen von Rio de Janeiro. Präsident Fernando Lugo Méndez war am 22. Juni unerwartet nach knapp vier seiner fünf Amtsjahre wegen »Amtsunfähigkeit« abgesetzt worden – in einem anderthalbtägigen parlamentarischen, vorgeblich verfassungsmäßigen Schnellverfahren. Deklariert als Impeachment, aber als Staatsstreich erkannt – besonders in den Nachbarstaaten Argentinien, Uruguay und Brasilien, die gerade mit den Folterknechten vormaliger Diktaturen abrechnen. Aus der Sicht brasilianischer Demokraten ein Attentat auf das neue Südamerika, auf seine zunehmende ideelle, wirtschaftliche und politische Zusammengehörigkeit, auf das Vermächtnis Simón Bolívars und das wachsende Selbstbewußtsein gegenüber dem US- und EU-Imperialismus. Ein Anschlag auf den Optimismus, auf die Überzeugung, daß auf diesem Kontinent kein Platz mehr ist für Putsch und Diktatur, sondern für die indigenen Traditionen des »buen vivir«, des ausgeglichenen Miteinander und ihres vorkolumbianischen, äußerst nachhaltigen Umgangs mit »pachamama«, der Mutter Erde. Wir wußten zwar schon, daß 82 Prozent des paraguayischen Bodens den reichsten zwei Prozent der Bevölkerung gehören, an erster Stelle Mitgliedern der Colorado-Partei des berüchtigten Diktators Alfredo Stroessner (Amtszeit 1954–89), und daß 405 Quadratkilometer Paraguays Eigentum des US-amerikanischen Präsidentenclans Bush sind. Wir wußten, daß es Präsident Lugo nicht gelungen war, seine versprochene Landreform gegen die parlamentarische Mehrheit und Lobby der Feudalisten und des »Agribusiness« (Monsanto) durchzusetzen. Wir wußten, daß die US-Regierung nach seiner Amtsübernahme (15.8.08) die subversionserfahrene Leiterin der aufgeflogenen USAID-Niederlassung in Bolivien, Liliana Ayala, als Botschafterin nach Paraguay versetzt hatte und daß Lugos Stellvertreter, der jetzige Präsident Federico Franco, seit Lugos Amtsantritt mit der US-amerikanischen Botschaft über die Ausschaltung seines Chefs konspirierte. Wir wußten auch, daß sich Präsident Lugo gegen US-amerikanische Militärbasen in Paraguay gesperrt hatte. Und uns war auch schon bekannt, daß in Paraguay (6,5 Millionen Einwohner) rund 400.000 Brasilianer leben, unter ihnen etliche Großgrundeigner. Allein auf den Liegenschaften des »brasiguaio« Tranquilo Favero in Ñacunday kampieren etwa 5.000 landlose Familien. Wähler von Präsident Lugo, die auf ihre Landzuteilung warten. Bis heute hat der paraguayische Senat Lugos »Verurteilung wegen Amtsunfähigkeit« nicht veröffentlicht, obwohl er dieser »Unfähigkeit« die Auseinandersetzungen mit Landbesetzern vom 15. Juni anlastet (17 Tote). Inzwischen mußten wir aber erfahren, daß diese Schießerei von eingeschleusten Agenten der Grundbesitzer aufgeheizt wurde. Unter den Toten waren auch sechs angeblich unbewaffnete Polizisten. Diese Unruhen stehen in engem Zusammenhang mit dem zivilen Protest gegen genetisch verändertes Saatgut (Monsanto), dessen Verbreitung auf ein Monopol bei der Nahrungsmittelerzeugung und die Ausschaltung von Kleinbauern hinausläuft. Am Tag nach dem Staatsstreich ließ die neue Regierung den Anbau genetisch manipulierter Baumwolle des Monsanto-Konzerns zu und gab den Strompreisforderungen des Aluminiummonopolisten Rio Tinto Alcan (RTA) nach. Lokale Sachkenner sprechen von einem »Monsanto-Coup«. Wenige Tage später erschienen Repräsentanten des Pentagons in Paraguay, um mit dem Vorsitzenden des parlamentarischen Verteidigungsausschusses José López über eine US-Militärbasis an der bolivianischen Grenze zu verhandeln – »zum Schutze Paraguays vor Bolivien« (López). Weitere Basen oder Drohnennester sollen folgen, um die schon bestehenden US-Stützpunkte rings um das aufstrebende, gegen US-amerikanische Vorherrschaftsinteressen empfindliche Brasilien zu ergänzen. Die US-hörige Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) dringt auf volle Anerkennung der Putsch-Regierung. Ginge es nach ihr, müßten die Mercosur-Staaten ihre Entscheidung, Paraguays Mitgliedschaft bis zu den gesetzlichen Neuwahlen (2013) zu suspendieren und Venezuela als Vollmitglied zuzulassen (31.7.2012), zurücknehmen. Mittlerweile haben mehrere tausend Menschen in Paraguay ihr Amt oder ihre Anstellung verloren, weil sie für Lugos Ziele und für seine Wiedereinsetzung eintreten. Die brasilianischen Großagrarier haben sich auf die Seite der neuen, illegalen Regierung gestellt, die ihnen keinerlei Nachhaltigkeitsnormen vorschreibt. Lugo fühlt sich seit Jahren persönlich bedroht. »Wie lange werden sie mich leben lassen?« hatte der damalige »Bischof der Armen« vor seinem Wahlsieg im April 2008 gefragt, mit dem er die sechzigjährige Alleinherrschaft der Colorado-Partei und ihrer Dynastien beendete (s. »Das Wunder von Asunción«, Ossietzky 9/08).
Erschienen in Ossietzky 17/2012 |
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