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Wohl erstmals in seiner mehr als 60jährigen immer wieder von Skandalen erschütterten Geschichte steht der Dienst in einer derart massiven öffentlichen Kritik, die weit über marginalisierte linke Zirkel herausreicht. Die mögliche Verwicklung des Verfassungsschutzes in den Rechtsterrorismus des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), Ermittlungspannen und die Vernichtung brisanter Akten haben das Vertrauen weiter Kreise der Gesellschaft in den Geheimdienst erschüttert. Fassen wir einmal zusammen: Schon der neonazistische Thüringer Heimatschutz (THS), aus dem die späteren NSU-Mitglieder stammten, war von einem hochbezahlten Spitzel des Thüringer Verfassungsschutzes aufgebaut und geführt worden. Jedes zehnte Mitglied dieser mehr als 100köpfigen Nazikameradschaft soll auf der Soldliste des Verfassungsschutzes oder des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) der Bundeswehr gestanden haben. Doch kurz nach Auffliegen der NSU wurden im Bundesamt für Verfassungsschutz brisante Akten über die »Operation Rennsteig« – die geheimdienstliche Unterwanderung des THS in den Jahren 1997 bis 2003 – geschreddert. Bundesverfassungsschutzpräsident Heinz Fromm mußte über diesen Skandal ebenso wie sein Thüringer Amtskollege Thomas Sippel seinen Hut nehmen. Die Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt wurden von den Sicherheitsbehörden regelrecht in den Untergrund getrieben. Dank der Warnung eines Polizisten konnten sie fliehen, als am 26. Januar 1998 Sprengstoff und Rohrbomben in ihrer Garage beschlagnahmt wurden. Offensichtlich riß der Kontakt der Verfassungsschützer zu den untergetauchten Neonazis in den nächsten Jahren nicht ab, die Behörden waren durch ihre V-Leute, Telefonüberwachung und Observation gut über den Verbleib des Trios unterrichtet und wußten auch, daß die Nazis sich bewaffnen wollten. »In der Geschichte des ›Untergrunds‹ gibt es nicht viele Gruppen, deren Untergrund so transparent war wie der des NSU« , schreibt der Publizist Wolf Wetzel in seinem Blog. »Der Verfassungsschutz tappte nicht im Dunklen – er saß quasi am Küchentisch des NSU.« Ein polizeilicher Zugriff wäre wohl möglich gewesen, wenn Verfassungsschutzämter nicht ihre schützende Hand über die Nazizelle gehalten hätten. Angesichts der Mordserie an migrantischen Kleinunternehmern klammerten die Ermittlungsbehörden beharrlich ein fremdenfeindliches Motiv aus und stellten lieber Mutmaßungen in Richtung ausländischer Mafiabanden an. Wieder kommt der Verfassungsschutz ins Spiel. Ein Verfassungsschützer, der aufgrund seiner rechtsextremen Jugend den Spitznamen »Kleiner Adolf« trägt, war beim Mord am Besitzer eines Kasseler Internetcafés zugegen. Das gab er allerdings erst zu, nachdem er durch Aufnahmen von Überwachungskameras identifiziert werden konnte – angeblich, weil er heimlich Pornos geguckt hatte. Doch der selbe Geheimdienstmitarbeiter hielt in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu zwei weiteren vom NSU begangenen Morden telefonischen Kontakt zu einem V-Mann im neonazistischen Blood&Honour-Netzwerk, dem auch die NSU-Mitglieder nahestanden. Alles nur ein Zufall? Bereits am 8. November 2011 fand im Bundeskanzleramt eine Beratung zum mutmaßlichen Selbstmord der NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt statt. Die beiden Nazis waren vier Tage zuvor nach einem Banküberfall erschossen in ihrem Wohnmobil aufgefunden worden. Doch ein Zusammenhang der beiden toten Männer mit der Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern und einer Polizistin bestand zu diesem Zeitpunkt offiziell noch nicht. Die Ceska-Pistole, Tatwaffe bei den Morden an migrantischen Kleinunternehmern, wurde ebenso wie das zynische Paulchen-Panther-Bekennervideo nach Ermittlerangaben erst am 9. November in der ausgebrannten Wohnung des Nazi-Trios entdeckt. Doch welches Interesse bestand zu diesem Zeitpunkt im Bundeskanzleramt an zwei toten Bankräubern – oder war damals schon mehr bekannt, als die Öffentlichkeit wissen sollte? Die Bundesanwaltschaft wurde erst am 10. November von der Polizei über die Existenz der Neonazizelle in Kenntnis gesetzt. An diesem Tag ordnete ein Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Vernichtung von Dokumenten über V-Leute in der Naziszene an – wieder nur ein Zufall? Noch ist die Rolle der Geheimdienste nicht abschließend geklärt; auch den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen des Bundes und mittlerweile dreier Landtage dürfte dies kaum gelingen. Der Zeitdruck und die offenkundige Sabotage der Aufklärung durch Aktenvernichtung bei verschiedenen Behörden steht hier einem Erfolg entgegen. Doch das Haupthindernis einer Aufklärung besteht im Wesen der Geheimdienste, die nun einmal im Geheimen agieren und nur bei Selbstaufgabe ihre schattenhafte Tätigkeit preisgeben können. Gutwillige unterstellen dem Inlandsgeheimdienst im Falle des NSU-Terrorismus vor allem Unfähigkeit, möglicherweise auch Blindheit auf dem rechten Auge. Diese prinzipiell Gutwilligen werben nun für eine Reform des Geheimdienstes. Doch solche Bemühungen laufen auf eine weitere Legitimierung des Verfassungsschutzes und im Endeffekt auf eine besonders vom Bundesinnenminister gewünschte Stärkung und Zentralisierung der Spitzelbehörde hinaus. Andere Kritiker – auch ich – sehen den Dienst dagegen aktiv in den Naziterrorismus verstrickt, zumindest aber seine schützende Hand über die im Untergrund lebenden Nazimörder haltend. Aus dieser Position kann aus der NSU-Affäre nur eine Konsequenz gezogen werden: Auflösung der Verfassungsschutzämter. Auch in der Partei Die Linke ist die Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes nicht unumstritten. »Wir schaffen ja auch nicht die Feuerwehr ab, wenn sie bei der Brandlöschung versagt«, meint etwa mein Fraktionskollege, Ex-Bundesrichter Wolfgang Neškovic. »Wir benötigen einen Verfassungsschutz, weil die Verfassung echte Feinde hat. Statt einer Abschaffung brauchen wir eine grundlegende Reform.« Doch was ist, wenn die Feuerwehr nicht nur bei der Brandlöschung versagt, sondern zuvor auch noch selber die Brände gelegt hat? Und was, wenn Agenten und V-Mann-Führer sich am Ende als die »echten Feinde« der Verfassung entpuppen? Ich halte es für eine Illusion, durch ein paar neue Paragraphen oder eine vermutlich ebenfalls zur Geheimhaltung verpflichtete Parlamentskommission eine demokratische Kontrolle über eine undemokratische Behörde schaffen zu wollen. Demokratisch kontrolliertes Spitzeln kann es genauso wenig geben wie eine offene Kontrolle von V-Leuten. Der Geheimdienst ist undemokratisch oder hört auf, ein Geheimdienst zu sein. Die »echten Feinde der Demokratie« können nur mit demokratischen Mitteln bekämpft werden: durch offen arbeitende Forschungs- und Dokumentationsstellen gegen Neofaschismus, Fremdenfeindlichkeit und andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit; durch Aufklärungs- und Bildungsarbeit. Und besonders durch Bürgerinnen und Bürger, die sich vor Ort gegen Neonazismus und für eine lebenswerte Gesellschaft engagieren.
Erschienen in Ossietzky 17/2012 |
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