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Was den »Mythos Krupp« am Leben erhalten habe, das ist, so grüßt 2012 gut sozialdemokratisch zum 200. Jubiläum ebendieser Waffenschmiede die sozialdemokratische Ministerpräsidentin, »die große Tradition der unternehmerischen Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für die Gesellschaft«. Krupp stehe, weiß Kraft, für diese »besondere Verbindung aus Zukunftsorientierung und Tradition«. Tradition war, daß Krupp die Aborte seiner Mitarbeiter regelmäßig auf die politische Korrektheit der dort verrichteten Geschäfte inspizierte. War das Zeitungsmaterial, das dort als Klopapier diente, sozialdemokratisch, durfte der Mitarbeiter fortan kein Mitarbeiter mehr sein. (Mich erinnert das – Fortschritt der Geschichte – an mein Studium an einer Westberliner Hochschule: Dort stand auf dem weißen Toilettenpapier, Blatt für Blatt »Freie Universität«. Und man wurde nicht relegiert, wenn man das so aufgewertete Papier für sein Geschäft benutzte.) Zwangsarbeiter bei Krupp hatten nicht die Chance, entlassen zu werden. Die waren hinter Stacheldraht in alten Schulen zusammengepreßt. Am Krämerplatz in Essen standen für 1.200 »Ostarbeiter« zehn Kinderklosetts zur Verfügung, fünfzehn waren es für 400 bis 500 an der Dechenschule. »Exkremente verseuchten den Fußboden dieser Toiletten. Die Waschgelegenheiten waren auch äußerst beschränkt ... In der Dechenschule hatten ungefähr 2,5 Prozent der Ostarbeiter offene Tbc.« Französische Krupp-Mitarbeiter wurden »für fast ein halbes Jahr in Hundehütten, Pissoiren und alten Backöfen untergebracht. Die Hundehütten waren 1 m hoch, 3 m lang und 2 m breit. Fünf Mann schliefen in einer jeden Hütte.« Das war Luxus im Vergleich zu abzustrafenden Krupp-Mitarbeitern: »Bei Krupp in Essen hatte man sich zur Bestrafung mißliebiger Arbeitssklaven, einen spindähnlichen eisernen Schrank angeschafft, in dem die Opfer oft stundenlang, ja tagelang eingesperrt wurden, ohne Bewegungsmöglichkeit, fast ohne Luft. Zur Strafverschärfung goß man im Winter durch ein Loch an der Oberseite kaltes Wasser auf die Wehrlosen. Es ist bezeugt, daß selbst schwangere Frauen von dieser Tortur nicht verschont blieben.« Die Zitate sind eidesstattlichen Erklärungen entnommen, die man in einem zum Krupp-Jubeljahr erschienenen Buch über die Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr findet, herausgegeben von Ulrich Sander. Ein Band, der nicht nur von Krupp, sondern auch von den Verbrechen der IG Farben, Flick, Henkel und vieler anderer Wirtschaftsführer handelt. Und von ihrer Zusammenarbeit mit Hitler. Dieses Buch ist verfassungswidrig. Der Herausgeber gesteht im Vorwort: »Dieses Buch entstand auf merkwürdige Weise. Es wurde geschaffen in den Aktionen von sehr engagierten Antifaschistinnen und Antifaschisten.« Der »sog. ›Antifaschismus‹« aber steht »auf der Basis des klassisch kommunistischen Faschismusverständnisses, das einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus herstellt«. Das hat der Verfassungsschutz Baden-Württemberg in seinem Verfassungsschutzbericht erkannt, den der sozialdemokratische Innenminister Reinhold Gall am 22. Mai einer leider nur mäßig an der Verbreitung dieser Ausarbeitung interessierten Presse vorstellte. Der deutsche Verfassungsschutz, diese hocheffektive Schutzstaffel der NSU, zu deren Leitung es besonderer Qualifikationen bedarf – »Es war dunkel, außerdem war ich betrunken«, erläuterte Helmut Roewer seine Ernennung zum thüringischen Verfassungsschutzpräsidenten (1994–2000) vor dem NSU-Untersuchungsausschuß –, dieser Verfassungsschutz ist auch in Baden-Württemberg ähnlichen Prinzipien unterworfen, wie der vom Innenminister vorgelegte Verfassungsschutzbericht beweist. Und so erscheint auch Ossietzky-Mitarbeiter und Geschichts-Professor Kurt Pätzold im baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht, weil er in einem Vortrag erklärt habe, Faschismus bezeichne »eine Organisation, Bewegung oder Partei, eine Ideologie und eine Staatsform, die faschistische Diktatur genannt wird. Und diese Diktatur ist eine der denkbaren, möglichen und verwirklichten Ausprägungen bürgerlicher Herrschaft.« Auch Ossietzky-Mitarbeiter Ulrich Sander, der Herausgeber des Buches über die Verbrechen der Wirtschaft, ist schon deshalb verfassungswidrig, weil er Anstoß nahm an der deutschen Klage vor dem Internationalen Gerichtshof gegen die Angehörigen von Opfern der Wehrmachtsmassaker, die vor italienischen Gerichten Anspruch auf Entschädigungszahlungen erstritten hatten. Da die Berlusconi-Regierung die deutsche Regierung gegen die Opfer unterstützte, habe Ulrich Sander als Sprecher der VVN dies unzulässigerweise als Wiedergeburt der »Achse Berlin-Rom« von 1939 bezeichnet, als »Hitler-Deutschland und Mussolini-Italien (...) die Vertiefung ihrer mörderischen Zusammenarbeit« vereinbarten. »Rechtzeitig zum Jahrestag«, so Sander, gebe es nun in Den Haag eine Neuauflage als »Merkel-Deutschland und Berlusconi-Italien gegen die Opfer der Achse Berlin-Rom«. Wer so was sagt, verläßt die Freiheitlichdemokratischegrundordnung. Jetzt aber schnell in die Buchhandlung, bevor SPD-Innenminister Gall aufgrund seiner VS-Erkenntnisse über den verfassungswidrigen Antifaschismus seine für den Verlagsort Köln zuständige Parteifreundin Hannelore Kraft bittet, das auch ihrem eigenen Krupp-Wissen widersprechende Buch beschlagnahmen zu lassen. Ulrich Sander (Hg.): »Von Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr«, PapyRossa Verlag, 348 Seiten, 16,90 €
Erschienen in Ossietzky 16/2012 |
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