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Der WDR-Mann hatte das Demoskopie-Institut »Infratest-dimap« fragen lassen: »Im Zusammenhang mit der Eurokrise wird darüber gesprochen, mehr nationale Kompetenzen in der Europäischen Union zusammenzufassen, vor allem die Haushalts- und Schuldenpolitik, und diese dann auch zentral zu kontrollieren. Denken Sie, daß über einen solchen Schritt die Bürger in einer Volksabstimmung abstimmen sollten oder daß das wie bisher vom Bundestag entschieden werden kann?« Gegenfrage: Kann ein öffentlich-rechtlicher Sender seinen Informations- und Bildungsauftrag schlimmer verfehlen als mit einer derart dummen – oder perfiden –, das Grundgesetz ignorierenden Frage? Beziehungsweise mit deren demoskopisch ermittelter, journalistisch frisierter, also bornierter – oder gerissener – Beantwortung? Nachlesbar ist der Schmarren via Internet im Archiv der Tagesschau (tagesschau.de/inland/deutschlandtrend1550.html). Unter dem manipulativen Zwischentitel »Großer Zuspruch für Schäubles Ruf nach Volksabstimmung« steht da: »Das Grundgefühl der Menschen ist, daß die Dinge in Europa nicht nur wahnsinnig kompliziert sind, sondern auch nicht offen und nachvollziehbar verhandelt und entschieden werden. Deshalb schlägt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mit seinem Ruf nach einer Volksabstimmung in die richtige Kerbe. 71 Prozent der Befragten im ARD-Deutschland Trend sind der Ansicht: Wenn mehr nationale Kompetenzen an die Europäische Union abgegeben werden, dann müssen die Bürger selbst darüber abstimmen können, dann soll das Volk entscheiden. Noch ist ja völlig unklar, worüber genau in einem solchen Fall entschieden würde. Rein formal müßte es um eine wesentliche Änderung des Grundgesetzes gehen.« Waren sich die angeblich 1004 von »Infratest-dimap« telefonisch Befragten darüber im klaren, wie tief die »Kerbe« schon ist, die Minister Schäuble und seine Komplizen in unsere Verfassung gehauen haben? Kaum anzunehmen. Die überwältigende Mehrheit der Mitmenschen, darunter übrigens auch mancher Bundestagsabgeordnete, hat erklärtermaßen keinen Schimmer davon, welche finanzpolitische Brühe die Regierenden in Berlin und in den übrigen Euro-Hauptstädten gerade zusammen mit den Euro-Bankstern einkochen. Und doch stellte Schönenborn diesem gänzlich unbedarften Publikum seine jedes Verfassungsrecht ignorierenden Fragen, wertete die untauglichen Antworten statistisch aus und schwadronierte auf dieser haltlosen Basis über Notwendigkeiten einer Grundgesetzänderung. Es war zwar nicht der einzige Angriff dieser Tage auf die uns verbliebenen Demokratie-Reste. Aber ein umso gefährlicherer, weil er verfassungswidriges Geschwafel zum normierenden Inhalt einer Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erhebt. ARD und ZDF haben auftragsgemäß zu informieren. Es ist nicht ihr Auftrag, Schönenborn und seine Kollegen die anti-demokratische und anti-konstitutionelle Schlucktiefe einiger zufällig vom »Infratest-dimap«-Telefonanruf erwischter Mitmenschen ausloten zu lassen. Das Grundgesetz schließt eine Abtretung von Haushaltskompetenzen des Bundestages an irgendwelche europäischen Gliederungen aus. Folglich kann es darüber keine Volksabstimmung geben. Auch dem Bundestag steht eine solche ihn selbst entmachtende Entscheidung nicht zu – schon gar nicht der Bundesregierung. Daß Minister Schäuble auch öffentlich mit derartigen Gedanken spielt, deutet lediglich auf eine heruntergekommene postdemokratische Gesamtbefindlichkeit hin und ist nicht sein erster Versuch, am Parlament vorbeizuregieren. Der Bundestag könnte zwar den Text einer neuen Verfassung beraten oder eine verfassungsgebende Versammlung einberufen und diese den Text erarbeiten lassen, der hernach in einer Volksabstimmung zu bestätigen wäre. Den Boden des Grundgesetzes dabei zu verlassen, wäre nicht erlaubt. In der neuen Verfassung müßten all jene Rechte fortbestehen, die unter die sogenannte Ewigkeitsgarantie (Art. 79 Abs. 3 GG) fallen: Schutz der Menschenwürde, demokratisch-parlamentarisch-föderale Konstitution, Rechts- und Sozialstaatlichkeit. Im Rahmen dieser »auf ewig« garantierten Grundrechte steht auch das Hoheitsrecht des Parlaments, über den Haushalt zu entscheiden, denn sonst wäre es nicht der unabhängige Repräsentant des Volkssouveräns. Eine Verlagerung zentraler finanzpolitischer Kompetenzen nach Brüssel und die daraus resultierende Entmachtung des Bundestages wären ein konterrevolutionärer Akt, ein Bruch der Verfassung. Nichts Geringeres hat Jörg Schönenborn in seinem DeutschlandTrend so locker-flockig faselnd anvisiert. Journalistische Wegbereiter wie er sind gefragt – schließlich geht es um das Diktat des Kapitals in einem entmündigten, zentralistischen Europa. Schönenborn und seine Kollegen sabotieren das politische Bewußtsein ihres Publikums. Daß sie sich dabei auf vorgeblich objektive, aussagefähige Daten von Demoskopen stützen, macht ihre Programmangebote erst recht zu demokratieschädlichem Giftmüll. Und der wird nicht von ungefähr an den Folgetagen von den gedruckten Konzernmedien weiter verbreitet, mit »Schönenborn«-Schlagzeilen wie: »Kanzlerin Merkel im Stimmungshoch«. Stimmung? Stimmung! Prost. 66 Prozent der befragten Wahlberechtigten sind laut DeutschlandTrend »... mit der Arbeit der Bundeskanzlerin sehr zufrieden oder zufrieden! Ach ja? Und auf welche konkreten Kenntnisse über das politische Tun und Lassen dieser Frau sowie über dessen Folgen stützen sich die Befragten in ihrer selbstgefälligen Zufriedenheit? Weiter im DeutschlandTrend: Es gebe »immerhin sechs Spitzenpolitiker/innen, die ... von der Mehrheit der Bevölkerung positiv bewertet werden. Hinter Merkel sind das Verteidigungsminister Thomas de Maizière mit 62 Prozent Zustimmung, SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Wolfgang Schäuble mit jeweils 61 Prozent, die SPD-Ministerpräsidentin aus Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft mit 60 Prozent und der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) mit 55 Prozent.« Auf diese »positiv bewerteten« Politiker, erdreistet sich Schönenborn, »konzentriert sich das Vertrauen einer Mehrheit der Bevölkerung«. Also nicht nur das einer überforderten Befragtenmehrheit. Das nenne ich einen Qualitätssprung. Gern bin ich da Minderheit, denn mir erscheint das offerierte Sechserpack als Ergebnis bodenlos dummer – oder böswilliger – Fragen und damit fehlgeleiteter Antworten. Schönenborn aber operiert damit als ein die Verfassung herabwürdigender Trendsetter: »Wenn man den Kanzler oder die Kanzlerin direkt wählen könnte – würden Sie sich dann für Angela Merkel entscheiden oder für den Kandidaten oder die Kandidatin der SPD?« Das Ergebnis sei »überraschend eindeutig«: Allein Steinbrück komme »in die Nähe der amtierenden Kanzlerin« ... gefolgt von Frank Walter Steinmeier. Da haben wir es: Die Besten der Besten der Besten! Wie würde der Schöpfer des eingangs zitierten Sinnspruchs heute angesichts DeutschlandTrend und Politbarometer wohl formulieren? Vermutlich so: Wenn man die dumme Antwort will, fällt einem auch die dumme Umfrage dazu ein.
Erschienen in Ossietzky 16/2012 |
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