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Solche Leistungen für Rente, Arbeitslosenunterstützung, Krankenversorgung und Pflege wie in der Vergangenheit seien einfach unbezahlbar geworden und würden »uns« noch in den Ruin treiben, wenn »die Politik« nicht endlich den Menschen reinen Wein einschenke. »Wir alle« hätten »über unsere Verhältnisse gelebt«. Zwar habe die rotgrüne Koalition unter Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 schon einiges auf den Weg gebracht. Da müsse jetzt zügig weitergegangen werden. Vielleicht mit einer Agenda 2020?! Schon bei dem Stichwort »demographische Entwicklung« wäre genauer nachzufragen: Woran erkennt man sie? Was kann man daran ändern? Wer mehr wissen will, wird mit statistischen Prognosen abgespeist, die nichts anderes sind als simple Hochrechnungen aus Trends der letzten Dezennien, fortgeführt bis ins Jahr 2050 oder gar 2060. Als ob etwa im Jahre 1950 Statistiker auch nur annähernd die Zusammensetzung der deutschen Bevölkerung für heute hätten voraussehen können. Hinzu kommt, daß die Politikberater den Entscheidungsträgern regelmäßig die ungünstigste Variante der Hochrechnungen vorgelegen. Nach den Expertisen dieser Berater würde sich der Rückgang der jährlichen Geburten mit ähnlicher Geschwindigkeit fortsetzen wie in den letzten Jahren, und ähnlich würde die Lebenserwartung der Älteren steigen. Forsche Jungpolitiker reden da gern von »drohender Überalterung«. Sie deuten mit ihrer Wortwahl an, daß es sich für sie bei den Alten – und gar noch Pflegeabhängigen – um Überflüssige handelt. Die Jungnazis vor 75 Jahren waren da mit ihrer zynischen Rede vom »Friedhofsgemüse« schon mal ehrlicher. Begriffe wie »demographischer Wandel« oder »demographische Entwicklung« sind Propaganda-Schlagworte, mit denen die Politik der Sozialstaatskürzungen begründet werden soll. Dabei wird zugleich stillschweigend vorausgesetzt, daß der jährliche Produktionszuwachs wie in den letzten Jahren einseitig der Steigerung der Gewinnquote dienen soll, also allein die Vermögen der Kapitalseite zu mehren hat und nicht für höhere Löhne und Sozialleistungen zur Verfügung steht. Volkswirtschaftlich gesehen gibt es keinen »Sparzwang für den Sozialstaat in Deutschland«, eher gilt das Gegenteil. Dies ist auch die Klage der Politiker aus anderen EU-Ländern: Deutschland müsse endlich den Konsum im eigenen Land ankurbeln. Durch höhere Löhne und Unterstützungszahlungen müsse es die Kaufkraft stärken, um Nachfrage zu generieren, so daß dann mehr Waren auch aus anderen Ländern importiert würden. Es könne nicht so weitergehen, daß die deutschen Unternehmer mittels ihrer Dumpinglöhne und der niedrigen Abgabenrate Jahr für Jahr derart enorme Marktvorteile für sich realisieren wie in den letzten Jahrzehnten. Fast alle ebenfalls hoch entwickelten Industrieländer in unserer Nachbarschaft zahlen oder zahlten bis vor kurzem mehr Unterstützung für Arbeitslose, viele hatten ein Mindestlohnsystem, die Rentner sind oder waren besser versorgt, das Renteneintrittsalter liegt oder lag fünf oder zehn Jahre früher als hierzulande, die Wochenarbeitszeiten waren kürzer und so weiter. Die Netto-Durchschnittslöhne sind in der BRD durchweg geringer als in den industrialisierten Nachbarländern. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen in der BRD ist seit dem Jahr 2000 noch einmal um circa sechs Prozent gesenkt worden zugunsten der Gewinne. »Wir alle« haben keineswegs »über unsere Verhältnisse gelebt«. Im Gegenteil: Die große Mehrheit, die ohne Kapitalbesitz von Lohn- oder Transfereinkommen abhängig ist, muß unter ihren Verhältnissen leben. Auf der anderen Seite gab es für die Kapitalkräfte Abgaben- und Steuersenkungen auf vielen Ebenen. So kam es zu den viel beklagten Verschuldungszwängen des Staates, der Gemeinden und der verarmenden Bevölkerung schon in den letzten Jahrzehnten. Zunächst schien das kein großes Problem zu sein, konnte und kann sich doch bis heute der Staat BRD das fehlende Geld gern von denen leihen, bei denen seine Steuersenkungen als Guthaben aufgelaufen sind. Seitdem aber in den Zeiten der immer noch weiterwuchernden Weltwirtschaftskrise Banken und andere Firmen viele Milliarden Euro (sogenannte Rettungsschirme) erhalten, meinen die Finanzminister, sie müßten die noch existierenden Reste des Sozialstaates kaputtschreddern. In der Financial Times war zu lesen, wo »Vater Staat« sich das fehlende Geld holen könnte: »Die Deutschen haben so viel Geldvermögen wie nie.« Und zwar hätten »die Privathaushalte in Deutschland Ende 2010 ein Geldvermögen in Form von Bargeld, Bankeinlagen oder Aktien von knapp 5.000 Milliarden Euro zur Seite gelegt. … Das sind 154 Milliarden mehr als ein Jahr zuvor.« (www.ftd.de) Wie wäre es mit einer Unternehmens- und Einkommensbesteuerung wie vor zwölf Jahren? Warum gibt es hierzulande keine Vermögensbesteuerung und nur eine minimale Erbschaftssteuer? Nein, ein »Sparzwang für den Sozialstaat« läßt sich mit demographischer Sterndeuterei nicht begründen. Es sind »unsere Reichen und Superreichen«, die die Sozialstaatskassen ausplündern, um ihre Kapitalmacht zu mehren.
Erschienen in Ossietzky 16/2012 |
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