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Mit »Geschichten aus der Produktion« werden konkrete Erfahrungen mit der Berghaus im Arbeitsalltag (der immer ein Höhepunkt war!) beschrieben. So entstand ein wunderbarer Band voll unterschiedlicher Erinnerungen, Werkstattberichte und Betrachtungen aus allen Tätigkeitsbereichen dieser bedeutenden Frau: Arbeiten für Tanztheater, Oper, Schauspiel und nicht zuletzt die Intendanz am Berliner Ensemble. Irene Bazinger lud Regieassistenten, Dramaturgen, Schauspieler, Sänger, Regisseure, Komponisten, Intendanten und Bühnenbildner sowie eine Choreografin und Tänzerin ein, sich an diesen Zeugnissen zu beteiligen. Nur Musiker fehlen (zum Beispiel Kolja Blacher, der die Geige in »L´histoire du soldat« von Strawinsky spielte). Mit 30 Texten ist ein reiches Spektrum entstanden. Alle versuchen, passende Worte, treffende Beispiele für das Besondere ihrer Arbeitsweise zu finden. Etwa die kreative Offenheit für jede Anregung, die Einbindung aller Beteiligten, die gewissenhafte Analyse der Werke, die Auseinandersetzung mit Vorurteilen, mit der Gegenwart, ohne aber all die Sperrigkeiten von Textbuch und Partitur preiszugeben. Aus den Widersprüchen die Funken der Hoffnung schlagen, alles in Bewegung halten. Das Publikum darf nicht um das Stück betrogen werden: keine Striche, keine falschen Harmonisierungen. Weder eigene, noch gängige Meinungen über das Stück oder dessen Autor sind zu spielen, sondern dem Text hat man sich zu stellen und das mit Phantasie, präzise, verspielt, nie ohne Witz. Sogar in »Pelleas und Melisande«, ihrer letzten Berliner Oper, gab es diesen Humor der Berghaus, der wie das Lachen von Kinderspielen war, traumhaft wie das Leben selbst und voller Erotik. Viele Wegbegleiter sind inzwischen tot. Heiner Müller zum Beispiel, den sie ans Berliner Ensemble holte und zu Opernarbeiten wie »Elektra« heranzog. Für ihren Ehemann Paul Dessau schrieb er das Libretto zur Oper »Lanzelot« (»Was man noch nicht sagen kann, kann man vielleicht schon singen«). Jahrzehnte bevor Regisseurinnen am Theater nichts Ungewöhnliches mehr sind, hatte sie, einsam und verletzlich, sich gegen eine kleinbürgerlich überhebliche Männerdomäne durchzusetzen. Sie verfügte über die Energie eines Eisbrechers. Dennoch wurde ihr die Arbeit als Choreografin verweigert, später die Intendanz am BE gekündigt. Nur über ihre unbeirrbare Streitbarkeit und Überzeugung sind ihr Wesen und ihr Weg erklärlich, oft bis ins unscheinbar abwegigste Detail einer Inszenierung oder persönlichen Anekdote. Mit allzu gutem Grunde stellte Irene Bazinger dem Buch den tiefsinnigen Satz von Dessaus Meister Arnold Schönberg voran: »Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen.« Sie war bis an den Rand diszipliniert und fordernd. Die Anstrengung erzielte stets Außerordentliches und niemand – auch der erbosteste Feind nicht – ging anschließend leeren Sinns davon. Bazingers eigener Aufsatz für das Buch, dramaturgische Entscheidungen zum »Kaukasischen Kreidekreis« am Burgtheater betreffend, gerät indessen ein bißchen zur Theaterkritik, dem eigentlichen Metier der Herausgeberin. Doch hat sie, was die Publikationen zu Berghaus in den letzten Jahren betrifft, zweifellos eine der wertvollsten beigetragen: Wer sich ernsthaft mit der Berghaus befassen will, kommt an diesem Buch kaum vorbei. Auch für die Nachwirkung Brechts in der Oper, für die Rolle und die Möglichkeiten von Theater am Ende des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus sind die Texte relevant. Nicht zuletzt für das Handwerk theatralischen Denkens liefern sie Inspiration und Wegweiser. Unter der Hand ein Lehrbuch der Theaterkunst, das, wie mir scheint, ganze Semester, ja Studiengänge, und zwar mehr als nur aufzuwiegen vermag! Es vermittelt Ideen, was Theater ist, worum es da im Grunde geht. Schlimmstenfalls könnte es ein Erinnerungsbuch an eine Epoche sein, als Theater noch wesentlich mehr war als nur ein »kultureller Aperitif« für das anschließende Abendessen (Claus Peymann). Bazinger hat im besten Sinn ein Lesebuch initiiert, das nicht nur Theaterleuten und Opernfans Aufschlüsse und Denkanstöße gibt, sondern weit darüber hinaus allen kulturell (und politisch) Interessierten aus wechselnden Aspekten ein plastisches Porträt der Berghaus modelliert, den Weg dieser Künstlerpersönlichkeit in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nachzeichnet, menschlich oft berührend. – Irene Bazinger (und allen, die sich dafür konzentriert aufs Schreiben einließen) ist gar nicht genug zu danken, und man wünscht der verdienstvollen Publikation eine baldige Neuauflage. Diese Dokumentation gehört ins Arsenal der Kultur. Irene Bazinger (Hg.): »Regie: Ruth Berghaus. Geschichten aus der Produktion«, Rotbuch Verlag, 304 Seiten, 22,95 €
Erschienen in Ossietzky 14/2012 |
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