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Ungeachtet unterschiedlicher Intentionen werden die immer schärfer werdenden Sanktionen und Kriegsdrohungen gegen Iran inzwischen in Tel Aviv, Washington, Berlin und anderswo vor allem mit der Behauptung legitimiert, Irans Atomprogramm ziele auf die Vernichtung Israels. Dessen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu fühlt sich gar moralisch berechtigt, immer offener mit einem präventiven Angriffskrieg gegen Iran zu drohen, notfalls auch im Alleingang. Die deutsche Bundesregierung unterstützte Israel nicht erst im aktuellen Atomkonflikt mit dem Iran, sondern lange bevor der Iran mit der Entwicklung seines Atomprogramms begann. Laut neuestem Spiegel-Bericht beteiligt sich Deutschland sogar an der Finanzierung der israelischen Atombomben seit den 1960er Jahren. Die Lieferung deutscher U-Boote ist die Fortsetzung einer deutschen Israel- und Nahostpolitik, die seit beinahe einem halben Jahrhundert verfolgt wird. Regierung und Opposition arbeiten in dieser Frage stets Hand in Hand. Auf die Stellungnahme von Claudia Roth, die Grünen seien gegen die weitere Lieferung deutscher U-Boote an Israel, wenn diese atomar aufgerüstet werden könnten, erwiderte Verteidigungsminister Thomas de Maizière: »Derartige Rüstungsexporte liegen in der Kontinuität der Vorgängerregierungen« (FR vom 11. Juni 2012). Die atomare Aufrüstung Israels mit allen ihren Folgen für die Verschärfung der Konflikte im Mittleren und Nahen Osten, einer der instabilsten Regionen der Welt, wurde von allen deutschen Bundesregierungen mehr oder weniger unbekümmert vorangetrieben und – wie der Spiegel dokumentiert – sogar an der Öffentlichkeit und den demokratischen Institutionen in Deutschland vorbei. Daß die Spiegel-Enthüllung der atomaren Aufrüstung Israels durch Deutschland so gut wie keine Debatten ausgelöst hat und daß beispielsweise ein Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in der FR vom 5. Juni 2012 die Lieferung der Atom-U-Boote an Israel auch nachträglich als »moralisch legitim« darstellt, ist besorgniserregend. Vor dem Hintergrund dieser Fehlentwicklung erscheint Günter Grass` Aufschrei auch nachträglich mehr als berechtigt. In seiner Prosa »Was gesagt werden muß« hatte er mit seiner These, nicht Iran, sondern Israel bedrohe den Weltfrieden, die moralische Legitimation der deutschen und internationalen Israelunterstützung radikal angezweifelt. Angesichts ihrer dramatischen Folgen für die Zukunft des Mittleren und Nahen Ostens, für den Weltfrieden und für Israel selbst ist es nun an der Zeit, die immer noch als unerschütterlich geltende Annahme, Israels Existenz sei bedroht, kritisch auf den Prüfstein zu stellen: Immerhin liefert diese Behauptung die politische Grundlage für die Israelpolitik Deutschlands und des Westens insgesamt, nicht zuletzt auch dafür, daß das iranische Atomprogramm in den letzten Jahren zum Weltproblem ersten Ranges hochstilisiert wurde. Unterstellen wir einmal, Teheran belüge – wie gemeinhin behauptet wird – tatsächlich die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) und die gesamte Weltöffentlichkeit und wolle unter dem Vorwand des Ausbaus der Atomenergie in Wahrheit die Atombombe bauen, dann wäre doch die nächste Frage, ob das Teheraner Regime, hätte es irgendwann die Bombe, diese wirklich gegen Israel einsetzen würde. Eine solche Annahme, die von westlichen Medien und Politikern kolportiert wird, übersieht, daß der Iran mit Israels Vernichtung auch das Risiko einer millionenfachen Tötung der Palästinenser und der Zerstörung des Felsendoms – nach Mekka das zweitwichtigste Heiligtum der islamischen Welt – mutwillig in Kauf nehmen würde. Auch das Einmaleins der nuklearen Abschreckung »Wer als Erster schießt, stirbt als Zweiter«, wird bei der ständigen Bedrohungsunterstellung schlicht übergangen. Man hätte sicherlich allen Grund, dem theokratischen Regime die Unterjochung der eigenen Opposition und der Demokratiebewegung und die rigorose Verletzung der Menschenrechte vorzuwerfen. Ihm jedoch die Lust auf die eigene Vernichtung und die Zerstörung von moslemischem Land zu unterstellen, übersteigt die Phantasie gesunden Menschenverstandes. Von der nuklearen Abschreckungslogik ausgehend, könnte der Iran mit eigenem Nuklearpotential bestenfalls das nukleare Monopol Israels untergraben und, wie während der Kalten-Kriegs-Ära zwischen Ost und West zunächst einmal das »Gleichgewicht des Schreckens« im Mittleren und Nahen Osten herstellen. Dadurch entstünde aber keinerlei Bedrohung für Israels Existenz, sehr wohl jedoch eine ernsthafte Bedrohung seines nuklearen Monopols und seiner Macht, im Nahen Osten, und vor allem in den besetzten palästinensischen Gebieten zu schalten und zu walten, wie es ihm paßt, ohne dabei das Risiko heftiger Reaktionen der arabischen Staaten in Kauf nehmen zu müssen. Selbst für diesen theoretischen Fall des Verlusts des nuklearen Monopols durch ein »Gleichgewicht des Schreckens« (bevor der Iran die Atombombe überhaupt gebaut hat) ist Israel aber gerade im Begriff, zu der 200 bis 300 Atombomben umfassenden Erstschlagskapazität eine Zweitschlagskapazität aufzubauen, deren Herzstück die deutschen »Dolphin«-U-Boote sind. Laut dem bereits erwähnten Spiegel-Bericht lieferte Deutschland bisher drei dieser U-Boote, die mit allen nötigen Vorrichtungen für einen nuklearen Einsatz ausgestattet sind. Mit drei weiteren U-Booten der »Dolphin«-Klasse, die bis 2017 geliefert werden sollen, könnte Israels Unterwasserarmada im Persischen Golf, also unmittelbar vor dem Territorium des Iran, operieren und dessen Atomanlagen von den U-Booten aus mühelos mit nuklear bestückten Marschflugkörpern bedrohen. Denn die neuen U-Boote sind mit den allerneuesten Techniken ausgerüstet und können, unabhängig von der Außenluft, etwa 18 Tage unter Wasser operieren. Innerhalb dieser Zeit könnten die U-Boote den Weg zwischen Mittelmeer und Persischem Golf in beiden Richtungen zurücklegen, ohne auch nur ein einziges Mal auftauchen zu müssen. Damit würde die logistische Achilles-Ferse von Israels Zweitschlagskapazität beseitigt. Ami Ajalon, ein israelischer Militärfachmann und früherer Leiter des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, nennt den Erwerb dieser U-Boote die wichtigste strategische Entscheidung. Was Ajalon jedoch als militärischen Zweck der neuen U-Boote mit der Erlangung von »strategischer Tiefe« umschreibt, bezeichnen die Spiegel-Autoren richtig als »nukleare Zweitschlagskapazität«. Was jedoch die strategische Funktion dieser seegestützten Zweitschlagskapazität ist, verschweigen sie. Und nicht nur das: Indem die Spiegel-Autoren ihren Bericht mit der Äußerung eines israelischen Marineoffiziers »Wir können die Vergangenheit nicht vergessen, aber wir werden alles tun, einen neuen Holocaust zu verhindern« beenden, lassen sie Tür und Tor dafür offen, die Lieferung der deutschen U-Boote als eine legitime Handlung zu interpretieren. Tatsächlich besteht der militärische Sinn der U-Boote und der Zweitschlagskapazität jedoch nicht darin, einen zweiten Holocaust zu verhindern, sondern vielmehr darin, Israels nukleares Monopol im Mittleren und Nahen Osten, selbst im Falle der Erstschlagfähigkeit eines andern Landes, zum Beispiel des Iran, aufrecht zu erhalten. Denn mögliche iranische Atombomben stünden dann im Visier israelischer Zweitschlagskapazität und verlören ihre Abschreckungswirkung, da Israel sie vom Persischen Golf aus ausschalten könnte, bevor sie überhaupt zum Einsatz kämen. Sollte aber Israel, trotz der nuklearen Erst- und Zweitschlagskapazität, sich immer noch bedroht fühlen, bliebe ihm noch die realistische Möglichkeit offen, der NATO beizutreten. Unter dem nuklearen Schirm der USA, Großbritanniens und Frankreichs dürfte sich Israel einer Sicherheit erfreuen, die nicht einmal von einer der mächtigsten Nuklearmacht der Welt gefährdet werden könnte, erst recht nicht durch den Iran, der die Atombombe noch gar nicht besitzt. De facto steht Israel längst unter dem nuklearen Schutzschirm der NATO. Es gibt diverse gemeinsame Militärmanöver mit dem westlichen Militärbündnis im Mittelmeer und anderswo. Obendrein genießt Israel einen zusätzlichen Schutz vor möglichen feindlichen Mittelstreckenraketen durch den NATO-Raketenschutzschirm, der demnächst im Mittelmeer installiert werden soll. Noch mehr Sicherheit für ein Land wie Israel sie schon hat, kann es im Grunde genommen gar nicht geben. Warum begnügt sich aber Israel, muß nun eindringlich gefragt werden, lediglich mit dem informellen Schutz des westlichen Militärbündnisses und verzichtet auf den formellen NATO-Beitritt? Sicherheitspolitisch könnte ja durch den offiziellen Beitritt die Ernsthaftigkeit des Beistandes westlicher Staaten für Israel von niemandem mißverstanden werden. Dadurch würde doch jedem potentiellen Feind Israels ein Vernichtungsschlag durch die NATO signalisiert. Des weiteren stellt sich auch die Frage, weshalb der Westen selbst Israel die NATO-Mitgliedschaft bisher nicht angeboten hat. Ginge es dem Westen wirklich um die Sicherheit Israels, so läge nichts näher, als diesem Land den Beitritt in die NATO anzubieten. Stattdessen zieht er es offensichtlich vor, andauernd dessen existenzielle Bedrohung durch den Iran zu beschwören. Warum? Israel und der Westen wissen die Antwort auf diese Fragen nur zu gut und beide wissen auch, weshalb sie den formellen NATO-Beitritt tunlichst nicht in Erwägung ziehen: Um der NATO beizutreten, müßte Israel die Besetzung Palästinas ohne Wenn und Aber aufgeben und sich hinter seine Grenzen von 1967 zurückziehen. Letztlich würde Israels Beitrittsansinnen auf den heftigen Widerstand des NATO-Mitglieds Türkei stoßen, das seine Zustimmung dazu von der bedingungslosen Erfüllung der UN-Resolution 242 abhängig machen dürfte. Auch käme das Land nicht länger daran vorbei, dem Vertrag zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Atomwaffen, beizutreten, sein Atomwaffenarsenal offen zu legen und dieses womöglich auch zu verschrotten. Spätestens an dieser Stelle, die Regeln der Logik unterstellt, tritt das wahre Motiv der Regierungen Israels zu Tage. Ihnen geht es im Atomkonflikt mit Iran offensichtlich nicht um die Verhinderung eines neuen Holocausts und auch nicht um die größtmögliche Sicherheit, sondern in erster Linie darum, den machpolitischen Status quo, also sowohl die Besatzungsmacht wie aber auch das nukleare Monopol in der Region, weiterhin beizubehalten. Israels zionistische Elite scheint ihren ideologischen Traum von »Erez Israel« immer noch nicht ausgeträumt zu haben. Weshalb lesen aber westliche Regierungen den israelischer Regierungen nahezu alle Wünsche von den Lippen ab, setzen sie Eins zu Eins um und nehmen dabei in Kauf, einer völkerrechtswidrigen Politik des double standard überführt zu werden? Israels starke internationale Lobby dürfte als Antwort kaum reichen, unterstellte sie doch unzutreffend eine Willens- und Interessenslosigkeit der USA und der übrigen westlichen Staaten. Realistischer erscheint es vielmehr, von einer Interessensgleichheit beider Seiten, des Westens und Israels, im Mittleren und Nahen Osten Westen auszugehen. Israel will eine Nuklearmacht Iran mit allen Mitteln verhindern, um mit seinem Atombombenmonopol nicht den eigenen Handlungsspielraum für übergeordnete ideologische Ziele aus der Hand zu geben. Und die USA verfolgen das Ziel, die eigenen Hegemonialinteressen in einer Region mit den bedeutendsten Öl- und Gasreserven der Welt wieder herzustellen, die sie durch den Sturz des Schah-Regimes und die Stärkung der Islamischen Republik auf dem Weg zu einer Regionalmacht nach dem Sturz von Saddam Hussein teilweise verloren haben. Israels Monopol an Atombomben bildet dabei einen substantiellen Bestandteil der militärischen Vorherrschaft der USA in der Region. »Die Bedrohung der Existenz Israels« stellt sich im Lichte dieser Analyse als ein Popanz heraus, den Tel Aviv, Washington und Berlin mit großem propagandistischem Aufwand aufgebaut haben. Im Ergebnis legitimieren die USA und Deutschland auf jeden Fall Israels Besatzungsmacht und dessen Monopol an Atombomben. So gesehen, erklärte Angela Merkel im März 2008 in der Knesset nicht Israels Sicherheit, sondern eben dessen Besatzungsmacht und nukleares Monopol, letztlich das zionistische Ziel »Erez Israel«, zur deutschen Staatsraison. Ein berechtigtes Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Israels wird aber nicht durch nukleare Erst- und Zweitschlagskapazität und eine Sicherheitspolitik gegen die Staaten im Mittleren und Nahen Osten, sondern durch eine Sicherheitspolitik hergestellt, die mit diesen Staaten gemeinsam aufgebaut wird. Es ist hohe Zeit für die Vorbereitung einer Nahost-Konferenz nach dem Muster der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1975.
Erschienen in Ossietzky 14/2012 |
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