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Er erwähnte einen jungen Mann, der ihm damals klug und tapfer geholfen habe; den Namen kannte er nicht. Und plötzlich stellte sich heraus, daß dieser Mann hier in einem Hörsaal der Hamburger Universität neben ihm saß: der Theaterwissenschaftler Professor Ernst Schumacher, der sogleich weitererzählen konntet. Ein Wiedersehen nach 60 Jahren. 90jährig ist Schumacher am 7. Juni 2012 gestorben. Als Soldat im Zweiten Weltkrieg war Schumacher schwer verwundet worden. Die Begegnung mit Texten von Bert Brecht gab seinem Leben eine neue Richtung. Er wollte über Brechts Dramatik promovieren. In München war das damals nicht möglich. Darum fuhr er nach Leipzig zu Hans Mayer, der ihn als Doktoranden akzeptierte. Ernst Bloch war als Zweitgutachter behilflich. Seinen Lebensunterhalt verdiente Schumacher als Münchner Korrespondent des Ostberliner Deutschlandsenders – bis im März 1953 die bayerische Staatsanwaltschaft seine journalistische Arbeit, zum Beispiel eine Reportage über soziale Mißstände, als »fortgesetztes Vergehen des staatsgefährdenden Nachrichtendienstes« auslegte. Er verbrachte mehrere Wochen in Untersuchungshaft und unter Polizeiaufsicht, wurde aber, unterstützt von dem hervorragenden Anwalt Friedrich Karl Kaul, freigesprochen. Er schrieb für die Zeitung Deutsche Woche, die der Politik der Spaltung und des Kalten Kriegs trotzte, bis sie eingestellt wurde, und ging dann in die DDR, die ihm nach seiner Habilitation eine Professur für Theorie der Darstellenden Künste an der Humboldt-Universität Berlin bot. Nach der »Wende« hatte er große Schwierigkeiten, weiterhin zu publizieren; ratsuchend wandte er sich auch an mich. Es war wie die Überwindung eines Albtraums, als schließlich 2006 der Henschel-Verlag sein Hauptwerk, die Biographie »Mein Brecht«, herausbrachte. Es folgte die Veröffentlichung von Tagebüchern aus der DDR-Zeit, in denen er sich als hellwacher Zeitzeuge erwies. Und bis in seine letzte Zeit schrieb er Theaterkritiken, in denen er unverdrossen Intendanten, Regisseure und Schauspieler ermunterte, sich der Probleme und Nöte heutiger Menschen anzunehmen, statt sie zu verulken. Eckart Spoo Woher er kamIm August 1947 schrieb Ernst Schumacher: »Die Internationale von Gold und Eisen, wie sie Victor Margueritte in den 20er Jahren genannt hat, besteht in noch größeren Maßen als ehedem. Sie ist aktiv, aggressiv, imperialistisch. Es geht um Öl und Uran und andere gewinnträchtige Stoffe. Die faschistischen Methoden feiern in veränderter Form ihre Auferstehung, lebhaft begrüßt und geküßt von allen Säbelrasslern, Nationalisten, Kleinbürgern und verblendeten Opfertieren ...« Aus diesen Zeilen sprach der Zorn junger Menschen, die den Krieg überlebt und in der sogenannten Stunde Null eine Gesellschaft erwartet hatten, in der die Profiteure der Metzeleien und ihre militärischen Gehilfen entmachtet sein würden; zwei Jahre später war erkennbar, daß die Geschichte in den gewohnten Bahnen weiterlief, der Kalte Krieg hatte begonnen. Schumachers Artikel mit der zitierten Passage wurde veröffentlicht in Ende und Anfang – Zeitung der jungen Generation. Das Blatt erschien in Augsburg, gemacht von jungen Katholiken, die im »Dritten Reich« Nonkonformität in Traditionen der Jugendbewegung und im Milieu um die gegenüber dem NS und auch der Amtskirche kritische katholische Zeitschrift Hochland gefunden hatten. Zum Redaktionskreis von Ende und Anfang gehörten Franz Josef Bautz, Burkart Lutz, Siegfried Braun, Ludwig Zimmerer, Theo Pirker und eben Ernst Schumacher, allesamt später hervorgetreten als Wissenschaftler und Publizisten mit linkem Profil – bei durchaus unterschiedlicher parteipolitischer Orientierung. Ihr Jugendwerk Ende und Anfang ist eine hochinteressante, bisher leider wenig genutzte Quelle für Nachforschungen darüber, wie in den ersten Jahren nach dem Ende des deutschen Faschismus intellektuell aufgeschlossene junge Menschen sich den Weg zur Theorie und Praxis der Linken erschließen konnten. Das Verhältnis von Christentum und Kommunismus wurde dort intensiv debattiert, die Anpassung der Kirchenobrigkeiten an den Faschismus wurde offengelegt, vor allem aber wurde die historische und schon wieder aktuelle Kriegstreiberei in ihren Motiven und Hintergründen erkennbar gemacht. Kooperation bestand mit dem »Bund christlicher Sozialisten«, den der katholische Kaplan Joseph C. Rossaint (von 1937 bis 1945 in Haft wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« und Kontakten zum illegalen Kommunistischen Jugendverband) initiiert hatte. Nach der Währungsreform war das Blatt so weit politisiert, daß es sich mit Hilfe des Verlegers Joseph Drexel (Nürnberger Nachrichten) in eine Deutsche Arbeiterzeitung verwandeln wollte; es blieb bei der Probeausgabe, die US-amerikanische Militärregierung entzog die Lizenz, schon vorher hatte sie zeitweilig das Erscheinen von Ende und Anfang untersagt. Ein persönlicher Dank an Ernst Schumacher: Als Gymnasiast habe ich Ende und Anfang begierig gelesen, darin auch zum ersten Mal Gedichte von Bertolt Brecht, der damals im Deutschunterricht noch nicht vorkam und auch in der üblichen Literaturpresse nicht erwähnt wurde, nicht einmal polemisch. Ich hatte einen Hinweis bekommen, der sich als sehr nützlich herausstellte – von einem jungkatholischen Blatt aus Augsburg auf einen Augsburger, von dem man vieles lernen konnte, was uns die Schule vorenthielt. Arno Klönne Und jedesmal nach UrspringAnfang der 1970er Jahre rief mich ein Freund an: Ob ich einen Bekannten aus der DDR für ein paar Tage beherbergen könne. So fing meine Freundschaft mit Ernst Schumacher an, die mein Leben unendlich bereichert und meine politische Entwicklung entscheidend beeinflußt hat. Von nun an war meine Wohnung das »Münchner Quartier« für Ernst, wann immer die DDR-Behörden ihm als Wissenschaftler einen Vortrag in München oder ihm als Kritiker einen Theaterbesuch erlaubten. Die Zeit war immer knapp bemessen, aber meist fragte mich Ernst gleich bei seiner Ankunft: »Fährst Du mich einen Tag nach Urspring?« Es wurde zu einem festen Ritual, das er fast zwanghaft durchleben mußte: Ein Gang durch sein Heimatdorf, stehenbleiben vor dem nun von fremden Menschen bewohnten Haus seiner Kindheit, Gedenken am Grab der Mutter, ein Gruß, wenigstens aus der Ferne, zu den Allgäuer Bergen, ein Kaffeebesuch bei seinem alten Freund E., dann eine sehr schweigsame Heimfahrt. Es war jedesmal ein schwerer Abschied für ihn, nie wußte er, ob und wann die politischen Verhältnisse ein Wiederkommen erlauben würden. Ich habe Ernst als unbeirrten kommunistischen Intellektuellen kennengelernt. Aus seinem geliebten Bayern vom politischen Gegner vertrieben, hatte er sich bewußt für ein Leben in der DDR entschieden. Aber der Allgäuer Bauernbub konnte es nie verwinden, daß er, solange die DDR existierte, nicht spontan seinen Koffer packen konnte, wenn das Heimweh ihn nach Urspring zog. In seinen letzten Lebensjahren begann er, sich dieser alten Heimat erneut zu nähern. Mit wissenschaftlicher Akribie studierte er Dokumente aus der Region und viele Aufzeichnungen von Mutter, Onkeln und Tanten, die er sorgfältig gehütet hatte. Es sollte eine große Familiensaga werden über das Leben der Allgäuer Bauern am Beispiel seiner Familie. Den Anfang zumindest hat er noch geschafft ... Mir bleibt Ernst als unerschütterlicher Kämpfer in Erinnerung. Ein Mann, der sich an den politischen Verhältnissen rieb, der mit einigem Sarkasmus über die Dummheit der Herrschenden lachen konnte, aber sich immer einen optimistischen Blick bewahrte. Sozialismus war für ihn keine Glaubensfrage, sondern eine Notwendigkeit, bis an sein Lebensende focht er für diese Idee. Zu meinem Erstaunen war er nach der Auflösung der DDR im Gegensatz zu mir nicht völlig mutlos. Er hatte doch so viel mehr verloren als ich. Aber er tröstete mich – und wohl auch sich – mit dem Argument, daß der reale Sozialismus in der DDR gerade mal 40 Jahre Zeit zum Üben hatte – ein Nichts im Lauf der Geschichte der Menschheit. »Es wird wieder neue Anstrengungen geben«, sagte er zuversichtlich, »die ökonomischen Verhältnisse zu ändern und die soziale Gerechtigkeit herzustellen.« So konnte nur denken und sprechen, wer schon viel politisches Auf und Ab erlebt hatte.. Ute Wagner-Oswald Viele Blumen aus seinem GartenErnst Schumacher hatte immer große Pläne, viele Projekte. Wenn er in mein Lektorat eintrat, kam er mir manchmal wie ein Gartenkünstler vor, der einen Wald plant. Sein früher großer Wurf lag schon vor: »Die dramatischen Versuche Bertolt Brechts von 1918 bis 1933« (1955). Auch zwei Gedichtbände: »Eurasische Gedichte 1952-1957« (1957) und »Roter Oktober« (1960). Wie junge Bäume ragten sie, schnell in die Höhe gewachsen, da kein Platz war für breite Kronen. Neben den Bäumen viele Sträucher und Edelpflanzen. Seine stärkste Eiche hieß Brecht, sein großes Ziel war die Biografie, herausragend über das Kreisgehölz um den Stamm. So arbeitete der Theaterprofessor wie ein Züchter edler Bäume. Er brachte schöne Blumen hervor, zum Beispiel die genannten Lyrikbände – mitten auf gediegenem Rasen, den er gut mit Gedanken düngte. Tausende Pflanzen sprossen daraus: seine Kritiken. Aus diesem Garten schien zunächst ein Wald zu werden, ein Wald wie ein riesiges Gewebe. Schumacher webte, wie man seine Art zu denken nennen könnte. Die Langfäden sollten sich zur Breite seiner »Theorie der Darstellenden Künste« verbinden. Konferenzen gab es, Projekte, Thesen wie Musterpflanzen in den Gewächshäusern. Doch der Wald konnte nicht mehr werden. Wälder wachsen langsam – 90 Jahre reichen fast für einen Forst, doch die ersten 30 waren/sind zum Pflanzen und Pflegen da. Es dauert lange oder geschieht gar nicht, bis ein Gärtner ein Forstwirt wird. So bleiben uns freilich viele schöne Pflanzen und Stämme, aber kein Wald. Kein System. Er war ein großer Solist und wird es in der Erinnerung bleiben, indes kein Dirigent eines großen Orchesters der vielen Stimmen. Ich verneige mich vor dem Kritikerkollegen, dem Biografen, dem reformbereiten Traditionalisten und ästhetisch-politischen Revolutionär. Ich habe Bücher dieses Sinnes von ihm verlegt, etwa »Bertolt Brechts Leben des Galilei« oder mehrere Bände seiner Theaterkritiken. Ich habe viel von ihm gelernt. Jochanan Trilse-Finkelstein Sein LachenErnst Schumacher ist für mich als Wissenschaftler, Kritiker und Theaterenthusiast ein zuhöchst authentischer Mensch. Auch die Bücher seiner letzten Jahrzehnte bezeugen, daß er sich nicht verbiegen, verdrehen, verbergen mußte. Sein Lachen, das aus einem tiefen bayrischen Herzen kam, vermochte alle Widersprüche und Widrigkeiten des Lebens immer wieder in die Heiterkeit aufzuheben. Dieses Lachen wird mir fehlen! Hermann Beil Hermann Beil ist Regisseur und Chefdramaturg des Berliner Ensembles, Jochanan Trilse-Finkelstein Theaterwissenschaftler, Ute Wagner-Oswald Filmemacherin, Arno Klönne und Eckart Spoo sind Ossietzky-Mitherausgeber
Erschienen in Ossietzky 13/2012 |
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