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Aber das Staatsoberhaupt und seine Getreuen beschlossen, »festen Kurs zu halten ...und unsere Entschlossenheit zu zeigen,... daß das einzig richtige Feiern im Einschalten der Straßenbeleuchtung sowohl am Tag als auch in der Nacht besteht«. An die Kritiker gewandt fügte Tadic hinzu, daß diese Art des Feierns für das serbische energetische System einen »historischen Test« darstelle. Da er jedoch kein Pessimist sei, glaube er, daß die Heizung in Serbien nicht in signifikantem Maße bedroht sein werde. Also leuchteten die Straßenlampen im ganzen Land 24 Stunden lang und kündeten vom »großen Sieg«. Als erster hatte der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, die freudige Botschaft getwittert; kurz danach verkündete auch der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, auf dem gleichen kurzen Weg, daß die höchsten Gremien der EU beschlossen hatten, der Republik Serbien den Status eines Beitrittskandidaten zuzubilligen. Nach der Twitterei war es wiederum Van Rompuy, der nach dem ersten Tag des EU-Gipfels den Beschluß offiziell mitteilte und betonte, »daß dieser Serbien ermutigen wird, weitere Anstrengungen zu machen, um die politischen und ökonomischen Kriterien für eine Mitgliedschaft in der EU zu erfüllen«. Anfang Mai verschlug es van Rompuy, Barroso und den anderen großherzigen Gönnern Serbiens den Atem, als nicht ihr Lieblingsserbe Tadic, Vorsitzender der Demokratischen Partei, sondern ein erbitterter EU-Gegner, der Chef der Serbischen Fortschrittspartei, Tomislaw Nikolic, zum neuen Präsidenten des Balkanlandes gewählt wurde. Doch der Schreck dauerte nur eine Sekunde, denn das neue Staatsoberhaupt erklärte unmittelbar nach seinem Wahlsieg, daß »Serbien seinen europäischen Weg beibehalten wird«. Obwohl die EU schon unmittelbar nach dem Sturz von Slobodan Milosevic erste Gespräche mit Belgrad führte, war der Weg zum Kandidatenstatus lang und beschwerlich. Unter ständigem erpresserischem Druck mußte Serbien manche Kröte schlucken. Kategorisch forderten die EU-Großmeister die volle Kooperation Serbiens mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), und auch als die Belgrader Regierung die letzten hohen als Kriegsverbrecher beschuldigten Offiziere an das Tribunal, in dem die Vertreter der Aggressoren über die Angegriffenen richten, ausgeliefert hatten, lag eine weitere häßliche Kröte auf dem Weg zum Kandidatenstatus: die Forderung nach Anerkennung der Unabhängigkeit des von der NATO aus dem serbischen Staat herausgerissenen Kosovo. Belgrad schluckte diesen übel riechenden Lurch nicht, sondern räumte ihn erst einmal mit einem Kompromiß zur Seite. Es einigte sich mit Priština auf eine Vereinbarung über die Grenzkontrollen zwischen Serbien und Kosovo sowie über das künftige Auftreten Kosovos bei internationalen Verhandlungen. Damit akzeptierte Serbien, daß Vertreter Kosovos an internationalen Konferenzen teilnehmen können, was jedoch, wie schriftlich fixiert wurde, keine Anerkennung der Unabhängigkeit der serbischen Provinz bedeute. Nun war der Weg frei, und seit dem 1. März 2012 darf sich die Republik Serbien EU-Beitrittskandidat nennen. Doch trotz freudiger, ja überschwänglicher Erklärungen der Regierenden und der 24stündigen Straßenbeleuchtung hielt sich der Jubel der Serben in Grenzen. Denn einerseits stellte Brüssel unmittelbar nach seinem großmütigen Beschluß eine ganze Reihe von Forderungen, die in die souveränen Rechte Serbiens eingreifen, darunter die nach endgültiger Klärung des Verhältnisses zum Staatsgebilde in Kosovo, nach Beseitigung der Korruption (die es bekanntlich in keinem EU-Mitgliedsstaat gibt) und nach Reorganisation des Gerichtswesens. Andererseits wissen nicht nur die Ökonomen, daß die serbische Wirtschaft (das Bruttoinlandsprodukt betrug 2010 lediglich 29,34 Milliarden und damit pro Kopf ganze 4.016 Euro) auf dem EU-Markt nicht wettbewerbsfähig ist. In Serbien hat mancher das abschreckende Beispiel Sloweniens vor Augen. 2004 war die ökonomisch am weitesten entwickelte jugoslawische Republik in die EU aufgenommen worden. Da das Land als Vorzeige-Neumitglied galt, durfte es bereits wenige Jahre später, am 1. Januar 2007, seine Landeswährung Talar auf den mit Riesenjubel und -erwartungen begrüßten Euro umstellen. Auf Enttäuschung und Ernüchterung mußten die Slowenen allerdings nicht lange warten. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ging rapide zurück, der Binnenkonsum stagnierte, das Haushaltsdefizit wuchs, und die Staatsschulden schnellten in die Höhe. Innerhalb kurzer Zeit war aus dem Musterschüler ein Sorgenkind geworden und das US-amerikanische Finanzmagazin Bloomberg Businessweek prognostizierte, daß Slowenien das erste Land sein werde, das die Euro-Zone verlassen wird. Aber so weit ist Serbien noch lange nicht. Der Anteil seiner Bürger, die einen Beitritt zur EU befürworten, sinkt beständig: Im Dezember 2010 waren es noch 57, ein Jahr danach lediglich 51 Prozent. Entscheidend für die Gegner der EU ist die Forderung der Union nach Anerkennung der Abspaltung Kosovos. Sekundiert vom russischen Botschafter in Belgrad, der erklärte, Brüssel benehme sich im Dialog Belgrads und Prištinas als größerer Kosovare als die Kosovaren selbst, meinte der Vizechef der Demokratischen Partei Serbiens, Slobodan Samardzic, die Anerkennung des Kosovo sei die Über-Bedingung für den EU-Beitritt Serbiens, während die Kopenhagener Kriterien (1993 auf einem EU-Gipfel im Blick auf die Osterweiterung beschlossen) zweitrangig seien. Sein Parteivorsitzender Vojislav Koštunica, ehemaliger Präsident des Landes, ging noch einen Schritt weiter und warnte, daß Brüssel »nicht damit zufrieden ist, ein Auge auf einen Teil des serbischen Territoriums, auf Kosovo und Metohien, geworfen zu haben, sondern bereits begonnen hat, Serbien auch von innen umzugestalten, indem es sich für Dezentralisierung und Regionalisierung einsetzt und ein verfassungswidriges Statut für die Vojvodina unterstützt«. Der Vizechef der Serbischen Radikalen Partei, Zoran Krasic, gar nahm kein Blatt vor den Mund und forderte, keine ›gaulajtere‹ aus dem Ausland herbeizurufen. Die jahrzehntelange antiserbische Politik von EU und NATO ist in Belgrad nicht vergessen. Gerade an sie erinnert der Vorsitzende des Belgrader Forums, Zivadin Jovanovic, früherer Außenminister Jugoslawiens. Zwar hält er es für legitim, daß Serbien nach einer gleichberechtigten Mitgliedschaft in der EU strebt, dafür dürfe es jedoch seine Souveränität und territoriale Integrität nicht opfern: »Schließlich ist die EU«, so Jovanovic, »nicht der Himmel auf Erden, der jedes Opfer wert ist. Auch darf man nicht aus dem Blick verlieren, daß die EU und besonders ihre einflußreichsten Mitglieder eine wichtige Rolle bei der Zerschlagung Jugoslawiens und bei der Erfindung des Stereotyps von der ausschließlich serbischen Schuld (Genscher, Solana) spielten. Auch haben sie eine außerordentlich bedeutende Rolle 1999 bei der Aggression der NATO gegen Serbien gespielt, die nach allen Grundsätzen des Völkerrechts ein Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit darstellte.« Nein, so schnell werden die Serben die jahrelangen strangulierenden Sanktionen der EU und die 79 Tage währenden mörderischen Luftschläge der NATO auf ihr Land nicht aus ihrer Erinnerung streichen können. Letztlich aber dürften sie allen Vorbehalten und Warnungen zum Trotz wohl doch mehrheitlich dem EU-Beitritt zustimmen. Verständlich, ist doch das Leben in einer Halbkolonie der EU ein großer Fortschritt gegenüber den Ängsten vor den Voll- und Kollateraltreffern der NATO-Raketen.
Erschienen in Ossietzky 13/2012 |
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