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Ein paar Experten in unseren dortigen Botschaften sowie in unseren Stiftungen und sogenannten Nichtregierungsorganisationen haben schon seit Jahren freundschaftliche Beziehungen zu solchen Myriern und Sirianern geknüpft, die sich unter den gegenwärtigen Regierungen nicht hinreichend geschätzt vorkommen; unsere Einladungen und Geschenke bestärken diese abgehalfterten Politiker, Vertreter nationaler oder religiöser Minderheiten sowie Künstler in ihrer Selbsteinschätzung. In unseren Geheimdienstzentralen analysieren Wissenschaftler gemeinsam mit unseren myrischen Freunden Schwachstellen in der dortigen Gesellschaft, an denen wir mit unseren Destabilisierungsmaßnahmen ansetzen können. Welcher Künstler, der dort von 5.000 Dollar im Jahr lebt, würde nicht schwach, wenn wir ihm einige seiner simplen Werke für 100.000 Dollar abnähmen und wenn die Feuilletons unserer Medienkonzerne ihn als Genie rühmten? Unser sogenannter Kunstmarkt wird sich als kooperativ erweisen – vor allem unter dem Eindruck von Legenden über das bittere Schicksal des in seiner Heimat mißachteten und unterdrückten Künstlers. Divide et impera, teile und herrsche. Diese Regel, nach der schon vor Jahrhunderten und Jahrtausenden Imperien geschaffen wurden, bewährt sich auch heute. Wenn es uns gelingt – und das kostet nicht viel –, einzelne Myrier (bis in den Regierungsapparat hinein) und ganze Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzubringen, werden wir unserem Ziel schnell nahekommen. Wir müssen Medienmacht gewinnen. Die Regierenden in Myrien werden sie uns ungern zugestehen. Wir werden also helfen, »unabhängige« Medien zu gründen, und wir werden Hörfunk- und Fernsehsender von außen auf die Myrier einwirken lassen. Jedes Vorgehen der Schurkenstaaten gegen die »unabhängigen« Medien, also gegen die Meinungsfreiheit, gegen die Menschenrechte werden wir hart bestrafen – mit Embargos. Wir beschließen, einzelne Produkte nicht mehr aus Myrien, sondern aus anderen Ländern zu beziehen. Und wir stellen lebenswichtige Lieferungen ein, zum Beispiel Medikamente. Wir verhängen Reiseverbote gegen Myrier, die die Lage in ihrem Lande objektiv (»regimenah«) schildern könnten. Wir lassen Grenzkonflikte provozieren. Wir bewaffnen Oppositionsgruppen und planen mit ihnen Terroranschläge (seit Jahrzehnten nachzulesen beispielsweise in Graham Greenes realistischem Vietnam-Roman »Der stille Amerikaner«). Wir verbreiten Lügenberichte über Massaker und Massenvergewaltigungen. Wir sperren die myrischen Auslandskonten. Wir schicken das Personal der myrischen Botschaften nach Hause; einzelne Diplomaten, die wir als Freunde gewonnen haben, dürfen jetzt abspringen, wenn sie sich scharf von der Regierung distanzieren Unsere Konzernmedien bringen nichts, was auch nur die geringsten Zweifel daran wecken könnte, daß die »Schurken« wirklich Schurken sind. Verschwiegen werden zum Beispiel deren Wahlerfolge. Jede Wahl dort muß von vornherein als Farce verstanden werden. Gleich am Abend des Wahltages müssen Demonstrationen stattfinden. Wenn die Polizei gegen Demonstranten vorgeht, die das Parlamentsgebäude in Brand zu setzen versuchen, müssen in unseren Konzernmedien Kommentare mit dem Tenor erscheinen, daß wir, die westliche Wertegemeinschaft, diesem Polizeiterror nicht tatenlos zusehen dürfen, sondern den armen Myriern gegen das verhaßte Regime beistehen müssen, ohne uns etwa vom völkerrechtlichen Einmischungsverbot daran hindern zu lassen. Was stört uns, die Kämpfer für die Menschenrechte, das Völkerrecht! Wenn wir schließlich den Bombenkrieg beginnen, gehören neben der myrischen Luftwaffe die myrischen Fernsehsender zu den ersten Zielen, damit sie keine Bilder von der Realität des Krieges verbreiten können. Die »Schurken« werden erst mundtot und dann ganz tot gemacht. Am Ende eines solchen Krieges – mit totalem Embargo – ist erfahrungsgemäß die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen auf der Erde um viele Hunderttausende gestiegen, die Bevölkerung ist schaurig verarmt, der Staat auf lange Sicht in wirtschaftliche und politische Abhängigkeit gezwungen, und inmitten des eroberten Landes entsteht ein gewaltiger Militärstützpunkt der westlichen Wertegemeinschaft – möglichst für ewig. Keiner unserer Soldaten ist zu Schaden gekommen. Wenn wir aus 15 Kilometer Höhe bombardieren oder über Tausende Kilometer Entfernung Drohnen in einzelne Häuser schießen, ist unser Risiko gleich Null. (Zu diesen Überlegungen regte mich ein Besuch in der syrischen Botschaft an – wenige Stunden bevor die Bundesregierung sie schließen ließ. Die Mächtigen verweigern Kontakte. Der Diplomat, der uns empfing, studierter Germanist, ein gebildeter, kultivierter, kluger Mann, hatte Angst in den Augen.)
Erschienen in Ossietzky 13/2012 |
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