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Tatsächlich sind Lohnsteuern und Sozialbeiträge jedoch in geringerem Maße gestiegen als die Preise. Darauf macht die Gewerkschaft ver.di aufmerksam. Während die Beschäftigten jetzt durchschnittlich mit drei Prozent weniger Nettolohn auskommen müssen, stiegen Gewinne und Vermögenseinkommen im selben Zeitraum nach Abzug der Inflationsrate um 25 Prozent. 29. April: Steigende Energiekosten bringen immer mehr Verbraucher in die Klemme, sagte der Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Klaus Müller, der Welt am Sonntag. Nach einer Umfrage der Verbraucherschützer bei Versorgern wird jährlich rund 600.000 Haushalten der Strom wegen offener Rechnungen abgedreht. 2. Mai: In den Reinigungs- und Verkaufsberufen verdient laut Saarbrücker Zeitung jeder zehnte Beschäftigte, so wenig, daß er oder sie – die meisten sind Frauen – ihren Lohn mit »Hartz IV« aufstocken müssen. Das geht aus der Stellungnahme der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervor, so die Zeitung. Zu den zehn Berufsgruppen mit den meisten »Aufstockern« gehören ferner Hilfsarbeiter, Bürokräfte, Köche, Verkehrsmitarbeiter, Lager- und Transportarbeiter sowie Gesundheitsdienstleister, Gästebetreuer, Sozialarbeiter und Erzieher. In diesen zehn Branchen arbeiteten Mitte 2011 rund 914.000 Beschäftigte mit zusätzlichem »Hartz-IV«. 3. Mai: Während die Arbeitslosigkeit nach offiziellen Angaben zurückgeht, steigt die Zahl der Aufstocker, die zum Überleben zusätzlich zu ihrem Lohn »Hartz IV« beantragen müssen. Bekamen in Berlin Ende 2007 rund 107.000 Menschen Zusatzleistungen vom Jobcenter, waren es Ende 2011 mehr als 128.000 – ein Anstieg um rund 19 Prozent, schreibt die B.Z. und beruft sich auf Zahlen der Arbeitsagentur. Friedrich W. aus Berlin-Steglitz erzählte der Zeitung: »Nachdem meine Firma pleitegegangen war, habe ich keinen Job mehr gefunden, weil ich zu alt bin. Ich verdiene halbtags nur 285 Euro im Monat und erhalte 420 Euro Hartz IV dazu.« Frau B. geht es ähnlich. Sie arbeitet als Teilzeit-Servicekraft in einer Cafeteria und verdient damit nur 120 Euro im Monat. »Das Jobcenter zahlt mir 330 Euro dazu«, zitiert sie die B.Z. 8. Mai: Als Folge des Sparpaketes der Bundesregierung, wonach bis 2014 in der Arbeitsmarktpolitik 20 Milliarden Euro eingespart werden sollen, davon sechs Milliarden bei den »Hartz IV«-Empfängern, seien in den vergangenen zwei Jahren die öffentlichen Beschäftigungsangebote von 340.000 auf gerade noch 155.000 reduziert worden, teilte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, mit. 14. Mai: Das Jobcenter in Chemnitz verlangt von einer arbeitslosen Mitdreißigerin, einen Teilzeitjob als Reinigungshelferin in Dresden (Entfernung 71 Kilometer Luftlinie) anzunehmen, berichtete die Freie Presse Chemnitz. Die Frau bessere ihr »Hartz IV«-Einkommen mit Minijobs ein wenig auf. Bemühungen um eine richtige Arbeit verliefen für die gelernte Hauswirtschafterin bislang wenig erfolgreich, trotz regelmäßiger Bewerbungen. Das einzige Stellenangebot, das ihr vom Jobcenter angeboten wurde, war das in Dresden (»Teilzeit – flexibel, 20 Stunden pro Woche«). »Ich habe die Vermittlerin gefragt, wie ich das machen soll – ohne Auto und Führerschein für eine offensichtlich geringfügige Beschäftigung nach Dresden zu pendeln«, wird sie zitiert. Das sei ihre Sache, sei ihr geantwortet worden. Zum Vermittlungsvorschlag gehörte die Androhung von Sanktionen, sollte die Frau sich nicht in Dresden bewerben, so die Freie Presse. Die Frau habe sich dann tatsächlich dort beworben, bislang aber keine Antwort erhalten. 20. Mai: Der 27 Jahre alten »Hartz-IV«-Empfängerin Stephanie stehen für sich und ihre drei kleinen Kinder 450 Euro monatlich zur Verfügung. Wie sie ihr Leben am Rande der Gesellschaft würdevoll zu meistern versucht, schildert eindrücklich eine Reportage auf Deutschlandradio Kultur. Die Sendung kann bei www.dradio.de nachgehört oder das Manuskript nachgelesen werden. 23. Mai: Rund ein Fünftel aller Arbeitnehmer in Deutschland sind im Niedriglohnsektor beschäftigt, die Hälfte davon in Vollzeit. Um mit den niedrigen Stundenlöhnen über die Runden zu kommen, nehmen sie lange Arbeitszeiten in Kauf. Ein Viertel dieser Beschäftigten arbeitet mehr als 50 Wochenstunden, im Schnitt sind es 45 Stunden. Auch die Teilzeitkräfte, vor allem die Minijobber, arbeiten im Niedriglohnsektor überdurchschnittlich lang. Dies geht aus dem Wochenbericht 21/12 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hervor. – Wer als Arbeitsloser wertvolle Briefmarken oder Münzen hat, erhält weniger oder gar kein »Hartz IV«, auch wenn die Sammlung mit viel Verlust verkauft werden muß. Das hat laut Agenturberichten das Bundessozialgericht in Kassel entschieden und die Revision eines Mannes aus Hannover zurückgewiesen (Az: B 14 AS 100/11 R). Die Sammlung des klagenden Mannes sei ein verwertbarer Vermögensgegenstand. 29. Mai: Fast 1,2 Millionen Mädchen und Jungen leben in der Bundesrepublik in Armut, stellte UNICEF fest. »Ungefähr ebenso viele Kinder in Deutschland entbehren notwendige Dinge wie regelmäßige Mahlzeiten oder Bücher«, heißt es in der neuen UNICEF-Studie »Kinderarmut messen – Neue Ranglisten der Kinderarmut in den reichen Ländern der Welt«. Neben der relativen Einkommensarmut dokumentiert die UN-Organisation darin mit Hilfe eines sogenannten Deprivationsindex erstmals auch umfassend absolute Mangelsituationen von Kindern. Demnach erhält in Deutschland zum Beispiel jedes 20. Kind keine tägliche warme Mahlzeit. Beim Ländervergleich belegte Deutschland Platz 15 von 29 Ländern. 30. Mai: Nach einem Urteil des Sozialgerichtes Wiesbaden, über das dpa berichtete, haben stillende Mütter keinen Anspruch auf höhere »Hartz IV«-Sätze. Das Sozialgericht wies die Klagen zweier Frauen ab, die einen erhöhten Kalorienbedarf und entsprechende Zusatzkosten während der Stillzeit geltend machen wollten. Die Richter wiesen die Klagen mit folgender Begründung zurück: Die Mehrkosten könnten durchs Stillen des Kindes wieder eingespart werden, da dann weniger Nahrung für den Nachwuchs gekauft werden müsse. 31. Mai: Was das Leben am Existenzminimum bedeutet, schilderte eine 59-jährige Oranienburgerin der Märkischen Allgemeinen Zeitung: »Man wird mutlos, resigniert, irgendwann tritt eine Depression ein.«. Die Frau lebt seit anderthalb Jahren von 656 Euro Rente im Monat. Ihre Erwerbsunfähigkeits- und ihre Witwenrente müssen für Miete, Energie und zum Leben reichen. »Man kann sich nichts mehr leisten. Früher bin ich gerne mal ins Theater gegangen«, sagt die Frau. »Man kann ganz schnell ganz tief sinken.« Sie habe sich zurückgezogen, auch Freunde hätten sich abgewandt. »Sie verstehen es nicht oder wollen es nicht wissen. Ich lebe ja in einer anderen Welt«, wird die frühere Geschäftsinhaberin von der Zeitung zitiert. Sie sei auch verzweifelt über die Bürokratie. Dazu komme das persönliche Leid, Krankheit und Einsamkeit. 1. Juni: Nur noch rund jeder zweite Beschäftigte in Deutschland ist 2011 nach Branchentarif bezahlt worden, teilt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit mit. Während 1996 noch 70 Prozent der Beschäftigten in West- und 56 Prozent in Ostdeutschland nach Branchentarif vergütet wurden, waren es den Zahlen zufolge 2011 noch 54 Prozent im Westen und 37 Prozent im Osten.
Erschienen in Ossietzky 12/2012 |
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